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„Wir sind wie Börsenjunkies“

Mit Niko Johns ist in Pirmasens frischer Wind eingekehrt. Der ehemaliger Ernst & Young-Mann hat ordentlich Hand angelegt, nachdem die „alte“ Vorstandsgarde abgetreten war. Zusammen mit Dr. Eugen Heim führt Johns die Wasgau heute nach dem Motto: Keep it simple. Ein Gespräch über patriarchische Strukturen, Eigenmarken und die Macht von Online.

Niko Johns, Eugen Heim, Börsenjunkies, Wasgau, Ernst & Young
Foto: Dietrich Bechtel
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Von Linda Schuppan

Herr Johns, Sie kommen aus großen Strukturen. Jetzt sind Sie im Kleinen gelandet. Wie bekommt Ihnen der Kulturwechsel?
Johns: Ich komme ja aus der Beratung, aber es ging irgendwann immer mehr ins Operative rein. Dann kam ich zur Wasgau und auf einmal hieß es: Mach mal Personal. Und dann machst du halt Personal.

Also nichts mehr mit klassischem CFO.
Johns: Ich habe hier das erste Mal mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag ausgehandelt. Hier muss man in allen Bereichen ran.

Klingt mehr nach Unternehmer.
Johns: Absolut. Wir können uns Gedanken machen über Dinge und dann sagen: Lass uns das versuchen. Ich muss dann nicht erst 50 Mails schreiben oder 100 Abstimmungsprozesse anstoßen. Man ist hier echter Unternehmer.

Herr Kettern – Ihr Vorgänger – war ein Wasgau-Urgewächs. Gibt es noch Kontakt?
Johns: Wir haben ab und zu einen Kaffee getrunken, aber mittlerweile hat er sicher das Gefühl, dass die Wasgau in guten Händen ist.

Was hat sich bei der Wasgau mit dem „Generationenwechsel“ verändert?
Johns: Die Kommunikation. Wir arbeiten daran, dass sich einzelne Bereiche austauschen und dann Lösungen eruieren. Dadurch werden wir schneller. Früher ging es eher darum, „was meint der Chef dazu?“.
Heim: Ja, das war schon patriarchischer. Aber das lag auch an der Zeit.
Johns: Früher musste die Farbe der Kugelschreiber mit dem Vorstand abgestimmt werden. Ich sage: „Ich will das nicht entscheiden.“

Wo zeigt sich die Veränderung noch?
Heim: Die Bereiche Bäckerei, Metzgerei und Markt hatten früher ein stärkeres Eigenleben. Da gab es dann auch völlig unterschiedliche Auffassungen. Was wir versuchen, ist, dasselbe Verantwortungsverständnis über alle Gesellschaften hinweg aufzubauen.
Johns: Auch im Vertrieb haben wir einige Schalter umgelegt.

Was ist da heute anders?
Johns: Früher ging es darum, den Ertrag zu sichern. Jetzt sagen wir, wir wollen wettbewerbsfähig sein – und dafür müssen wir eben ein Stück ins Risiko gehen.
Heim: Dass es funktioniert, zeigen steigende Kundenzahlen und Umsätze.
Johns: Selbst wenn die Marge mal etwas runterrutscht, fängt das der höhere Umsatz auf.

Woran haben Sie genau geschraubt, dass es so gut läuft?
Johns: Wir sind heute im Handzettel definitiv wettbewerbsfähiger. Und wir bauen den Investitionsstau, den wir ohne Frage hatten, nach und nach ab.
Heim: Allein dadurch stellt sich schon Umsatzwachstum ein.

Die Wasgau ist also preisaggressiver?
Johns: Absolut. Früher hieß es, wir wollen gut sein in der Qualität. Wir sagen heute: Wir müssen auch im Preis gut sein.

Wie muss ich mir den wettbewerbsfähigeren Handzettel vorstellen?
Johns: Ein Beispiel: Wir haben in der Metzgerei extrem stark über die Theke gearbeitet und das so kommuniziert. Heute bauen wir SB aus und sehen, dass wir da um Meilen gewinnen und in der Theke nur minimal verlieren.
Heim: Das sind andere Käufer. Man war früher der Meinung, dass der SB-Kunde die Theke kannibalisiert, aber das stimmt nicht. Oder nehmen wir die Bäckerei. Daraus haben wir ein Café entwickelt.

