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Zucker: Unter Verschluss

Die Zuckerquote verhindert, dass Zucker in ausreichender Menge angeboten werden darf. Das Ausmaß der Folgen dieser Regulierung nimmt neue Dimensionen an – und trifft vor allem die Hersteller von Süßwaren. Zwei Interviews zum Thema.

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Von Steffi Müller

Interview mit BDSI-Hauptgeschäftsführer Klaus Reingen

Herr Reingen, was sind die Ursachen für die hohen Zuckerpreise in der EU? 
Reingen: Die Hauptursache für die hohen Zuckerpreise für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie liegt in der EU-Zuckermarktordnung selber. Diese planwirtschaftlich organisierte Marktordnung verhindert durch feste Quoten und überhöhte Schutzzölle die Etablierung wettbewerblicher Strukturen. Der Markt ist auf Anbieterseite hoch konzentriert. Der BDSI fordert deshalb mehr Wettbewerb im europäischen Zuckermarkt.

Welche Maßnahmen sind hierfür konkret notwendig?
Reingen: Neben der Abschaffung des starren Quotensystems ist auch die Absenkung des extrem hohen Außenschutzes zwingend erforderlich, damit mehr Wettbewerbsdruck auf die oligopolistische Anbieterstruktur der Zuckerindustrie in der EU entsteht und die Zuckerverwender in Zeiten eines rapiden Anstiegs des Weltmarktpreises und einer Zuckerknappheit in der EU unbürokratisch auf Importe aus lieferfähigen Drittstaaten ausweichen können.

Und die Schere zwischen EU-Quotenzuckerpreis und Weltmarktpreis öffnet sich immer mehr…

Reingen: Dies ist seit längerem zu beobachten. In Zeiten steigender Weltmarktpreise wurden die EU-Quotenzuckerpreise von der europäischen Zuckerindustrie deutlich angehoben. Seit Mitte 2011 sank der Weltmarktpreis für Zucker kontinuierlich. Der EU-Quotenzuckerpreis setzte seinen Höhenflug jedoch weiter fort. Dies macht überdeutlich, dass im europäischen Zuckermarkt die wettbewerblichen Kräfte von Angebot und Nachfrage durch die Zuckermarktregelung nicht richtig funktionieren.

Welche Folgen hat es für die Süßwarenbranche, wenn die Zuckerpreise über dem Weltmarktniveau liegen?

Reingen: Die Süßwarenindustrie verliert dadurch an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist für die „süße Branche“ besonders gravierend, da ihr Exportanteil mit 45 Prozent sehr hoch ist. In Drittstaaten liegen künftig die größten Wachstumschancen. Vor allem in aufstrebenden asiatischen Ländern steigt mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen auch die Nachfrage nach zuckerhaltigen Lebensmitteln. 

Warum kommt es überhaupt zu Versorgungsengpässen bei Zucker? 
Reingen: 
Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie hat in der EU nur Zugang zum sogenannten Quotenzucker, nicht zu dem darüber hinaus produzierten Nicht-Quotenzucker, der in die chemische Industrie oder die Ethanol-Produktion geht oder exportiert wird. Der Markt ist also durch die Brüsseler Zuckermarktregelung künstlich in zwei Märkte aufgeteilt. Durch die geltende Mengenbeschränkung beim Quotenzucker auf nur noch etwa 85 Prozent des EU-Eigenbedarfs steht die Lebensmittel- und Getränkewirtschaft seit zwei Jahren vor dem Problem einer chronischen Unterversorgung mit Zucker. Die fehlende Menge sollte durch zollfreie Einfuhren aus bestimmten Entwicklungsländern ausgeglichen werden. Doch diese zollfreien Importe, die die restlichen 15 Prozent abdecken sollen, kommen nicht in den Mengen, die sich der europäische Gesetzgeber im Jahr 2006 bei der letzten Reform vorgestellt hatte. Die Produktionskapazitäten dieser Länder reichen nicht aus, um die Versorgungslücke in der EU zu schließen. Reguläre Importe vom Weltmarkt, wo es genug Zucker gibt, sind für die Süßwarenunternehmen durch einen extrem hohen Schutzzoll der EU wirtschaftlich unsinnig, der EU-Zuckermarkt ist also nach Außen stark abgeschottet. 

