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"Riesige Kollateralschäden durch die Isolation"

Weihnachtsgeschäft während einer Pandemie: Wie beurteilt ein Lebensmittelhändler, der auch Arzt ist, die aktuelle Lage? Rewe-Kaufmann Sahin Karaaslan im RUNDSCHAU-Interview.

Von Martina Kausch | Fotos: Delikatessa/ Peter Vogel

Während des Medizinstudiums entdeckte Sahin Karaaslan sein Händlergen, heute führt der selbstständige Rewe-Kaufmann vier Märkte. Die momentane Situation betrachtet er als Händler als herausfordernd, weil Abstand in Märkten schwer zu gewährleisten ist und Mitarbeiter Ängste haben. Als Arzt befürchtet Karaaslan dramatisch schwierige Monate. Er rückt mit Hochachtung die Arbeit des medizinischen Personals in den Fokus: "Alle, die sich um Corona-Patienten kümmern, riskieren ihr Leben!"

Herr Karaaslan, wie schätzen Sie die aktuelle Lage als Arzt und Händler ein?

Für einen Kaufmann sind die Zeiten wirklich herausfordernd und als Arzt sehe ich, dass wir vor schwierigen Monaten stehen. Lebensmittelhändler haben in diesem Jahr deutlich mehr Umsatz gemacht – mit Ausnahme von Märkten an besonderen Standorten, beispielsweise in der Nähe von Firmen, von denen die Mitarbeiter im Homeoffice waren oder bei Schulen, die geschlossen waren.

Allerdings ist nicht alles Gold was glänzt. Viele Mitarbeiter machen sich trotz aller Schutzmaßnahmen Sorgen, wie viel Nähe zum Kunden sie noch zulassen können, sind verunsichert. Bis jetzt haben wir in unserem Betrieb Glück gehabt, hatten nur wenige Quarantänefälle, aber die nächsten Wochen werden hart.

Die Corona-Lage ist eskaliert. Jetzt kommen die Kälte und die Feiertage. Die Menschen sitzen zusammen und nach ein paar Stunden weiß doch mancher nicht mehr, welches sein Glas ist … das ist hochgefährlich bei einem solch infektiösen Virus. Dramatisch ist die Lage für Einzelhändler, die nicht im Lebensmittelhandel sind und die jetzt schließen müssen, obwohl sie für wirkungsvolle Hygienekonzepte Geld in die Hand genommen und investiert haben. Der Einzelhandel ist kein HotSpot. Ich fürchte, dass nicht alle wieder aufmachen werden. Da gehen Traditionen kaputt, sehr, sehr schade.

Riesige Kollateralschäden

Ich befürchte aber neben den wirtschaftlichen Folgen riesige Kollateralschäden durch die Isolation. Die psychische Situation für die Menschen ist sehr, sehr schwierig. Keine Vereinstreffen, keine Kneipen, keine Konzerte, keine Disko, kein Theater, kein Feste, überhaupt keine Events. Und das seit fast einem Jahr! Der Mensch braucht soziales Leben! Die psychischen Schäden halte ich für gefährlicher als die wirtschaftlichen. Wir werden mehr häusliche Gewalt erleben, mehr Alkoholkranke, und vieles, was man auf den ersten Blick nicht sieht, was aber sehr schwer wiegt.

Als Arzt sehe ich – und das ist sehr positiv – dass Menschen mehr Hygienebewusstsein entwickeln, und ich glaube, dass viele auch nach Corona hier sensibilisiert bleiben werden. Infektionskrankheiten sind ein Problem, sie können schwere Verläufe haben und man kann sie oft durch Hygiene verhindern.

Was sind für Sie als Händler aktuell die größten Herausforderungen? Gibt es (neue) Maßnahmen, die Sie in den Märkten ergreifen?

Ja, wir öffnen die Märkte eine Stunde früher, um sechs Uhr statt um sieben Uhr, damit sich die Frequenz entzerrt. Wir müssen gewährleisten, dass die Zehn-Quadratmeter-Regel eingehalten wird. In Baden-Württemberg gibt es nach 20 Uhr eine Ausgangssperre, wir müssen dafür sorgen, dass die Mitarbeiter Passierscheine bekommen, wenn sie nach 20 Uhr unterwegs sind.

Was nehmen Sie sich persönlich für die Zeit zwischen dem Ladenschluss am 24. 12. um 14 Uhr und der Ladenöffnung am 27.12. um 6 Uhr vor? Wie feiert Familie Karaaslan Weihnachten? Bach oder Jingle Bells, Kebab oder Gans?

Ich nehme mir vor, das Handy auszuschalten. Wir feiern mit Tannenbaum, Gans und kurdischer Musik. Wir sind ja Moslems und wir lieben dieses Fest. Diese besinnliche Atmosphäre, die vielen Lichter, das tut der Seele gut. Gerade in dieser aktuellen Lage ist es schön, mit der Familie – ich habe ja fünf Kinder – eine glückliche Zeit zu verbringen.

Eines ist mir noch sehr wichtig. Ich möchte meinen großen Respekt ausdrücken allen gegenüber, die aktuell im Gesundheitssystem arbeiten, egal ob Pflegepersonal, Sanitäter, Ärzte. Jeder Kontakt mit einem Coronapatienten ist hochgefährlich und alle, die sich um diese Patienten kümmern, riskieren ihr Leben! Man kann vor diesen Menschen gar nicht genug Hochachtung haben.

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