Ist ja auch ein Geschäftsmodell: Das, was fehlt, bietet die Wasgau.
Heim: Wir werden immer mehr zum zentralen Dienstleister. Das bringt uns Kundenfrequenz.
Johns: Fehlt die Post oder der Lotto-Laden, dann holen wir die zu uns. Sogar Bargeld kann man bei uns mitnehmen.

Wie sieht es eigentlich in Sachen Expansion aus? Da bleibt die Filialzahl ja seit Jahren ziemlich konstant.
Johns: Erst mal müssen wir die Bestandsflächen wettbewerbsfähig halten. Pro Jahr stehen etwa drei Großumbauten und zwei Verlagerungen an. Darüber hinaus bereinigen wir auch das bestehende Filialnetz um Standorte, die nicht zukunftsfähig sind. Natürlich wollen wir auch neue Flächen, was ja auch passiert.
Heim: Wir haben jetzt jemanden, der sich nur um die Expansion kümmert. Das macht schon viel Unterschied.
Johns:
Wir gehen aber auch keine Kompromisse mehr ein.

Inwiefern?
Johns: Wir brauchen zwischen 1.200 und 1.500 Quadratmeter Verkaufsfläche. Wenn da jetzt ein 800er um die Ecke frei wird, dann machen wir den einfach nicht.

Sie investieren in Bestandsflächen und drehen an der Investitionsschraube. Da schmilzt das Eigenkapital sicherlich.
Johns: Mein Ziel heißt eher Schuldenabbau.

Wie passen Investitionen und Schuldenabbau zusammen?
Johns: Das geht, wenn man in einem angemessenen Maß an beiden Schrauben dreht. Die Investitionen werden aus dem Cashflow der laufenden Geschäftstätigkeit finanziert.

Und als Back-up steht ja die Rewe parat. Wie „frei“ macht das?
Johns: Wir haben die Möglichkeit, einzukaufen wie ein Großer – und gleichzeitig können wir schnell, direkt und regional sein. Eigentlich sind wir eine Rewe – nur eben in ganz klein.
Heim: Wir arbeiten ja gerade auch in Sachen Green Building zusammen.
Johns: Die Rewe bietet uns den ganzen Blumenstrauß, lässt uns aber völlig freie Hand.

Es hat sich auch einiges am Markenauftritt getan. Ist das schon abgeschlossen?
Johns: Wir sind noch dabei. Wir haben alles angefasst: Online, Logos, Handzettel, Eigenmarken. Das muss einfach zueinander passen.
Heim: Wir haben uns gefragt: Wofür steht Wasgau eigentlich? Dann kamen wir auf den Satz: „Weil die Menschen von hier uns wichtig sind.“ Das trifft unsere DNA auf den Punkt.

Was haben Sie mit Ihren Eigenmarken vor? Kommt da in Zukunft noch mehr?
Johns: Wir hatten ein ziemlich buntes Eigenmarkenportfolio. Und das war auch nicht stringent. Da haben wir aufgeräumt.
Heim: Der Kunde wird in Zukunft mehr sehen, was eine Eigenmarke ist und was nicht.
Johns: Ziel muss es sein, dass ein Kunde, der bei uns einkauft, immer wieder mit Wasgau in Berührung kommt.

Planen Sie (noch) mehr Eigenmarken?
Johns: Ich sehe jedenfalls in einigen Warengruppen viel Potenzial – und das sowohl im Bio- als auch im konventionellen Bereich.

Beharken Sie sich da nicht mit den Rewe-Eigenmarken?
Heim: Die Rewe hat Rewe regional, wir haben Wasgau. Das lässt sich gut trennen und gibt uns ein eigenes Gesicht.

Ist Vegan für die Wasgau ein Thema?
Heim: Wir werden jedenfalls keine vegane Wurst herstellen.
Johns: Und wir werfen auch nicht alle Frikadellen aus dem Sortiment.

Sie sehen das Thema also eher skeptisch?
Johns: Wir sagen: Wir möchten auch hier den Kunden das anbieten, was gewünscht ist. Andererseits sehen wir schon eine Diskrepanz zwischen dem medialen Hype und der tatsächlichen Nachfrage.

