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Round Table Bio: Was bleibt vom Bio-Boom?

Bio wächst im LEH ‒ die Herausforderungen an die Branche auch: Welche Folgen hat es, wenn sich Bio weiter in Richtung Mainstream bewegt? Wie kommunizieren Produzenten und Handel erfolgreich über Bio? Die Antworten der Experten.

Foto: stock.adobe.com/Farknot Architec/ RUNDSCHAU
Von Sibylle Menzel | Fotos: stock.adobe.com/Farknot Architec/ RUNDSCHAU; Unternehmen

Beim Round Table Bio haben mitdiskutiert:

Stephan Cunäus (Geschäftsführer E-Center Warnow Park);  André Freidler (Mitglied der Geschäftsleitung Alb-Gold Teigwaren); Anja Grunefeld (General Manager DACH Livekindly Germany); Eike Mehlhop (Geschäftsführer Allos Hof-Manufaktur); Alexander Neumann (Gründer Erdbär); Klaus-Jürgen Philipp (Geschäftsführer Haus Rabenhorst);  Dr. Andreas Steffen (Vertriebsleiter Dr. Karg’s); Sebastian Zapf (Leiter Verkauf & Kundenbetreuung Neumarkter Lammsbräu)

FRAGE 1: AUTHENTIZITÄT

Geht der Bio-Boom auf Kosten der Glaubwürdigkeit?


Eike Mehlhop: Das würde ich verneinen, insgesamt ist das ja unser Ansinnen: Je mehr Menschen sich mit Bio beschäftigen, umso besser. Im Zuge einer nachhaltigen Agrarpolitik und eines Wandels sowohl in der Lebensmittelwirtschaft als auch in der Ernährung der Menschen liefert Bio, kombiniert mit Vegetarisch, sehr viele Antworten – auch auf die Probleme, die wir gesamthaft in der Gesellschaft haben.

Dr. Andreas Steffen: Der Großteil der Bio-Käufer glaubt an Bio und kauft heute mit zusätzlichen Motiven ein, wie Tierwohl oder Erhalt der Artenvielfalt. Hersteller wie wir, die sowohl konventionelle als auch Bio-Produkte anbieten, müssen allerdings sehr transparent kommunizieren, wo sie Bio-Qualität anbieten und wo sie es nicht tun.

Sebastian Zapf: Man muss sich bewusst sein, dass sich viele junge Menschen, die digital unterwegs sind, genau informieren und anschauen, was hinter der Marke und ihren Produkten steckt. Wenn Hersteller über Jahre und Jahrzehnte ihre Marke und Werte leben, dann sind sie auch glaubwürdig. Für uns ist etwa Fairness und Transparenz wichtig. Wir versuchen, unsere Preise stabil, aber immer so zu gestalten, dass unsere Bio-Bauern langfristig wirtschaften können. Denn das ist wesentlicher Teil unseres Engagements für den Bio-Landbau. Das schätzen die Menschen, weil sie noch bewusster konsumieren wollen.

Frage 2: Kommunikation

Welche Tools bringen die Verbraucher ans Bio-Regal ‒ und halten sie dort?

Mehlhop: Hersteller und Händler sind aktiv gefordert, die Produkte kommunikativ zu begleiten. Wir investieren viel, um Endverbraucher direkt anzusprechen. Wir erklären nicht nur die Vorzüge von Bio, sondern auch die unseres Unternehmens, das Bio seit über 50 Jahren mit Höhen und Tiefen mitlebt. Wir sind überzeugt, das wird auch honoriert.

Freidler: Die Verbrauchererwartungen an Bio sind extrem hoch, gehen vielleicht sogar über die aktuelle EU-Bio-Verordnung hinaus. Wir sind in der Pflicht, dem Vertrauen gerecht zu werden und das Thema Bio mit Innovationen weiterzuleben. Wir haben zum Beispiel vor drei Jahren Papierverpackungen eingeführt und dafür sehr positives Echo bekommen. Es ist das, was der Verbraucher sehen möchte: Bio über den Öko-Standard hinaus, weiter in eine nachhaltige Richtung entwickelt.

Philipp: Flapsig gesagt: Das Ende eines Marketings mit toller Hülle, aber ohne Substanz, ist erreicht. Heute geht über 50 Prozent unseres Media-Etats in soziale Medien, weil wir hier mehr kommunizieren und in Austausch gehen können. Sie ermöglichen es uns, über Nachhaltigkeit zu erzählen, sie zu bebildern und glaubwürdig zu transportieren.

Dr. Steffen: Wir beziehen unser Hauptprodukt, das Mehl, ausschließlich von regionalen Partnermühlen aus Bayern. Das lässt sich über Social-Media-Kanäle sehr gut transportieren und ist heute der entscheidende Aspekt: Es geht uns nicht nur darum, ein Bio-Produkt zu produzieren und ins Regal zu stellen, sondern den Konsumentinnen und Konsumenten auch Hintergrundinfos zu den Rohstoffen zu liefern.

Cunäus: Wir haben ein Pilotprojekt gestartet, bei dem wir unseren Markt, das größte E-Center in Deutschland, auf elektronische Preisauszeichnung umstellen, die einen QR-Code darstellen kann. Dazu haben wir uns mit 35 regionalen Lieferanten zusammengetan, deren Storys über QR-Code abrufbar sind. Wir sehen ganz klar den Trend, dass Kunden auf diese Weise ein Produkt und dessen Hintergrund genauer kennenlernen wollen.