Was hat dies zur Folge?
Reingen: Die Folge ist eine permanente Unterversorgung des EU-Quotenzuckermarktes für die Lebensmittelindustrie. Die Europäische Kommission hat in den letzten zwei Jahren insgesamt 19 Notmaßnahmen ergreifen müssen, um der zuckerverarbeitenden Lebensmittel- und Getränkeindustrie den Kauf zusätzlicher Mengen Zuckers zu ermöglichen, zuletzt im Januar 2013.

Welche Folgen bringt die Mengenbeschränkung bei Zucker für die Hersteller von Süßwaren mit sich – kurzfristig und mittelfristig, qualitativ und preislich?

Reingen: Die Zuckerquote verknappt künstlich den Zuckermarkt für die Lebensmittelindustrie und führt dadurch zu drastisch höheren Preisen für Zuckerverwender und Verbraucher. Durch die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels ist es für die zuckerverarbeitenden Betriebe oft schwer, Preiserhöhungen durchzusetzen. Besonders kleinere und mittelständische Unternehmen kommen zwischen den hochkonzentrierten Bereichen der Zuckerindustrie und des Lebensmitteleinzelhandels in Schwierigkeiten. Eine erneute Verlängerung der Zuckerquotenregelung bis 2020 würde nach Einschätzung des BDSI weitere Betriebsschließungen und Übernahmen in der überwiegend mittelständisch geprägten Süßwarenindustrie zur Folge haben. Die Marktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik muss deshalb auch beim Zucker konsequent zu Ende geführt werden durch Abschaffung des Quotensystems und eine angemessene Marktöffnung. 

Wird durch die Zuckerverknappung ein Beutel Bonbons bald das fünf- oder zehnfache kosten als bisher?
Reingen: 
Verhandlungen über Fabrikabgabepreise erfolgen in Verhandlungen zwischen dem Hersteller eines Produktes und seinem Handelspartner. Durch die starke Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels ist es für zuckerverarbeitende Unternehmen oft schwer, Preiserhöhungen durchzusetzen. Zudem ist Zucker nicht der einzige Rohstoff, der bei der Herstellung von Süßwaren verwendet wird. Die erheblichen Rohstoffpreissteigerungen bei gleichzeitig scharfem Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel belasteten die Ertragslage der mittelständisch geprägten deutschen Süßwarenindustrie. Mitursächlich für die teils drastischen Preissteigerungen sind auch Rohstoffspekulationen auf Lebensmittelrohstoffe durch Banken und Hedgefonds, die an der physischen Verarbeitung der Ware kein Interesse haben. 

Was können die Hersteller konkret tun, um keine Versorgungslücke zu riskieren?
Reingen: Die derzeitige Quotenregelung und Abschottung des europäischen Marktes nach außen ist kein Garant für Versorgungssicherheit in der EU. In Engpasssituationen gibt es zu den Lieferanten der europäischen Zuckerindustrie keine Alternative, nicht zuletzt wegen des exorbitant hohen regulären Außenschutzes. Zusätzliche Mengen lassen sich am europäischen Zuckermarkt wegen der Quote erst recht nicht beschaffen. Insbesondere exportorientierte mittelständische Unternehmen klagen über entgangene Wachstumschancen wegen der unsicheren Versorgungslage bei Zucker. 

Wie sollte aus Ihrer Sicht die Zuckerpolitik nach 2015 aussehen? 
Reingen: 
Das Quotensystem bei Zucker ist eine Wachstumsbremse für die Süßwarenindustrie. Darüber hinaus führt es zu deutlich höheren Preisen für zuckerverarbeitende Lebensmittelunternehmen und für Verbraucher. Für den Erhalt der Zuckerrübenerzeugung in der EU ist die Zuckerquote sowohl laut EU-Kommission als auch einer aktuellen Studie des Bundesforschungsinstituts Johann Heinrich von Thünen (vTI) nicht mehr notwendig. Die einschlägigen vorliegenden wissenschaftlichen Studien bestätigen, dass es bei Abschaffung der Zuckermarktordnung eher zu einer Erhöhung der Zuckerproduktion in Deutschland kommen dürfte. Ziel des BDSI ist ein wettbewerbsorientierter Zuckermarkt, der Planungssicherheit und eine langfristige Versorgungssicherheit für die europäischen Zuckerverwender und Verbraucher schafft. Wir können unser Geschäft nicht permanent auf Notmaßnahmen aufbauen. Die Quote passt nicht mehr in die Zeit und muss schnellstmöglich abgeschafft werden. Eine Zollsenkung würde zu mehr Wettbewerb führen und Versorgungssicherheit schaffen, wenn Zucker in der EU knapp ist.

