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RUNDSCHAU Round Table Handel: „Wir sind weit davon entfernt, hip zu sein“

Gestiegene Ansprüche, demografischer Wandel, Akademisierung – Ausbildung, quo vadis? Die Hürden sind hoch. Generation Z tickt anders – sie sucht nach Sinn, nicht nach Macht. Eine Gesprächsrunde mit Personalverantwortlichen aus dem Handel im Rahmen von Grips&Co.

Round Table, Ausbildung und Personalentwicklung im Handel, Rundschau, Medialog
Foto: H. Rhode
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Von Sarah Landau, Linda Schuppan

Wir starten mit einer kleinen Selbsteinschätzung zum Auftakt: Wie steht es um Ihre Nachwuchspflege?
Noppenberger:
Ich glaube, dass man heute mehr Anstrengungen betreiben muss, um gute Leute zu finden. Aber ich glaube auch, dass man es schaffen kann, wenn man aktiv auf Schulen zugeht und die jungen Leute frühzeitig begeistert. Besonders schwierig ist es im gesamten handwerklichen Bereich, sprich dem Fachverkäufer oder dem Fleischer. Da besteht Handlungsbedarf.
Brähler: Für den Handel liegt eine große Chance darin, wenn er das, was er bei der Darstellung seiner Ausbildungsleistung werblich nach außen trägt, am Ende auch wirklich einlöst. Dass er den jungen Leuten eine positive Erfahrung bietet in dem Sinne, dass diese bei der Rekrutierung keine rosarote Brille vorgehalten, sondern ein authentisches Bild gespiegelt bekommen. Beim Thema Mitarbeitergewinnung ist es meiner Meinung nach am einfachsten, über das persönliche Gespräch zu kommen und Auszubildende, Führungskräfte oder andere feste Mitarbeiter aus erster Hand erzählen zu lassen. An solchen Punkten sollten wir ansetzen.
Lehmann:
Das Image des Handels hat sich in den vergangenen Jahren zweifelsfrei verbessert – dennoch sind wir als Branche weit davon entfernt, hip zu sein. Hier sollten alle Unternehmen das gleiche Interesse haben, den Handel noch attraktiver zu machen. Wären im Handel eventuell mehr Synergien bei der Nachwuchsgewinnung denkbar oder wünschenswert?
Brähler: Also, wenn einer der anwesenden Kollegen und ich auf einer Messe stehen würden und da wäre ein geeigneter Kandidat: Ich würde alles tun, damit er zu uns kommt, so nett wir hier beisammensitzen und uns verstehen. Gerade um gute Führungsnachwuchskräfte im Vertrieb herrscht ein harter Wettbewerb. Und deswegen passt das Wort Illusion hier sehr gut. Selbst wenn man es von Herzen wollte, hat man ja trotzdem Ziele zu erfüllen und muss an sein eigenes Unternehmen denken
Lehmann: Prinzipiell kann und muss hier jeder seine eigenen Antworten finden. Dennoch gibt es meiner Ansicht nach durchaus Möglichkeiten, gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Wir könnten zum Beispiel gemeinschaftlich zeigen, dass es im Handel sehr flache Hierarchien gibt oder dass bei uns Karrieren auch ohne Hochschulabschluss möglich sind.
Baumgart: Wir in Neuwied würden uns gemischte Klassen wünschen, weil sich dann die Nachwuchskräfte viel mehr austauschen. Wir haben zum Beispiel eine Klasse Nachwuchskräfte von Kaiser‘s Tengelmann, die aktuell mit Rewe, Edeka und Netto neue Arbeitgeber bekommen – was da jetzt an Leben, Kreativität und Motivation drin ist; da wird der Markt umgebaut, da werden die Sortimente verkleinert. Die diskutieren sich quasi den ganzen Tag von einem Thema zum anderen.

Kommen wir zum Thema Flüchtlinge, in dem ja Potenzial stecken könnte: Welche Hürden gibt es da? Wie kommt die Branche hier voran?
Noppenberger:
Wir bei Real haben diesbezüglich eine klare Auffassung: Da, wo es möglich ist, unterstützen wir gerne. Aber leider ist das Prozedere häufig noch nicht strukturiert. Und es steht zurzeit auch keine ausreichende Menge an Daten zur Verfügung, die es der Agentur für Arbeit erlauben würden, komplett auskunftsfähig zu sein. Hinzu kommen Themen wie Sprachkenntnisse. Aus meiner Sicht wird dies eher ein Thema für 2018/2019 sein.