Denken Sie auch bei Online so? Was halten Sie von Amazons Vorpreschen bei Food?
Johns: Das ist ernst zu nehmen. Ich behaupte allerdings, dass es noch kein Online-Unternehmen gibt, das das eingesetzte Kapital wieder verdient hat.
Heim: Der Handel hat es selbst in der Hand, inwieweit er den Kunden Richtung Online treibt. Frische ist immer eine Vertrauenssache und das spricht für die stationäre Vermarktung.

Also alles halb so wild?
Johns: Ich glaube schon, dass die Kuh in irgendeiner Form fliegen wird. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren zehn bis 15 Prozent des Umsatzes online passieren wird.
Heim: Deswegen ist es gefährlich, online gar nicht vertreten zu sein.
Johns: Natürlich. Nur macht für uns ein reiner Vollsortiment-Onlineshop eben keinen Sinn. Dafür sind wir zu klein.

Obwohl Sie ja theoretisch bei der Rewe andocken könnten.
Johns: Das würde für uns ebenfalls keinen Sinn machen. Ein bisschen Online machen Sie ja.

Bleibt es dabei?
Johns: Wir wollen in Nischen vertreten sein. Das tun wir bei Wein und bei Kaffee. Aber wir werden jetzt nicht in Google-Werbung reinbuttern, damit die Umsätze steigen.

Was ist eigentlich aus dem „Ohne-Shop“ geworden? Da ging es ja um Spezial-Food.
Johns: Den haben wir eingestellt, weil sich das einfach nicht gerechnet hat. Dafür haben wir das Glutenfrei-Sortiment stationär ausgebaut.

Wie wollen Sie stationär auf Ihre Online- Prognose reagieren? Sie rechnen ja mit zweistelligen Anteilen.
Johns:
Wir diskutieren zum Beispiel darüber, ob wir langfristig Bereiche nahezu aufgeben sollen. Etwa Tiernahrung. Macht das in Zukunft noch Sinn oder sollen wir die Regalfläche anderweitig nutzen?
Heim: Wir beide sind da ein bisschen anderer Auffassung. Ich sage: Lieber zurückfahren und nicht ganz aufgeben.
Johns: Es wird sich zeigen, welchen Weg wir gehen. Zurücklehnen und abwarten, das tun wir sicherlich nicht. Wir werden testen, testen, testen.

Warum sollte ein Kunde in 20 Jahren noch bei der Wasgau einkaufen?
Heim: Ich glaube, dass Menschen auch in Zukunft noch bei Menschen einkaufen wollen. Der Mensch sucht ja nicht die Isolation.
Johns: Deswegen werden wir auch die Gastrobereiche stärker ausbauen. Auch der vordere Bereich des Marktes soll interessanter werden. Wir haben hinten immer Wein. Aber warum sollten wir das nicht vielleicht mit der Bäckerei zusammenziehen?

Haben Sie eigentlich einen 20-Punkte- Plan für die Zukunft der Wasgau?
Johns: Nein. Ich bin zwar strukturiert, habe mir zu Beginn meiner Tätigkeit hier auch einen Maßnahmenplan gemacht – aber so dann nun auch wieder nicht. Mein Motto lautet eher: Keep it simple. Wir haben gar nicht die Zeit, drei Jahre lang Neues zu testen. Wir probieren heute aus und schauen, ob es morgen funktioniert.

Da wird es sicher nicht langweilig.
Johns: Überhaupt nicht. Wir sind wie Börsenjunkies: Wir schauen täglich in die Umsätze, um zu prüfen, ob das, was wir gestern entschieden haben, funktioniert oder nicht.
Heim: Teilweise existiert das Problem von morgen heute noch gar nicht. Deswegen wissen wir eigentlich nie, was morgen auf uns wartet – das macht es so spannend.

Niko Johns, Eugen Heim, Börsenjunkies, Wasgau, Ernst & Young
Eugen Heim Foto: Dietrich Bechtel
Niko Johns, Eugen Heim, Börsenjunkies, Wasgau, Ernst & Young
Niko Johns Foto: Dietrich Bechtel
Niko Johns, Eugen Heim, Börsenjunkies, Wasgau, Ernst & Young
Niko Johns Foto: Dietrich Bechtel
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