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Ohne Marken ist es öde!

Selten waren Preisrunden so intensiv wie zuletzt. Der Handel zeigt gegenüber der Industrie immer öfter klare Kante und listet Produkte aus. Prof. Stephan Rüschen aber weiß: Ohne Marken geht es nicht.

Prof. Stephan Rüschen. Foto: DHBW Heilbronn
Von Anke Pedersen | Fotos: DHBW Heilbronn

Während Aldi mit „Gönn dir günstig!“-Werbung für seine Eigenmarken in die Offensive geht, hat Edeka eine weitere Eskalationsstufe im Preiskrieg mit den Markenartiklern gezündet: Nach Mars, Milka, Coca-Cola & Co. müssen Edeka-Kunden vorerst auch auf Kellogg’s verzichten. Ist die Ära der Markenartikel vorbei, Prof. Stephan Rüschen?

Handelsmarken befinden sich aktuell stark im Aufwind. Wie gefährlich ist diese Entwicklung für Markenartikler? 
Markenartikel sind als Folgen des Ukrainekrieges sehr stark unter Druck geraten, weil die Konsumenten aufgrund der Inflation, der sinkenden Kaufkraft und der Unsicherheit umgeschwenkt sind auf Handelsmarken. Das ist nicht überraschend, das ist eine ganz logische Konsequenz und führt dazu, dass Handelsmarken gewonnen und Herstellermarken verloren haben.

Hinzu kommt, dass die Preiserhöhungen, die die Markenartikler umsetzen wollen, beim Handel nicht auf Gegenliebe stoßen und er die Gelegenheit nutzt, sich so ein bisschen als Robin Hood der Verbraucher zu positionieren. Und als dieser möchte er diese Preiserhöhungen nicht akzeptieren, was eben zu einer Eskalation geführt hat mit zum Teil massiven Auslistungen bei Edeka, anderen Händlern und einem auch in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit.

Sind die Preise, die die Markenartikler verlangen, also nicht nur auf gestiegene Rohstoff- und Energiepreise zurückzuführen?
Für die internationale Markenartikelindustrie ist Deutschland offensichtlich ein an Profitabilität unterdurchschnittliches Land. Daher hat man den Eindruck, dass jetzt Preiserhöhungen durchgesetzt werden sollen, die mit Rohstoffen und Kostenentwicklungen allein nicht mehr zu rechtfertigen sind.

Die Frage ist jetzt, wer bei diesen Auslistungen eigentlich der Verlierer ist. Erst mal ist der Markenartikler natürlich ein Verlierer, weil er, wenn er zum Beispiel bei Edeka nicht mehr gelistet ist, Distribution verliert und damit auch Umsatz. Der Händler verliert allerdings auch, denn um beim Beispiel Kellogg’s zu bleiben: Wenn ich einen Kellogg’s-Fan habe, dann wird dieser womöglich die Bereitschaft haben, seine Einkaufsstätte zu wechseln, wenn er Kellogg’s nicht mehr im Regal findet. Und dann ist das Risiko für den Händler sogar doppelt hoch, weil er nicht nur den Kellogg‘s-Umsatz verlieren könnte, sondern den Gesamtumsatz mit dem Kunden. 

Ist die Gefahr tatsächlich real, dass Kunden dann nicht mehr zu Edeka gehen, sondern nur noch zu Kaufland?
Klar! Da geht’s ja nicht darum, dass 100 Prozent der Kunden das machen, da reicht es schon, wenn zwei, drei Prozent das machen würden. Denn es tut verdammt weh, zwei bis drei Prozent Umsatz dauerhaft zu verlieren. Überdies gibt es eine Diskussion darüber, ob sich der eine oder andere Markenartikler vielleicht komplett aus Deutschland zurückzieht. 

Und wie realistisch ist dieses Szenario?
Die Gefahr würde ich jetzt nicht so hoch einschätzen. Die GfK hat in einem Beitrag kürzlich mal gefragt, ob aus dem „Jahr der Handelsmarken“ womöglich gleich ein ganzes Jahrzehnt werden könnte. Allein daran sieht man natürlich, dass die Händler das Thema Eigenmarke im Moment extrem pushen, eben weil ihre Kunden gerade sehr stark auf die Handelsmarken gehen. Auch logisch. Ich glaube allerdings nicht, dass das dazu führt, dass Händler auf Markenartikel komplett und dauerhaft verzichten wollen. Wenn man zum Beispiel Discounter und Supermärkte vergleicht, dann ist der Supermarkt, dann sind Rewe und Edeka darauf angewiesen, Markenartikel im Sortiment zu haben, und zwar deutlich mehr als der Discounter. Er würde also einen Teil seiner Profilierung gegenüber dem Discounter verlieren.

