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Unverpacktes Einkaufen

Allerlei Verpackungsfrei, Unverpacktes Glück, Tante Olga oder Mit Liebe unverpackt – das sind nur einige Namen der mittlerweile knapp 380 Unverpackt-Läden in Deutschland. Die Unverpackt-Bewegung wächst immer stärker. Auch in den LEH hält das Konzept des unverpackten Einkaufens langsam Einzug.

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Von Johanna Wies | Fotos: Unverpackt-Verband, Gregor Witt, Jens Pape, Daniel Kükenhöhner, Bananeira

Die Menge des Verpackungsmülls ist in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich gestiegen. Das betrifft vor allem Papier und Plastik. 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsabfall fielen in Deutschland 2018 laut dem Umweltbundesamt an. Das sind mehr als 227 Kilogramm pro Kopf und Jahr, von denen rund 108 Kilogramm auf private Endverbraucher entfallen. Dr. Susanne Wiese-Willmaring, DBU-Referatsleiterin für Lebensmittel, sagt: „Besonders die Kunststoffabfälle sind für eine Vielzahl von Umweltproblemen verantwortlich". Schnell kommt bei einem Einkauf viel Verpackungsmüll zusammen. Eine Möglichkeit, weniger Verpackungsmüll zu erzeugen, ist unverpacktes Einkaufen.

Abwiegen, befüllen, zahlen

„Unverpackt“ bedeutet, dass ein Händler Waren bezieht, mit so wenig Müll wie möglich, und diese Kunden zum selbst abfüllen anbietet. Das Ziel: dabei die Müllmenge zu reduzieren. So beschreibt Gregor Witt das Konzept, er ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Unverpackt-Verbandes. Nudeln, Nüsse, Kaffee, aber auch Öle, Essig oder Reinigungsmitteln, das alles können sich Kunden in Unverpackt-Läden in der gewünschten Menge abfüllen. Hierfür bringen diese in der Regel eigene Gefäße mit, die sie im Laden zunächst abwiegen, damit das Eigengewicht später an der Kasse nicht mitberechnet wird.

Den ersten Unverpackt-Laden Deutschlands gründete Marie Delaperrière 2014 in Kiel. Die Gründung des Branchen-Verbandes erfolgte 2018 in Nürnberg. „Das Konzept des Unverpackt-Ladens wird mittlerweile von großen Teilen der Gesellschaft angenommen“, sagt Gregor Witt. Aktuell sind beim Verband 380 Läden gelistet, 266 weitere in Planung.

„Die reinen Unverpackt-Läden haben die Pionierarbeit geleistet und somit auch einen Einfluss auf den LEH“, ist sich Witt sicher. Das hat zu einer gesteigerten Nachfrage geführt und dazu, dass der klassische LEH ebenfalls unverpackte Ware anbietet. Auch im Nonfood-Bereich. In vielen Märkten, wie dm, Rossmann oder Aldi, gibt es bereits feste Duschgele und Shampoos, Bambus-Zahnbürsten oder Zahnputz-Tabletten – das Angebot wächst derzeit rasant. In einem Alnatura- Pilotprojekt können sich Kunden in drei Testmärkten flüssige Produkte wie Kosmetik, aber auch Reinigungsmittel abfüllen. Steffanie Rainers, Gründerin des Start-ups „Without me“, hat ein nachhaltiges Shampoo als auch zugehörige Edelstahlflaschen entwickelt. In diese wird das Shampoo am Automaten oder online abgefüllt. Das Auffüllsystem sei das Erste auf dem deutschen Markt mit einer komplett plastikfreien Handelskette.

LEH zieht nach

Auch in Supermärkten wird mehr und mehr unverpackt angeboten. Gesamtzahlen können Edeka und Rewe auf Anfrage nicht nennen. Tegut hat mittlerweile 18 von insgesamt 283 Märkten mit Unverpackt-Stationen ausgerüstet. Als Teil des Edeka-Verbundes hat Edeka Minden-Hannover derzeit insgesamt 32 Unverpackt-Stationen in seinem Vertriebsgebiet mit circa 1.500 Märkten.

Einer davon ist das Edeka Center Weserpark, der Ende November 2020 eröffnet wurde. Im neuen Markt wurde eine Unverpackt-Station eingebaut, „weil unverpackte Lebensmittel absolut im Trend sind. Insofern ist sie ein Bestandteil unserer Sortimentsstrategie, die auf Nachhaltigkeit basiert“, erklärt Marktleiter Rainer Ehme. In der Station werden circa 100 Sorten von unverpackten Bio-Lebensmitteln angeboten, Schwerpunkt-Sortimente sind Trockenfrüchte, Müsli und Vollwertkost. Zudem können Kunden an einer Abfüllstation Wasch- oder Spülmittel abfüllen.

Anfangs wurde die Unverpackt-Station etwas zögerlich angenommen, berichtet Ehme, auch weil sie in der Bioabteilung im hinteren Bereich des Marktes liegt. Nachdem sie dann unter anderem auf Facebook und Instagram kommuniziert wurde, wurde sie immer beliebter.  