Weitere Meinungen hierzu?
Brähler:
Aus meiner Sicht stehen wir diesbezüglich an einem Übergang zwischen Idealismus und Realität. Es gibt noch keine Checkliste. Man kann nicht nach Schema F einzelne Schritte durchgehen und am Ende läuft die berufliche Integration, sondern man muss sich das momentan in fast jedem Individualfall neu erarbeiten. Ich glaube deshalb auch, dass es frühestens 2018 so weit sein wird, dass man reguläre Ausbildungen mit Geflüchteten starten kann. In der Zwischenzeit müssen uns noch einige Mechanismen an die Hand gegeben werden, damit wir das als Unternehmen effizient abwickeln können. Und der wichtigste Punkt ist auch für mich der, den Herr Noppenberger eben benannt hat: Sprachfähigkeit ist für uns im Handel unersetzbar.

Wo sehen Sie generell noch Potenzial in der Mitarbeiterentwicklung?
Lehmann:
Arbeitsplätze werden einerseits immer dynamischer und komplexer, andererseits wollen junge Menschen heute ganz schnell immer mehr. Wir müssen dabei aufpassen, sie nicht zu verbrennen und ihnen aus purem Attraktivitätsgedanken Positionen zu geben, denen sie noch gar nicht gewachsen sind. Schauen wir uns zum Beispiel eine Marktleiterstelle an: Die ist unglaublich vielschichtig geworden in den letzten Jahren. Das ist viel mehr als nur einen Schlüssel haben und Ware verräumen. Da stehen viele Führungs- und Selbstorganisationsaufgaben dahinter. Ich sehe deshalb vor allem Bedarf in der Weiterentwicklung von persönlichen Kompetenzen. Nur so können wir auch als Unternehmen gesund bleiben.
Noppenberger: Ich glaube, die größte Herausforderung wird darin liegen, die bestehenden Mitarbeiter/-innen so zu qualifizieren und mitzunehmen, dass sie es schaffen, im Tagesgeschäft locker E-Commerce mit dem stationären Handel zu verbinden. Ziel muss sein, dass der Mitarbeiter im Beratungsgespräch neben dem bestehenden Sortiment auch Produkte aus dem Onlineshop mit offeriert, um dem Kunden eine bestmögliche Beratung und ein optimales Angebot zu gewährleisten.

Mal andersherum gefragt: Welche Werte haben für Nachwuchskräfte an Gültigkeit gewonnen?
Böwe:
Ich erlebe in der Zentrale, dass bei den jungen Leuten Hierarchie- und Machtdenken vollkommen abgeschwächt sind. Die „alten“ Benefits verlieren an Bedeutung, der Job muss auch Sinn machen. Ich gehe nach Hause und muss sagen: „Jawohl, es war gut, dass ich da war, und es hat auch mir etwas gebracht.“ Alles, was mit Symbolen und Status verbunden ist, verliert an Wertigkeit. Dafür geht es stärker um Ehrlichkeit und Kollegialität.

Gibt es grundsätzlich etwas, was Ihnen die Arbeit erleichtern würde?
Burmeister:
Das Thema Ausbildung muss stärker aufgewertet werden – und das ist aktuell unsere Aufgabe. Wir brauchen auch Fachkräfte in unseren Filialen und nicht nur Führungskräfte.

Info

Die fünf zentralen Thesen
› Duales System stärken, Fachverkäuferberufe nicht dadurch abwerten, dass eine immer größere Akademisierung vorangetrieben wird.
› Ausbildung auf Augenhöhe und mit Mehrwert (E-Learning, Karrieremöglichkeiten auch ohne Abitur).
› Handel im Mitarbeitergewinnungs- Prozess erlebbar und greifbar machen, zum Beispiel durch Vor-Ort-Besuche und persönliche Gespräche.
› Für die Anstellung von Geflüchteten sollten schnellstmöglich klare Rahmenbedingungen geschaffen werden.
› Gemeinschafts- und Persönlichkeitsskills müssen im Ausbildungsprozess gestärkt werden.

Round Table, Ausbildung und Personalentwicklung im Handel, Rundschau, Medialog
Die Teilnehmer (v.l.n.r.) an der Grips&Co-Gesprächsrunde mit anschließender Diskussion zum Thema Ausbildung und Personal: Mario Winges (Food Akademie), Fee Lorenz (Norma), Olaf Stieper (Edeka), Kristine Baumgart (Food Akademie), Stefan Noppenberger (Real), Janine Burmeister (Kaufl and), Heiko Böwe (Rewe), Michaela Otterbach (Kaufl and), Tina Schumacher (Rewe), Frank Brauer (Lidl), Nadja Lehmann (Penny), Melanie Flaig (Lidl), Benjamin Brähler (Tegut). Foto: H. Rhode
Round Table, Ausbildung und Personalentwicklung im Handel, Rundschau, Medialog
Foto: H. Rhode
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Round Table, Ausbildung und Personalentwicklung im Handel
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