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Round Table Spirituosen: Ruhe bewahren in bewegten Zeiten

Zögerliche Kunden, sinkende Absätze, rückläufiges Premium-Geschäft… Welche Antworten kann die Spirituosenindustrie jetzt geben, um Kunden zu begeistern? Und welche Liquids haben eine Zukunft? Wir haben mit sechs Experten diskutiert.

Von Alexander Thürer | Fotos: Jörg Brockstedt

THEMA 1: Konsumlaune

Welche Auswirkungen hat die Kaufzurückhaltung der Shopper auf den aktuellen
Spirituosenmarkt?

Ein Jahr ist es her, dass die RUNDSCHAU zuletzt ausgewählte Experten der Spirituosenbranche zum Round Table-Gespräch versammelte. Der Grundsatztenor damals: Der Premium-Trend wird bleiben und mit größeren Verschiebungen in günstigere Qualitäten sei nicht zu rechnen. Vielmehr hatten die Hersteller seinerzeit vor allem noch mit Lieferketten und Rohstoffknappheit zu kämpfen. Wie schätzen die Experten die Großwetterlage aber aktuell ein?

„Die Konsumenten sind momentan sicherlich stark verunsichert und agieren daher eher zurückhaltend. Gepaart mit dem Kostendruck, den wir alle haben, ist das schon eine herausfordernde Situation. Daher ist die Stimmung gerade eher angespannt, was auch die aktuellen Zahlen belegen. Das zeigt sich auch im Abgang zur Handelsmarke, was langsam, je nach Kategorie, durchaus der Fall ist“, schätzt Jens Stachowiak, Geschäftsführer bei Pabst & Richarz, die Lage ein. Besonders stark sei der Kundenswitch hin zur Handelsmarke im Bereich der Fruchtspirituosen zu spüren, wo diese zuletzt laut Circana-Zahlen rund 16 Prozent gewonnen hätten.


"Fast alle Kategorien sind aktuell von der Preissensibiliät der Kunden betroffen."

Torben Jansen, Henkell Freixenet


Ähnlich sieht das Torben Jansen von Henkell Freixenet: „In der Vergangenheit haben wir viel über „Premiumisierung“ und „Weniger, aber besser“ gesprochen und ich glaube noch immer, dass das auf lange Sicht so sein wird. Aber aktuell ist die Preissensibilität der Verbraucher extrem hoch. Und angesichts der Preisrunden, die fast jeder von uns gerade hinter sich gebracht hat, sind fast alle Marken und Kategorien davon betroffen, abgesehen vielleicht von einigen Ausreißern im Aperitif-Bereich. Was wir momentan sehen, ist oftmals ein Downtrading der Kunden, die dann bei bestimmten Produkten zur günstigeren Alternative greifen oder die Kategorie komplett wechseln.“

Konkret könne das bedeuten, dass man bei Einladungen etwa eher zum Sixpack Bier als Mitbringsel als zur Spirituose greife. An die höheren Preise müssten sich Kunden eben erst einmal gewöhnen. Ähnlich sieht das Thomas Mempel, Vorstand und CCO der Semper idem Underberg AG. „Wir werden mit der Konsumzurückhaltung bis mindestens nächstes Jahr zu kämpfen haben und uns darauf einstellen müssen, dass wir vorerst kein so dynamisches Wachstum mehr sehen. Und der Verbraucher verändert sich auch ein Stück weit. Die Menschen wollen weniger Alkohol trinken, und wenn, dann meist mit einer geringeren Grädigkeit.“

Eine weitere Unwägbarkeit komme vonseiten der Politik, da man nicht wisse, was mit der Spirituose allgemein passiere, etwa bei Themen wie Branntweinsteuer oder Deklarationspflichten. Bei vielen Politikern werde Spirituose mit Droge gleichgesetzt, das dürfe man nicht unterschätzen. Ein weitaus promotion-affineres Shopperverhalten beobachtet Thomas Kupich von Jägermeister: „Der Handel rüstet dementsprechend natürlich auf, wir sehen mehr Handzettelanstöße, die sich aber auf die wesentlichen Marken beschränken. Besonders sichtbar ist das im Gin-Bereich. Gin ist eine der wenigen Kategorien, die mengenmäßig noch wächst, wenn auch nicht in der Breite wie in den letzten Jahren. Das Wachstum betrifft vor allem die Preiseinstiegs- und StandardmarStandardmarken, Premium, Super- und Ultrapremium verlieren zweistellig.“ 
 Doch auch bei der aktuell schwächelnden Konsumlage gibt es Faktoren, die Hoffnung machen und auf die sich aufbauen lässt. Da ist sich zumindest Philipp Fellmann von Waldemar Behn sicher. „Es wird aber auch wieder mehr gefeiert, die Leute wollen raus und die ganzen Krisen kurzzeitig vergessen, sich ablenken. Das haben wir in den letzten Monaten verstärkt beobachten können. Darauf können wir alle aufbauen, das ist eine große Chance.