Allerdings wissen wir auch, dass die Handelsmarke beim Preis ganz klar heraussticht. Da ist sie besser als die Herstellermarke. Bei allen anderen Kriterien, wie etwa der Qualität, erkennen die Kunden keinen so relevanten Unterschied! Eine Netto-Kampagne zum Blindtest zwischen Handels- und Herstellermarke zeigt auch, dass geschmacklich häufig die Eigenmarke sogar vor der Herstellermarke liegt. Global gesehen hat der Markenartikel nicht mehr die Differenzierung beim Kunden wie früher. Vielmehr werden Handelsmarke und Marke sehr ähnlich gesehen in den Dimensionen Verpackung, Nachhaltigkeit und auch Qualität usw. Und das ist natürlich ein Problem für die Marke. Denn die Marke muss ihren höheren Preis aus Kundensicht rechtfertigen können. 

Da ihr Marktanteil insgesamt noch immer sehr hoch ist, scheint die Marke diese Rechtfertigung „besser“ ja auch häufig noch zu schaffen. Ein Vollsortimenter wie Edeka realisiert immerhin noch ca. 70 Prozent des Umsatzes mit Markenartikeln. Die Marke hat das Problem, dass sie im Prinzip doppelt so teuer ist wie die Handelsmarke, und sie aus Sicht der Kunden global gesehen nicht mehr so wahnsinnig viel Differenzierung hat. Deshalb muss sie über Innovationen ihre Rechtfertigung behalten, und das wird sie auch tun. 

Wie sehen diese Innovationen aus?
Neue Produkte, neue Rezepturen, attraktive Verpackungen usw. – denn das kriegt die Handelsmarke nicht hin. Und ich sage Ihnen auch: Eine Welt nur mit Handelsmarken ist aus Sicht des Konsumenten eine langweilige (Ernährungs-) Welt, weil sie wenig Neuigkeiten, Innovationen hervorbringen würde.

Die Händler haben gar nicht das Know-how, die Kapazitäten und/oder die Forschungseinrichtungen dafür, nicht die Leute, nicht das Geld für echte Innovationen im Handelsmarkenbereich. Stellen Sie sich vor, der Händler müsste im Bereich Waschmittel forschen, wo es immer wieder Neues gibt, das könnte er gar nicht.

Nicht wenigen Handelsmarken ist es immerhin gelungen, das Qualitätslevel der Herstellermarken zu erreichen.
Ja, weil sie kopieren. Sie stellen in der Regel ja nichts selbst her, sondern gehen auch nur zu anderen Herstellern, häufig den Markenartiklern selbst, und kriegen im Zweifelsfalle auch ähnliche Rezepturen. Sie haben lediglich ein paar Basisprodukte, die sie mittlerweile selbst herstellen, wie Nudeln, Kaffee und Wasser. Aber im Kern sind das eigentlich Massenprodukte, über die sie die Wertschöpfung, die Lieferkette komplett in der Hand behalten wollen.


"Markenartikler, die innovativ sind, werden weiter bestehen. Aber B-Marken, die stehen bleiben, werden sicherlich verlieren."

Prof. Stephan Rüschen, DHBW Heilbronn


Der Markenartikel hat also eine Chance, indem er innovativ bleibt. Die Marke, die nicht innovativ ist, die wird wahrscheinlich mittelfristig vom Markt verschwinden. Dann trennt sich also die Spreu vom Weizen: Die Markenartikler, die noch innovativ sind – in ihren Rezepturen, ihren Verpackungen, im Markenauftritt, beim Thema Nachhaltigkeit – die werden weiterhin bestehen. Und die Marken, die dann stehen bleiben, die B-Marken, die nicht innovativ sind, die werden sicherlich verlieren. Aber nochmal: Eine Welt ohne Markenartikel ist aus Sicht der Konsumenten langweilig, weil die Handelsmarken diese Innovationen nicht werden hervorbringen können. 

Wenn Marken noch immer ein so starkes Standing haben, fragt sich doch, wie lange der Handel seinen Krieg mit den Markenartiklern noch treiben kann?
Neulich hat mich mal jemand gefragt, ob ­Edeka Markenartikel bewusst auslistet, um die Eigenmarken zu pushen. Das halte ich für Quatsch, weil Edeka nur mit Eigenmarken kein attraktives Sortiment für seine Kunden hätte. 

