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„Nichts für schwache Nerven“

Er ist Schweizer und führt seit Jahren das Institut von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Und er ist einer der renommiertesten Trendforscher. Dr. David Bosshart zu Migros, Tegut, Deutschland und die Welt.

Dr. David Bosshart
Migros-Experte Dr. David Bosshart, Foto: H. Rhode
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Von Klaus Mehler

Herr Dr. Bosshart, eine regionale Genossenschaft namens Migros Zürich übernimmt alle Tegut-Märkte in Deutschland. Wie passt das zusammen?
Bosshart: Warum soll es nicht zusammenpassen? Die Unternehmen passen von der Kultur her zusammen. Auch die Regionen verbindet Kulturelles und die Sprache.

Beeinflussen unternehmerische Kulturen wirklich das Kaufverhalten der Verbraucher?
Bosshart: Migros und Tegut basieren beide auf einer unternehmerischen Idee. Das unterscheidet sie von Unternehmen, die nur auf einer rein kommerziellen oder technischen Vorstellung beruhen. Solche Unterschiede erkennen die Verbraucher.

Migros Zürich hat bislang insgesamt rund 100 Märkte, Tegut betreibt rund 290 Standorte …
Bosshart: … die Übernahme hat mit Sicherheit in Abstimmung mit der Migros-Zentrale stattgefunden, die Investition ist zudem überschaubar.

Mehrere ausländische Handelskonzerne haben in Deutschland Schiffbruch erlitten. Warum soll es jetzt eine Schweizer Genossenschaft schaffen?
Bosshart: Für gute Konzepte gibt es in jedem Markt Platz. Migros hat ein solches. Die Herausforderung liegt darin, Tegut damit besser zu machen.

Diese Herausforderung könnten dm und Alnatura auch leisten …
Bosshart: Richtig. Auch diese Unternehmen passen von ihrer Kultur zu Tegut. Migros macht es.

Trauen Sie die Herausforderung den Züricher Genossen zu?
Bosshart: Warum nicht? Der deutsche Lebensmittelhandel ist erfolgreich, wenn er von Kaufleuten unternehmerisch getrieben ist oder auf durchindustrialisierten Systemen wie dem Geschäftsmodell Discount beruht. In diesem Umfeld behaupten sich zudem Unternehmen mit Ideen. Und die werden den deutschen Handel künftig viel stärker als bislang prägen.

Was macht Sie da so sicher?
Bosshart: Weil der Markt für gute und gesunde Ernährung auch in Deutschland in den kommenden Jahren wachsen wird. Sie brauchen nur ein passendes Vertriebskonzept dazu. Der deutsche Handel sollte sich einfach mal von der Vorstellung lösen, dass er sich in einem geschlossenen System bewegt. Es gibt ja auch deutsche Unternehmen, die die Schweiz erschlossen haben. Manche haben Erfolg, andere nicht.

Migros Basel hat kürzlich einen ihrer fünf Standorte in Deutschland geschlossen. Zeitgleich übernehmen die Züricher Tegut. Wie passt das zusammen?
Bosshart: Das müssen Sie die Verantwortlichen in der Migros-Zentrale fragen.

Die Bundestagswahl steht 2013 an. Fördern solche Ereignisse die Konjunktur?
Bosshart: Nein. Die Verbraucher wissen inzwischen, dass die Politiker ihre Versprechungen nicht einhalten können. Die Gefahr liegt eher darin, dass die Politiker damit Illusionen bei den Bürgern wecken. Dabei sollten sie uns auf die kommenden ruppigen Zeiten vorbereiten.

Was meinen Sie mit „ruppigen Zeiten“?
Bosshart: Wir haben weltweit globale Systeme geschaffen, die sich nicht mehr führen lassen und in denen tragfähige politische Mehrheiten nicht mehr realisierbar sind. Das ist der Preis einer Welt, die stark konsum- und finanzmarktgetrieben ist. Dann bleibt den nationalen Staaten nur noch das Mittel der Verführung – Versprechungen, die sie nicht halten können. Die Bürger müssen das Ganze dann bezahlen.

