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Vertical Farming: Aus der Cloud auf den Markt

Modernste Glashauskulturen versprechen bei Obst und Gemüse höchste Qualität und Schonung der Ressourcen. Die RUNDSCHAU informierte sich bei Forscherin Heike Mempel und bei Infarm in Berlin vor Ort.

Als Projekt »OrbiPlant®« entwickelt das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME ein innovatives, automatisiertes Pflanzenzuchtsystem.
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Von Martina Kausch | Fotos: Fraunhofer IME Andreas Reimann

Wissenschaftler und Unternehmen arbeiten am datengestützten, mehrstöckigen Unterglas-Anbau von Gemüse und Kräutern. An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf forscht Heike Mempel am Applied Science Centre 'Smart Indoor Farming'. Die RUNDSCHAU fragte nach und erhielt außerdem Einblicke in das Growing Center von Infarm in Berlin.

Frau Mempel, für welche Anbaubereiche sehen Sie Vertical Farming in Deutschland als Alternative oder traditionelle Anbautechniken ergänzende Methode?

In Deutschland können die Verbraucher bereits hochqualitatives Obst und Gemüse beziehen. Deshalb ist es für Vertical Farming Produkte schwer, sich gegen dieses optimierte System zu behaupten und mit den gegebenen Marktpreisen zu konkurrieren.

Wie hoch sind die Kosten beim Vertical Farming?

Tatsächlich schlagen beim Vertical Farming Produkten die noch hohen Energiekosten durch die Belichtung der Pflanzen auf den Verkaufspreis durch. Wir sehen diese Systeme in Deutschland daher vor allem als Ergänzung für einen Nischenmarkt neben den klassischen Produktionsmethoden im Freiland und im Gewächshaus.

Wo liegt dann das wirklich große Potenzial?

Ein großes Potenzial liegt in der Produktion von pflanzlichen Rohstoffen mit besonders hohen Qualitätsanforderungen beispielsweise an die Reinheit oder an bestimme Inhaltstoffe. Dies kann vor allem für die Lebensmittel-, Pharma- oder Kosmetikindustrie interessant sein, da die Produktion in einer Indoor Farm neue Möglichkeiten für eine "Just in Time" Produktion pflanzlicher Rohstoffe mit standardisierten Qualitätskriterien eröffnet.

In welchen Bereichen ist Vertical Farming im Hinblick auf die Ökobilanz empfehlenswert?

In Bezug auf den Wasserverbrauch stellen hydroponische Indoor Farming Systeme das effizienteste Kultursystem dar, wenn es um einen nachhaltigen Pflanzenanbau geht. Durch eigene Versuche mit Pak Choi (dt.: Chinesischer Senfkohl) konnten wir im Vergleich zum Anbau in einem herkömmlichen Gewächshaus eine Reduzierung von über 96 Prozent bestätigen.

Durch den geschützen Anbau (Controlled Environment Agriculture) mit Auschluss der Globalstrahlung (Sonnenstrahlung) und einem mehrschichtigem, hydroponischen Kultivierungssystem lassen sich besonders im Vergleich zum herkömmlichen Feldanbau vielversprechende Möglichkeiten zur Umsetzung weiterer Nachhaltigkeitsziele erkennen: Es ist kein Pestizideinsatz erforderlich, es gibt keine Nitratauswaschung in das Grundwasser, durch hohe Ressourceneffizienz werden Ressourcen geschont, die Standortunabhängigkeit ist ein weiterer Vorteil. Man kan außerdem eine hohe Flächeneffizienz erzielen und die Qualität gezielt beeinflussen. Die ganzjährige Produktion bei gleichbleibender Qualität eröffnet die Möglichkeit einer Just in Time Produktion.

Welche Gründe stehen diesen modernen Farmen entgegen, welche Herausforderungen sind die schwerwiegendsten?

Um die Anforderungen der Nachhaltigkeit zu erreichen, ist die größte Herausforderung für Indoor-Farming-Produktionsanlagen bis dato der hohe elektrische Energieverbrauch. Daher ist nötig diese Systeme mit erneuerbaren Energiequellen zu kombinieren, damit die genannten positiven Aspekte nicht aufgehoben werden. Vor diesem Hintergrund sollten Indoor Farmen zwingend mit regenerativen Energiequellen betrieben werden. Über 50 Prozent des Energieverbrauchs benötigt die Beleuchtung, weitere Verbraucher sind die Klimatisierung sowie die Entfeuchtung. In der Zukunft sind aber noch energetische Optimierungen für Indoor Farming Systeme zu erwarten und in Kombination mit ganzheitlichen Energiekonzepten sollten Indoor Farming Systeme klimaneutral werden

Wie schätzen Sie die Entwicklung ein – wird Vertical Farming in den kommenden Jahren in Deutschland signifikante Verbreitung finden?

Indoor Farming wird zukünftig neben dem Feldanbau und der geschützten Produktion im Gewächshaus eine weitere wichtige Säule der Landwirtschaft bzw. des Gartenbaus für ausgewählte Anwendungsfelder darstellen. Wir bemerken gerade stark steigendes Interesse an der Technologie sowohl von Schülern und Studierenden als auch aus der der Industrie. Dennoch Bedarf es für eine signifikate Verbreitung in Deutschland mehr Unterstützung und Förderung seitens der Politik um Demonstrationsprojekte zu schaffen. Und es ist eine intensive Öffentlichkeitsarbeit notwendig, um die Potentiale den Abnehmern und Konsumenten näher zu bringen.  

Mehr Informationen zum Projekt des Applied Science Center for Smart Indoor Farming der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

 

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