THEMA 2: Handelsmarke

Welche Rolle spielt das Thema Marke bei beim Kaufentscheid der Shopper? 

„In anderen Warengruppen haben Handelsmarken bereits große Zuwächse erlebt, in der Spirituose war dies lange eher ein untergeordnetes Thema. Doch nun könnte sich das auch hier ändern – abhängig von der Kategorie – zumal Handelsmarken mittlerweile wesentlich attraktiver und hochwertiger auftreten“, meint Jens Stachowiak. Wie wichtig ist dem Kunden in Zukunft daher die Marke?

Thomas Mempel zieht bei dieser Frage erst einmal einen größeren Rahmen auf: „Wir sehen beispielsweise, dass die Besucherzahlen bei Festivals enorm steigen, obwohl die Tickets sehr teuer geworden sind. Der Drang der Menschen, an Live-Events teilzunehmen, ist also enorm. Dieses Phänomen hat Auswirkungen auf den Alltagskonsum. Darauf müssen wir uns als Industrie einstellen, bis sich hier wieder ein neues Gleichgewicht gefunden hat. Fest steht aber noch immer: Marke macht Spaß. Marke schafft Vertrauen. Und wenn ich Gäste habe, stelle ich immer die Marke auf den Tisch.“

Auch Thomas Kupich sieht noch keine größeren Verschiebungen: „Anders als in anderen FMCG-Segmenten, in denen Handelsmarken enorm an Bedeutung gewonnen haben, haben wir bei Spirituosen noch immer einen Markenanteil von 72 Prozent im Umsatz. Das ist eine Riesenchance für uns. Menschen konsumieren bei Spirituosen auch immer eine ganze Markenwelt mit.“ Dem pflichtet auch Philipp Fellmann bei: „Spirituosen sind ein verbindendes Element, ein gemeinschaftliches Erlebnis. Genau da werden Marken immer stark sein.“ Im Heimkonsum, der auch mal alleine stattfindet, könne das aber anders aussehen, hier hätten Handelsmarken größeres Potenzial. 


"Gerade bei komplexen Portfolios ist man gut beraten, sich auf Dachmarken zu fokussieren."

Jens Stachowiak, Pabst & Richarz


Bleibt noch das Thema Preisrunden, die in diesem Jahr besonders herausfordernd waren. Wie steht es generell um das Kräfteverhältnis zwischen Industrie und Handel? Hier komme es immer auf die Größe des jeweiligen Unternehmens an. „Ein internationaler Player hat da natürlich viel mehr Power. Der kann sagen ‚Deutschland macht für mich nur fünf Prozent vom Absatz aus‘ und kann selbstbewusst ins Gespräch gehen. Für deutsche Produzenten hat der Heimatmarkt natürlich eine weitaus größere Bedeutung“, so Philipp Fellmann. Gerade hier werde beim Handel zu wenig differenziert, so die einhellige Meinung.

Dabei sei es gerade die großen Markenfülle mit Playern ganz unterschiedlicher Größe, die das Spirituosensegment so erfolgreich mache. „Hier muss man als Produzent und Importeur sagen, dass es die Markenfülle von großen, kleinen und mittleren Erzeugern braucht. Denn ansonsten hätte man es perspektivisch nur noch mit wenigen Global Playern zu tun, die den Markt bestimmen könnten – und das kann nicht im Interesse des Handels sein“, ergänzt Chris Swanepoel von Mack & Schühle. 

THEMA 3: Agieren am PoS

Wie muss man Marken am PoS heute aktivieren, um Konsumenten anzusprechen?

Aktuelle Studien haben es bereits gezeigt: Alltagsflucht – im Großen wie im Kleinen – ist ein bestimmendes Thema bei Konsumenten. Aber wie bekommt man sie dazu, auch neben Events und besonderen Anlässen nachhaltig zu Spirituosen zu greifen? „Wir sind jetzt – vielleicht noch mehr als sonst – als Hersteller gefragt, für unsere Marken einzutreten, die Awareness zu steigern. Da sind klassische Medien wie Fernsehen aber lange nicht mehr ausreichend.

Gerade die jüngere Zielgruppe ab 18 Jahren erreichst du eben besser über soziale Medien. Und wenn man Kampagnen umsetzt, muss man auch den Handel einbeziehen“, erklärt Thomas Kupich die Herangehensweise von Jägermeister, wo man beispielsweise stark auf die Verlängerung von Kampagnen durch Themenplatzierungen am PoS setzt. „Unsere Fassreife-Kampagne haben wir während der TV-Werbung zum Beispiel mit Fassreife Platzierungen am PoS unterstützt. Auch bei einer Präsenz auf dem Parookaville Festival muss man immer den Handel mit einbeziehen und überlegen, wie man PoS-Aktivitäten mit einbinden kann. Wir haben das mit Festivaletiketten und Verlosungen auf der Fläche gemacht, wo man dann Zelte, Luftmatratzen oder Ähnliches gewinnen konnte.“


"Wir haben bei Spirituosen noch immer einen Markenanteil von 72 Prozent!"