Was heißt das konkret?
Bosshart:Da Politiker von ihrem Naturell her das am liebsten tun, was ihnen am wenigsten Schmerzen bereitet, erscheint eine Inflation mittelfristig als realistisch.

Geht die Krise so weiter wie bisher?
Bosshart: Es geht so weiter. Wir werden dabei mit Schüben konfrontiert – Inflationsschübe oder Austritte von Nationen aus dem Euro. Auch der Energiemarkt ist unberechenbar. Wir hängen dort von Technologien ab, die wir nicht haben oder von Ländern, die politisch instabil sind.

Sind die Wachstumsjahre vorbei?
Bosshart:Sie sind in Europa und Amerika schon seit den siebziger Jahren vorbei. Die Nationen haben dies mit Staatsverschuldungen kaschiert, die Finanzmärkte mit ihren Innovationen das Chaos beschert. Zudem hat die Produktivitätsschwäche zu einer gigantischen Digitalisierung geführt, damit zu mehr Schnelligkeit und mehr Druck, Neues zu bringen, was nicht ausgereift ist. Das führt zu mehr Abfall.

Dennoch geht es Deutschland gut.
Bosshart:Weil es in hohem Maße vom derzeit viel zu billigen Euro profitiert. Die Griechen können sich nur noch solange einen Porsche Cayenne kaufen, solange es den Euro dort gibt.

Müssen wir folglich künftig mit Null-Wachstum leben und wirtschaften?
Bosshart:Nein. Wachstum gehört zum Leben. Wir werden allerdings keine Quantensprünge mehr vollziehen können. Wir sind im Lebenszyklus eben schon im Rentenalter angekommen und sollten uns nicht weiterhin wie 18-Jährige verhalten. Auch im hohen Alter kann es Wohlstand ohne Wachstumssprünge geben.

Welche Wachstumsstrategie empfehlen Sie selbstständigen Kaufleuten?
Bosshart: Sie sollten Stammkunden pflegen und dabei auch neue Technologien nutzen. Konsumenten unterscheiden nicht zwischen online und stationär. Sie wollen immer nur das, was sie jetzt brauchen.

Wie können Händler dem Druck steigender Energiekosten entgegnen?
Bosshart:Sie sollten einfach wieder etwas bodenständiger werden. Der Gegentrend zu immer mehr wissenschaftlicher Wertschöpfung ist doch die Romantik. Migros und Coop sind weltweit die nachhaltigsten Händler. Trotzdem steigt der Stromverbrauch in diesen Organisationen, weil sie jede Einsparung sofort wieder in mehr Convenience, mehr Take-Away-Food und damit in neue Energieverbrauchsquellen investieren. Das ist nicht zielführend.

Im Dezember 2013 ist EU-weit die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung Gesetz. Warum regeln wir immer alles?
Bosshart:Verordnungen vermitteln eben das Gefühl, etwas Komplexes in den Griff zu bekommen. So entsteht wieder Bürokratie und Arbeitsplätze. Und das legitimiert wiederum eine EU. Faktisch gesehen hat die EU gar keine demokratische Legitimation. Deshalb gibt es dort so viel Bürokratie und Verordnungen, die keinen Bürger weiterbringen.

Dennoch fordern die Verbraucher mehr Transparenz …
Bosshart:… weil sie sich erhoffen, dass Produkte damit verständlicher werden. Bei Marken setze ich das allerdings voraus. Ist dies nicht der Fall, hat eine Marke schon verloren.

Wenn es nach Ihnen geht: Welcher Trend sollte die kommende Jahre die Welt bestimmen?
Bosshart:Die Reduktion der Komplexität– politisch und gesellschaftlich. Komplexität lähmt und überfordert. Der Trend der Zukunft kann deshalb nur der Gegentrend zur globalen Welt sein: die Regionalität. //

Dr. David Bosshart
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