Interview mit Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen 

Herr Brümmer, was sind die Ursachen für die hohen Zuckerpreise?Brümmer: Die Zuckerpreise sind in der EU politisch fixiert. Es gibt einen Referenzpreis für Zucker, der noch Relikt der alten Zuckermarktordnung ist. Dieser sollte nach den Vorstellungen der Kommission nicht wesentlich unter- aber auch nicht überschritten werden. Das Problem dabei ist, dass die Preisstabilisierung nur perfekt nach unten greift. Wenn wir niedrige Weltmarktpreise haben, ist sichergestellt, dass der EU-Zuckermarktpreis nicht zu weit nach unten gelangen kann. Was bei der letzten Reform aus dem Jahr 2006 nicht bedacht wurde, ist, wie sich die Marktordnung verhält, wenn der internationale Zuckerpreis ansteigt. Dieser war im vergangenen Jahr auf einem historisch hohen Niveau, was zum Teil bedingt war durch Missernten in wichtigen Exportländern wie Brasilien.

Warum kommt es überhaupt zu Versorgungsengpässen? Zucker gibt es ja genügend.
Brümmer:
 Richtig, Zucker ist genügend vorhanden. Im vergangenen Jahr war die Versorgungsbilanz so, dass wir mehr Nachfrage als Erzeugung hatten. Dafür gibt es Lagerbestände, die das abpuffern sollten. Im vergangenen Jahr wurden aber die Lagerbestände zurückgefahren, das hat die Problematik weiter geschürt. Da die meisten zuckerverarbeitenden Unternehmen auf eine kontinuierliche Versorgung angewiesen sind, waren sie aufgrund der verbreiteten Versorgungsengpässe bereit, hohe Aufschläge zu zahlen. Damit kommt es dann zu veränderten Machtpositionen in einem Markt, die dann kurzfristig die Preise noch mal stärker ansteigen lassen als sie es müssten. Dazu kommt sicherlich auch, dass die Handelsstruktur bei Zucker nicht unbedingt dem Ideal eines vollkommenen Wettbewerbs nahe kommt. Wir haben eine oligopolistische Marktstruktur, das heißt viel Nachfrager aber wenige Anbieter. Das führt dann zu einem weiteren Ansteigen der europäischen Preise.

Welche Folgen bringen das Zucker-Quotensystem und die damit einhergehende Mengenbeschränkung bei Zucker für die Hersteller von Süßwaren mit?
Brümmer: Kurzfristig heißt das erst mal höhere Rohstoffpreise für die Süßwarenbranche. Die höheren Preise national und international durchzusetzen gestaltet sich für die Hersteller als sehr schwierig. Dadurch geraten sie in einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu internationalen Mitbewerbern. Mittelfristig kommt es darauf an, ob sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag, die Zuckerquote abzuschaffen, durchsetzen kann. Damit würde gewährleistet werden, dass das Angebot der Nachfrage folgen darf. Vor allem aber stellt sich das Versorgungsengpassproblem dann nicht mehr. 

Wird durch die Zuckerverknappung ein Beutel Bonbon bald das fünf- oder zehnfache kosten als bisher?
Brümmer: 
Nein. Wir sprechen hier noch nicht mal von einer Preisverdoppelung. Wenn der Kostenanteil Zucker an Süßwaren etwa 40 bis 50 Prozent beträgt, dann dürfte der Preis um 50 Prozent ansteigen. Zucker ist ja nicht der einzige Rohstoff, der gebraucht wird.

Was können die Hersteller konkret tun, um keine Versorgungslücke zu riskieren?

