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Zusatzgeschäft im Blick

Ausschließlich Lebensmittel verkaufen? Zunehmend entwickeln Handelsunternehmen Ideen und Strategien für neue profitable Geschäftsmodelle. Wie kann das Wildern in unbekanntem Terrain bei so unterschiedlichen Playern wie der Schwarz Gruppe und Wasgau gelingen? Die RUNDSCHAU-Analyse bringt Überraschendes zutage.

Der neue „Projekt Campus“ der Schwarz Gruppe in Bad Friedrichshall. Auch der Zukauf von Unternehmen dient dem Einstieg ins Cloud-Geschäft für externe Kunden. Foto: JSWD/Bloom Images
Von Martina Kausch | Fotos: JSWD/Bloom Images

Von Automatisierungstechnik, also Robotik, und Prozessoptimierung für „more convenient, more for double“, praktische und bessere Angebote für die Kunden, spricht Rolf Schumann, Chief Digital Officer der Schwarz Gruppe, gerne. Auch bei den Retail Innovation Days der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Der frühere SAP-Manager, der nun die digitalen Strategien von Kaufland, Lidl und Co. verantwortet, weiß aber auch: Die Kundengewohnheiten (in Deutschland) ändern sich langsam, und noch länger dauert es, bis mit digitalen Konzepten im LEH Geld verdient wird.

Deswegen soll der Euro durch richtig neue Geschäftsfelder rollen. Statt Nudeln, Käse, Obst und Gemüse als Dauerbrenner, Mode und Heimwerkerbedarf als Aktionsware baut die Schwarz Gruppe darauf, nach der Übernahme des Unternehmens XM Cyber gleich richtig ins Cloud-Geschäft einzusteigen. XM Cyber bietet Cloud-Sicherheitssysteme, ein gefragtes Business. Auch dafür hat das Unternehmen aus Neckersulm ziemlich große Pläne.

„Die vertikal geschuppten Fassaden“

Think big – aber mit schwäbischem Augenmaß, das steht hinter dem Vorhaben „Projekt Campus“ in Bad Friedrichshall, wenige Kilometer von der Firmenzantrale in Neckarsulm entfernt. Die Visualisierung hat etwas Utopisches. „Wie große Blütenblätter liegen die poligonalen Gebäude mit ihren abgerundeten Ecken in der topografisch bewegten Landschaft. Trotz ihrer solitären Anmutung sind die Baukörper so gesetzt, dass sie eine gemeinsame, grüne Mitte umschließen. Terrassenartig gestaffelt bilden die zum Tal offenen Parkhausebenen ein Plateau für die Hochbauten“, beschreibt JSWD Architekten aus Köln die Optik der geplanten Gebäude: „Die vertikal geschuppten Fassaden fahren der Außenkontur der Baukörper nach.“

Auf einem Grundstück von 16 Hektar entstehen in zwei Bauabschnitten seit 2021 rund 5.000 Arbeitsplätze – was könnte die Ernsthaftigkeit des Digitalgeschäfts auch für externe Kunden deutlicher unterstreichen? Die Schwarz-Unternehmenskommunikation spricht allerdings davon, dass man sich „zunächst auf die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts“ konzen-triere, „die bauliche Umsetzung des zweiten Bauabschnitts ist derzeit nicht terminiert“.

Auskunftsfreudig ist man, wenn es darum geht, die „zahlreichen Nachhaltigkeitsaspekte“ der Gebäudeteile zu beschreiben. Die reichen von der Anlage von Regenwasserzisternen zur Reduzierung des Trinkwasserverbrauchs, Wärmerückgewinnung in technischen Anlagen, Photovoltaik- und Blockheizkraftwerk bis zu begrünten Dächern, denn: „Zahlreiche Bäume und Sträucher bieten Lebensraum für Tiere und Insekten.“ 
 

Rewe investiert in Technik aus Israel

Wo liegen bei anderen Handelsunternehmen die Strategien fürs Zusatzgeschäft? Rewe setzt auf Ideen und Entwicklungen, die näher am Kerngeschäft des Handels mit Lebensmitteln liegen – und das in Kooperationen mit, nicht durch Zukäufe von, Unternehmen. Selbst das Fischzucht-Gewächshaus auf dem Dach des Rewe-Green-Farming-Markts in Wiesbaden-Erbenheim wird nicht durch Rewe selbst betrieben; Entwicklung, Anlage und Betrieb des Aquaponiksystems leistet ein Berliner Start-up. 

Anders sieht es bei dem Pick&Go-Geschäft aus, dem Einkaufen ohne Scannen und ohne Kasse im Markt, das Rewe mit Blick auf smartphoneaffine Kunden ausbaut. Wo? Mittlerweile natürlich im hippen Berlin, in der Schönhauser Allee. Hybrider Einkauf bedeutet hier: Der Kunde meldet sich über eine App an, lädt den Einkauf in Wagen oder Korb und verlässt den Markt. Aus einem 10.000 Artikel umfassenden Sortiment kann er wählen, auch Pfandautomaten und weitere Bereiche werden in Berlin erstmals an das Pick&Go-System angeschlossen.