Thomas Kupich, Jägermeister


Für Philipp Fellmann ist klar: „Es war schon immer so, dass man sich anpassen musste. Aber es bleibt dabei: du musst in die Zweitplatzierung kommen und dort dein entsprechendes Thema inszenieren.“ Thomas Mempel sieht noch weitere Herausforderungen, denn „der Verbraucher will heute doch viel mehr über eine Marke wissen. Wo kommt sie her, wofür steht sie, was sind die Zutaten und welche sind nicht enthalten? Das zu kommunizieren ist wichtig, aber man sollte sich auf einzelne Marken fokussieren und diese dann in der Tiefe erlebbar machen.“ Für Chris Swanepoel ist sowohl das Category Management als auch die enge Zusammenarbeit mit dem Handel sehr wichtig: „Der Handel kann dadurch Zusatzumsätze generieren und der gemeinsame Erfolg und die gute Vermarktung können dadurch gefördert werden.“ 

Die Fokussierung auf die Renner-Marken, Optimierung des Category Managements, tiefere Kommunikation der Markenwerte, Merchandising auf der Fläche... sind das nicht Themen, die primär nur Big Player anschieben können? Torben Jansen stimmt dem zu, sieht Big Brands aber auch in einer speziellen Verantwortung: „Es ist auch die Aufgabe eines Marktführers, die Kategorie und den Markt zu bearbeiten und weiter aufzubauen, damit sie wächst.“

THEMA 4: Zukunftstrends

Welche Liquids haben aktuell die besten Chancen auf eine Zukunft im LEH?

Der Geldbeutel der Kunden sitzt fester, was der Premium-Trend aktuell zu spüren bekommt. Doch Handelsmarken können hiervon noch nicht massiv profitieren, an der Marke führt im Spirituosenbereich noch kein Weg vorbei. Zugleich scheint auch die Suche nach dem nächsten Hype nach dem Gin im Sande verlaufen zu sein. Auf welche Spirits sollten Handel und Industrie also in Zukunft setzen, was werden die Kunden in nächster Zukunft trinken wollen?

„Ich denke, da kommt man an den Themen Ready-to-Drink und Alkoholfrei nicht vorbei, allerdings zunächst auf vergleichsweise niedrigerem Niveau“, prognostiziert Thomas Mempel. „Auch das Thema Tequila könnte bei uns in Deutschland ankommen, ebenso wie der Rum, auf dessen Durchbruch wir aber schon eine Weile warten.“ Gerade beim Thema Tequila sehen die Experten aber noch viele Hürden. „Es ist ein geniales Produkt, aber auch imagetechnisch vorbelastet und erklärungsbedürftig. Im Gegensatz dazu ist Aperitif viel einfacher und unkomplizierter. Dieser Markt wird in Deutschland weiter wachsen“, ergänzt Philipp Fellmann. Dabei gehe es nicht nur um das Bittere aus Italien, sondern auch um andere Varianten, die auch aus der Kategorie Wein heraus wachsen könnten.

Geht es in Sachen Trends also primär nicht mehr um eine neue Boom-Spirituose, sondern viel eher um den neuen Boom-Konsumanlass? „Es geht vor allem auch um das Thema Convenience, das ist ein weltweiter, übergeordneter Trend. Es muss schnell, einfach, unkompliziert sein, braucht aber auch eine gewisse Transparenz, damit die Käufer verstehen, was drin steckt. Es geht um Themen wie Healthy Drinking, Low-ABV und alternative Verpackungen“, erklärt Chris Swanepoel. Auch Thomas Kupich geht da mit und sieht vor allem kleine Gebinde im Trend: „Wir beobachten seit Jahren ein starkes Wachstum bei Kleinflaschen. Da reden wir über das Thema einfachen, schnellen To-Go-Verzehr.“

Torben Jansen sieht zudem eine leichte Abkehr von dem „Nerd-Tum“, das man vor allem bei Gin beobachten konnte. „Beim Gin waren die Leute stolz auf ihr Wissen, aber die Storys sind mittlerweile fast alle auserzählt.“ Dass der Spirituose jedoch einmal der Gesprächsstoff ausgeht, diese Gefahr besteht auch nach diesem Round Table nicht.


Round Table Spirituosen

  • Jens Stachowiak, Geschäftsführer, Pabst & Richarz Vertriebs GmbH
  • Philipp Fellmann, Geschäftsführer, Waldemar Behn GmbH
  • Thomas Kupich, Senior Director Sales Off-Trade, Mast-Jägermeister
  • Thomas Mempel, Vorstand & CCO, Semper idem Underberg AG
  • Torben Jansen, Head of Marketing, Henkell Freixenet Deutschland
  • Chris Swanepoel, Director of Marketing, Mack & Schühle AG
  • Alexander Thürer, Chefredakteur, RUNDSCHAU für den Lebensmittelhandel

 

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