Brümmer: Ich halte es vernünftig, was sie bisher auf politischer Ebene tun. Sie versuchen politisch auf die Kommission einzuwirken, kurzfristig beispielsweise Nicht-Quotenzucker, also Zucker der für industrielle Zwecke eingesetzt werden kann, in Quotenzucker umzuwandeln. Dies führt dann auch zu einer Entlastung. Zudem versucht sie die Kommission zu beeinflussen, dass zusätzlich Einfuhrkontingente zu einem verringerten Zollsatz ausgeschrieben werden. Für Weißzucker ist immer noch 410 Euro pro Tonne an Zoll zu entrichten. Jeder Euro weniger hilft dann sozusagen. Die Kommission hat dies in den vergangen beiden Wirtschaftsjahren auch getan, also Mengen sowohl durch Umwandlung als auch durch zusätzliche Einfuhrkontingente freigegeben. Das hat auch etwas geholfen. Allerdings ist nicht immer klar hervorsehbar, wie erfolgreich das politische Wirken dann ist. Auf der anderen Seite stehen die Zuckerfabriken, die genau in die andere Richtung argumentieren. 

Welche Möglichkeiten gibt es für die Markenartikler noch?

Brümmer: Nun ja, die Süßwarenindustrie sollte über Substitute nachdenken. Stevia bietet dabei eine Möglichkeit. Produkte, die mit Stevia gesüßt sind, anzubieten, ist sinnvoll und sollte weiterhin genutzt werden. Allerdings wird dies den Zuckermarkt nicht aus dem Tritt oder in den Tritt bringen – weder in die eine oder andere Richtung. Hier ist aber auch die Innovationskraft der Hersteller gefragt. Wenn sie ein Produkt mit Stevia entwickeln, das beim Verbraucher gut ankommt, wird sich das Produkt auf dem Markt auch durchsetzen. 

Wie kann man der Zuckerproblematik in den Griff bekommen?
Brümmer: Mittelfristig sollte die Quotenregelung auslaufen, so wie es die EU-Kommission auch vorgeschlagen hat. Zudem wäre es vernünftig, den Außenschutz abzusenken. Beide Maßnahmen würde die Wettbewerbsintensität erhöhen und vor allem Entlastung schaffen.   

Wird Ihrer Meinung nach die Zuckerquote 2015 fallen?

Brümmer: Nein, die Zuckerquote wird 2015 wohl leider noch nicht fallen. Dafür ist das politische Gewicht der Zuckerfabriken und Zuckerwirtschaft zu groß. 

Wie sollte die Zuckerpolitik nach 2015 aussehen?
Brümmer: Die Zuckerpolitik sollte meiner Meinung nach in das System der gemeinsamen Agrarpolitik integriert werden. Das heißt, dass man Abstand nimmt von Produktionsquoten und darauf achtet, dass ein bestimmtes Sicherheitsnetz zur Abpufferung von großen Preisausschlägen für die Produzenten noch da bleibt. Viel mehr brauchen wir dann nicht an Markteingriffen. Zusätzlich könnte man noch das Thema Vertragstransparenz angehen.

Welchen Tipp geben Sie der Branche, wenn die Zuckerquote 2015 nicht fallen sollte? 
Brümmer: Schwankende Weltmarktpreise bei Zucker wird es weiterhin geben. Es wird aber auch Phasen geben, wo die internationalen Preise relativ niedrig sind. Ratsam ist es daher, sich stärker mit dem Beschaffungsmanagement auseinanderzusetzen, um die größten Ausschläge nach oben zu begrenzen. Ansonsten sollten die Süßwarenhersteller weiterhin im politischen Willensbildungsprozess aktiv sein und ganz klar darauf hinweisen, welche Nachteile auch im internationalen Wettbewerb bestehen, und auch auf die relative Größe von Wertschöpfung im Teilbereich Zuckererzeugung und im Teilbereich Zuckerverarbeitung. Dies sollte helfen, den Politikern die Nebenwirkungen einer protektionistischen Zuckermarktpolitik zu verdeutlichen.

Klaus Reingen
BDSI-Hauptgeschäftsführer Klaus Reingen
Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen
Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen
Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen
Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen

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