In ein auf Computer-Vision-Technologie und Künstliche Intelligenz spezialisiertes Unternehmen aus Israel hat Rewe im Rahmen einer Investitionsrunde gesetzt. Das Unternehmen erstellt ein 3D-Modell des Supermarktes, um die Umgebung und Bewegungen darin digital abzubilden, sodass die Kunden Artikel auswählen und mit ihnen hinausgehen können

Konsum Leipzig investiert dagegen in Immobilien und kombiniert die eigenen Filialen mit anderen Nutzungsformen. Den Anfang im Mischimmobilienmilieu macht der Markt An der Märchenwiese in Leipzig-Marienbrunn. Statt dem früheren eingeschossigen Flachbau steht an gleicher Stelle nun ein viergeschossiger Gebäuderiegel mit etwa 1.000 Quadratmetern Ladenfläche im Erdgeschoss.

Darüber betreibt ein Unternehmen Seniorenwohnungen, Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz und eine Tagespflege. Ein Supermarkt mit breiten Gängen und Café ist bei solcher Kombinutzung eine praktische Lösung. 

Eigenmarke und feines Speisen

Zusatzeinnahmen über Eigenmarken generieren – dieses Prinzip haben viele erfolgreiche Selbstständige perfektioniert. Ob es um Marmeladen und Konfitüren aus Abschriften und produziert in der Marktküche geht, um Eigenimport oder Lohnherstellung – das Geschäft funktioniert. Ebenso wie das Thema Gastro. Wirkliche Restaurantqualität anzubieten oder tatsächlich ein Restaurant zu betreiben ist besonderen Standorten vorbehalten, aber auch hier gibt es ein absolut überzeugendes Beispiel.

Im Prestigemarkt von Interspar in Wien am Schottentor kann man direkt von den Marmorhallen des Lebensmittelmarktes im ehemaligen Kassensaal des Wiener Bankvereins das Restaurant Mezzanin betreten. Und das hält von Atmosphäre und gastro-nomischem Angebot her alles, was man von einer gediegenen Speise- und Café-Adresse im ersten Bezirk der Donaumetropole erwartet.
 

Expansion über Stand-alone

Doch was liegt bei einem Handelsunternehmen eigentlich näher, als für die eigene, in den Märkten begehrte Qualitätsware neue Absatzwege zu suchen? Wasgau denkt hier nicht digital, sondern schlicht in neuen Standorten für Frisches außerhalb des LEH. „Schon seit einigen Jahren habe ich das Ziel, Wasgau-Cafés zu eröffnen“, erzählt Sascha Kieninger, Geschäftsführer der Wasgau-Bäckerei, beim Vor-Ort-Termin in Dahn.

Hier im Luftkurort, rund eine halbe Fahrstunde von Pirmasens entfernt, hat Wasgau das erste Stand-alone-Café eröffnet. Unter dem Giebel des alleinstehenden Hauses prangt unübersehbar das Wasgau-Logo. Ein großer Parkplatz vor dem zurückgesetzten Gebäude ist in ländlicher Region sinnvoll, Fahrradständer in touristischem Gebiet auch.

Eine traditionelle Bäckerei gab es hier, doch keine Nachfolgeidee des Inhabers. So sah man Haus, Backstube und der Bruchsteinmauer als Terrassenbegrenzung das In-die-Jahre-Kommen an. Doch in der Community des Bäckerhandwerks kennt man sich. Ende 2021 fiel die Entscheidung, hier das Pilotprojekt zu starten.
 

Mit Granittheke und Kletterrose

Das Ergebnis ist beeindruckend. 370.000 Euro hat man für 165 Quadratmeter investiert, denn „für ein Pilotprojekt muss man Geld in die Hand nehmen“, sagt Kieninger. Nun steht die edle Theke mit Granitunterbau, viel Holz im Industrial Style macht den Innenraum ansprechend.

Die Terrasse wird von der alten restaurierten Naturmauer begrenzt, an Holzmöbeln sitzt man unter einer weiß blühenden Kletterrose. Verkauft wird das komplette Sortiment der Wasgau Brot- und Backwaren, Frühstücke, eine salzige Theke und täglich Mittagstisch. Das Angebot wurde um 15 neue Produkte erweitert, auch um besondere Gebäcke wie Macarons oder Eclairs.

Dahn liegt deutlich über dem Plan

Bevor die erste Stand-alone-Bäckerei eröffnet wurde, hat die Wasgau in die Produktion investiert. Der 10.000 Quadratmeter große Produktionsstandort in der Pirmasenser Molkenbrunnenstraße wurde für 2,5 Millionen Euro um ein neues Produktionsgebäude mit 1.200 Quadratmetern Fläche für hauseigene Konditoreierzeugnisse, Kühl- und Tiefkühllagerung erweitert, denn: „Feine Konditoreiwaren findet man fast nicht mehr, und wir spüren eine steigende Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Torten und Kuchen in handwerklicher Qualität.“

Und tatsächlich: Der Umsatz liegt nach den ersten Monaten rund ein Viertel über dem Plan. Die Strategie: Über die Cafés die Marke Wasgau transportieren, auch über die Grenzen der Pfalz hinaus. Vier pro Jahr sollen eröffnen, auch in Baden wird bereits gebaut. Die neuen türkis-pinken Tortentransporter sind unterwegs.

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