Gleichwohl profitieren die Supermärkte.
Natürlich ist das im Moment so! Aber die Eigen- bzw. Handelsmarke ist jetzt nicht per se attraktiver für den Händler. Nehmen sie – vereinfacht gesagt – das Produkt einer Handelsmarke, das einen Euro kostet: Sie haben eine Marge von 30 Prozent, also einen Ertrag von 30 Cent. Wenn Sie dagegen einen Markenartikel haben, der mit zwei Euro doppelt so teuer ist und die Marge bei 20 Prozent liegt, dann scheint die Marke auf den ersten Blick unattraktiv zu sein: 30 Prozent Marge versus 20 Prozent Marge. Allerdings sind 20 Prozent auf zwei Euro 40 Cent. Das heißt: Obwohl die Prozentmarge höher ist, ist der Stücknutzen bei der Handelsmarke – in diesem Beispiel 20 Cent – häufig geringer als bei der Marke. 

Trotzdem trommelt der Handel – Beispiel Aldi – explizit für seine Eigenmarken.
Der Handel pusht das aktuell, weil seine Kunden – Stichwort: Ukrainekrieg – umschwenken und billigere Produkte suchen. Im Moment macht der Händler also nur das, was seine Kunden wollen, nicht das, was er selbst will: Ipsos untersucht jedes Jahr, welche Eigenschaften Handels- im Vergleich zu Herstellermarken zugeordnet werden. Die Befragung von 2023 zeigt, dass Handelsmarken zuallererst als „preisgünstig“ klassifiziert werden – das sagen 54 Prozent der befragten Konsumenten, während nur 14 Prozent mit „preisgünstig“ auch Herstellermarken in Verbindung bringen. Bei fast allen anderen abgefragten Attributen führen die Hersteller- vor den Handelsmarken. Auch bei „qualitativ hochwertig“ mit 24 Prozent zu acht Prozent. Aber: Immerhin 65 Prozent aller Befragten sehen die Produkte beider Markenanbieter als „qualitativ hochwertig“ an.

Die GfK wiederum hat untersucht, wie sich die Marktanteile nach Markentypen zwischen dem 1. Halbjahr 2022 und dem 1. Halbjahr 2023 verschoben haben. Das Ergebnis: Die Handelsmarken haben ihren Marktanteil 2023 von 42,5 auf 45,9 Prozent steigern können. Das ist signifikant. Das sind 3,4 Prozent Zugewinn an Marktanteil für die Handelsmarke! 
Steht Marke immer noch für die Qualität, die ihr zugeordnet wird? Oder kann, beziehungsweise muss man das mittlerweile trennen?

Marke ist mehr als reine Produktqualität: Man kauft ein Versprechen, ich identifiziere mich damit, kann es mir leisten, ich erinnere mich an meine Kindheit. Ob das relevant ist oder nicht, das muss der Kunde entscheiden und auch, ob es den höheren Preis rechtfertigt. Richtig ist allerdings der Eindruck, dass der Vorteil des Markenartikels aus Kundensicht zunehmend erodiert. Das freilich sind Trends, das ist noch keine Disruption. Aber der Sprung, innerhalb eines Jahres fast vier Prozent Marktanteil zu gewinnen, der ist unfassbar groß, sehr, sehr ungewöhnlich und nur mit diesen ungewöhnlichen Zeiten zu erklären. Auf jeden Fall bedeuten sie eine große Herausforderung für die Marken.

Ist der Gewinner letztlich also doch der Handel? Immerhin dürfte der signifikante Zugewinn der Handelsmarken ihren geringeren Stücknutzen doch kompensieren?
Aktuell sehen wir, dass zwar die Inflation runter geht, nicht aber die ­Lebensmittelpreise – die sind noch immer 20 bis 25 Prozent höher als vor dem Ukrainekrieg. Müssen wir uns daran gewöhnen? Alle gehen davon aus, dass sie nicht mehr sinken werden, dass wir das Vor-Ukraine-Niveau nicht erreichen und auch keine Deflation bekommen werden. Ist das also ‚New Normal der Preispolitik‘? Und was hat das jetzt für Auswirkungen? Nun, ein Teil der Kunden wird sich daran gewöhnen und zu Markenartikeln zurückgehen. Aber nicht in dem Maße, wie es vorher war. Die Marktanteilsgewinne der Handelsmarken, die wir jetzt beobachten, werden sie zu einem Großteil behalten. 


ZUR PERSON

Prof. Stephan Rüschen

Seit 2013 verantwortet Stephan Rüschen an der DHBW Heilbronn eine Professur im Studiengang BWL-Handel mit besonderer Spezialisierung auf den Bereich Food/Lebensmittelhandel. Der ehemalige Geschäftsführer der Metro Cash & Carry Deutschland hatte seit 2001 in verschiedenen Funktionen für Metro Cash & Carry gearbeitet, sowohl in Deutschland als auch international, zuletzt als Customer Management Director. Seine Schwerpunkte sind Betriebsformenentwicklung, Kundenorientierung, Preispolitik, Internationalisierung und E-Commerce.

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