Zapf: Genau, das Stichwort dazu heißt Regionalität, die nach Marktdaten aktuell noch mehr Gewicht hat als Bio. Wenn wir über unsere Kanäle erzählen, woher die Rohstoffe stammen, wie wir Landwirte unterstützen, und beschreiben, wie daraus ein Produkt zum Genießen entsteht, bieten wir genau das, wofür sich Menschen heute interessieren.

Neumann: Man kann Social-Media-Konsum natürlich auch kritisch betrachten, wir als kleinere Firma mit einem geringeren Budget können aber darüber auch wachsen und uns transparent zeigen, weil wir nichts zu verstecken haben. Wir beobachten außerdem, dass die Menschen, die sich bei unseren QR-Codes einloggen, dort sehr viel Zeit verbringen ‒ die entsprechenden Zahlen bewegen sich nicht mehr im Nischenbereich.

Grunefeld: Wir bieten in Teilsegmenten unsere Fleischalternativen zusätzlich in der Bio-Qualität an. Der Trend Vegan ist zwar deutlich erkennbar, aber irgendwann werden Verbraucher auch hier die Frage stellen, wo die Zutaten eigentlich herkommen. Wir müssen als Hersteller transparent sein und auch in diesen neuen Märkten und neuen Kategorien eine Sicherheit geben, wo aktuell noch viel Unsicherheit herrscht. In den nächsten Jahren wird Transparenz in diesen Bereichen im Marktgeschehen den Unterschied machen.

 

Frage 3: Zukunft Bio

Der neue Koalitionsvertrag sieht 30 Prozent Öko-Landbau bis 2030 vor. Überambitioniert oder das richtige Signal?

Philipp: Es ist ein richtiges und auch sehr wichtiges Signal. Auch konventionelle Landwirte werden ermutigt, den Weg zu ökologischem Landanbau zu gehen mit dem Wissen, dass es sich nicht um ein modisches Accessoire der Regierung handelt, sondern um eine langfristig planbare Größe.

Zapf: Die größte Herausforderung dürfte sein, die wirtschaftliche Grundlage zu schaffen: Stellen die Landwirte um, benötigen sie die entsprechende Nachfrage von Herstellern und Verbrauchern ‒ damit sind wir bei der Frage, wie wir erreichen, dass sich alle Menschen bessere Lebensmittel und bessere Landwirtschaft leisten können. Das ist sicher ein Thema, dem sich die Politik mit Priorität widmen muss.

Dr. Steffen: Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, in Deutschland die Fläche zu vergrößern. Vor allem, wenn wir auf die letzten Skandale in den Lieferketten und die Probleme schauen, die es weltweit gibt. Wenn wir gewisse Rohstoffe verstärkt aus Deutschland bekommen, mit den entsprechenden, weltweit führenden Standards, dann bringt das auch uns Herstellern noch einmal mehr Sicherheit.

Freidler: Wir bekommen durch die Zielsetzung auch noch einmal Rückenwind, wenn es darum geht, gemeinsam mit Landwirten daran zu arbeiten, auch die konventionelle Landwirtschaft ein Stück mehr in Richtung Bio zu bekommen. Wir hatten 2021 in Deutschland knapp 100 Landwirte mit direkten Anbauverträgen, können mit diversen Biodiversitätsmaßnahmen auf den Feldern agieren und zeigen, es ist nicht dramatisch, sich in Richtung Bio zu bewegen.

Grunefeld: Das Ziel des Koaliationsvertrages ist natürlich sicher richtig, kostet aber auch Geld. Fragt man die Verbraucher, ist alles wichtig, was in Richtung Nachhaltigkeit geht, aber am Ende mehr dafür zu bezahlen tut dann doch weh. Die Herausforderung ist also, wie sich ein System verändern kann, das für alle da ist und nicht nur für diejenigen, die mehr Geld in der Tasche haben und es sich entsprechend leisten können.

Mehlhop: Das Hauptproblem daran ist auch der wahre Preis von Lebensmitteln, den niemand wirklich kennt. Ein Grund dafür ist die Subventionierung ‒ ist es beispielsweise richtig, dass Kuhmilch einen geringeren Mehrwertsteuersatz hat als die pflanzliche Alternative? Da ist die Politik gefordert, Ungleichheiten herauszunehmen und ein Bewusstsein für die Kosten zu schaffen, bei denen auch Kosten für die zukünftigen Generationen mit eingespeist sind. Das ist schwierig und komplex, aber ich glaube, es ist der einzige Weg.

Neumann: Man muss die wahren Kosten der Produkte auch veranschaulichen und Mehrwerte ganz klar aufzeigen. Ein Beispiel könnte eine Auszeichnung am Produkt sein, äquivalent zum Nutri-Score, um den CO2-Ausstoß zu deklarieren. Andernfalls bleibt es bei der Diskrepanz zwischen Absicht und Verhalten, also der Absicht, etwas Gutes zu tun, aber dann doch nach etwas Günstigerem zu greifen. Ohne das Aufzeigen von Mehrwerten wird sich die Bio-Nachfrage nicht weiter in den Mainstream bewegen.

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