Professor Doktor Jens Pape, Fachgebiet Nachhaltige Unternehmensführung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), beobachtet auch, dass sich Unverpackt-Stationen immer mehr verbreiten. „Im Moment zeigt sich, dass unverpackt den Handel insgesamt inspiriert. Das Thema, wie Verpackungsfunktionen ersetzt werden können, ist virulent.“

Daniel Kükenhöhner, Inhaber von Petzinger, berät verschiedene inhabergeführte Unternehmen im Bio-Bereich. In den letzten drei Jahren hat er in jedem seiner Projekte unverpackt integriert. Und stellt fest, dass außerhalb des Fachhandels das Thema als Mode wahrgenommen wird. Doch: „Es wird nicht als Potenzial für Umsatzsteigerung und Kundenberatung genutzt. Die Reformhäuser haben schon vor 30 Jahren Unverpacktes anboten. Doch da es sich scheinbar nicht rentierte, ist es wieder verschwunden. Allerdings haben wir die Rückmeldung, dass in diesem Sortimentsbereich hohe Erträge zu machen sind. Wenn man es gut macht.“

Herausforderungen bei Unverpackt

Die strategische Zielsetzung sei laut Kükenhöhner das Allerwichtigste; der Händler müsse sich Ziele setzen, und entsprechende Maßnahmen umsetzen, um diese zu erreichen. Denn, da ist er sich sicher, „einfach nur unverpackt reinnehmen, weil es jeder macht, der Schuss geht garantiert nach hinten los.“ Zur Strategie gehören Themen wie Zielgruppendefinition, Sortimentsplanung, Ladenbau, Arbeitsabläufe, Kommunikation, Kosten und Logistik. „Es bedarf außerordentlich viel Pflege, damit es sauber ausschaut, und damit Personal und Zeit.“, so Kükenhöhner.

Rainer Ehme bekommt die unverpackten Produkte im Großgebinde geliefert, welche in die Bins (Behälter) gefüllt werden, die in einem Metallregal hängen. „Insgesamt sind wir bemüht Müll eigentlich zu vermeiden und Lebensmittel so wenig wie möglich zu vernichten“, erklärt Ehme. Dafür nimmt der Markt unter anderem teil an dem Konzept „Zu schade für die Tonne“, bei dem nicht mehr verkaufsfähige Lebensmittel an Kunden verschenkt werden.

Einheitliche Standards für Unverpackt-Läden

„Logistik und Zulieferer sind noch nicht an den verpackungsfreien Einkauf angepasst“, sagt Pape. „Wir brauchen effiziente und praxistaugliche Lösungen für Transportverpackungen, den Einsatz von nachhaltigen Verpackungsmaterialien und Mehrwegsystemen.“ Die HNEE erarbeitet in einem Projekt branchenweite Standards für den Unverpackt-Handel, um Verpackungsmüll systematisch zu reduzieren. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert das Projekt mit rund 291.000 Euro. „Wir wollen uns die Wertschöpfungskette genauer ansehen. Ziel ist es Standards für effiziente Prozesse und Mehrwegverpackungen zu entwickeln“, so Pape. Dies sei notwendig, um Produkt-, Um- und Transportverpackungen, wie Stretchfolie, einzusparen. Neben den Themen Hygiene und Schutz seien auch die Informationen, die oft auf der Verpackung stehen, zu beachten. Hierfür müssen Lösungen gefunden werden, zum Beispiel mithilfe von Digitalisierung. 

Neue Gesetze sind gefordert

Im Bereich Politik und Forschung möchte Gregor Witt Impulse setzen mit dem Ziel, die Verpackungsindustrie zu verändern. „Wir werden mittlerweile im wirtschaftlichen Kontext ernst genommen. Nun muss die Politik folgen und Gesetze auf den Weg bringen, den Müll mehr regulieren und restriktiveren.“ Eine zentrale Forderung ist eine in der Form funktionierende Kreislaufwirtschaft, bei der Lebensmittel auch in Rezyklate verpackt werden dürfen.  Er erklärt: „Für fast 100 Prozent jeder Lebensmittelverpackung wird ein neuer Rohstoff verwendet, und kein wiederverwerteter. Ein riesiges Problem“ Ein Vorschlag von Witt: Es müssten Abgaben gezahlt werden für jede nicht recycelbare Einwegverpackung, die in Umlauf gebracht wird.

Von der Nische in den Massenmarkt?

„Die Dynamik hält sicher weiter an, doch ähnlich wie bei Bio wird es dauern von der ‚Nische in den Massenmarkt‘. Jedoch, das Thema wird immer mehr aufgegriffen,“ sagt Pape. Es gäbe bereits Großhändler, die viel ausprobieren, auch was Sekundär- und Tertiärverpackung angeht. Sie befüllen Mehrwegbehälter, wie Joghurtgläser, zum Beispiel mit Nüssen. Bananeira aus Nürnberg nutzt solch ein Mehrwegsystem. Der 2014 gegründete Großhändler und Produzent von Bio- und Fairtrade Produkten hat bereits über 500 Kunden aus dem Bereich der Unverpackt-Läden, Filialisten, Startups und Hersteller. Auch Bioläden und vereinzelt Supermärkte kommen inzwischen dazu.

Laut Rainer Ehme wird das Thema immer mehr Einzug im LEH finden, „weil es absolut im Zeitgeist liegt. Es ist natürlich ein gewisser Aufwand, da die Produkte besonderer Pflege bedürfen. Trotzdem glaube ich, wer sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, wird sich irgendwann dazu entscheiden.“ Daniel Kükenhöhner denkt ebenfalls, dass sich das Sortiment unverpackt, speziell in Deutschland, in den Läden festigen wird. Es werden aber auch viele Filialisten erkennen, dass sich das Angebot so nicht rentiert, und es reduzieren auf einige pflegeleichte Produkte. „Die anderen, die wirklich dahinterstehen, werden es weiterverfolgen und ausbauen, und die Kunden werden immer mehr.“

Da der Marktdruck steigt, will sich der Unverpackt-Verband wirtschaftlich besser aufstellen. „Wenn wir das schaffen, wird es ähnlich sein wie Bio in den Discountern oder Supermärkten: Es gibt immer noch Bioläden. Ich denke, hier hält es sich ähnlich: Es wird immer mehr Angebot geben im klassischen LEH, aber auch weiterhin Unverpackt-Läden“, so Gregor Witt.

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