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Auf eigene Faust: der Weg in die Selbstständigkeit

Die Entscheidung, in Zukunft als selbstständiger Kaufmann oder selbstständige Kauffrau im LEH bestehen zu wollen, ist nicht nur mutig – sie ist eine karrieretechnische Weichenstellung mit großer Tragweite. Zwei erfolgreiche Beispiele.

Mit Begeisterung für den Handel: das Team von Christoph Daguerre in Hannover. Foto: Rewe Daguerre
Von Mirko Jeschke, Dominique Snjka | Fotos: Rewe Daguerre

Kurz nach Ausbruch der CoronaKrise, Ende Juni 2020, hat Rewe-Kaufmann Christophe Daguerre in Hannover seinen ersten eigenen Markt eröffnet. Der 39-Jährige, der nach seiner Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel ein berufsbegleitendes BWL-Studium mit Spezialisierung auf Retail & Distribution durchlief, hatte zuvor als Marktleiter in einem Rewe-Regiemarkt in Hannover gearbeitet. Der Gedanke, sich selbstständig zu machen, reifte bei ihm bereits zum Ende seiner Ausbildungszeit und zu Beginn seines Studiums. „Verantwortung zu übernehmen, eigene Vorstellungen umzusetzen und wirtschaftlich zu agieren lag mir schon immer gut. Während meines Auslandsaufenthaltes in Australien hat sich der Wunsch konkretisiert, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen, da mir das Partnerschaftsmodell von Rewe in den Jahren zuvor immer wieder im privaten Umfeld angepriesen wurde und mich letztlich überzeugt hat.“

Besondere Nähe zum Standort

Der heutige Standort seines Marktes ist derweil kein Zufall. „Mit dem Standort bin ich tief verwurzelt, da sich in rund 200 Metern Entfernung mein Elternhaus befindet, in dem ich aufgewachsen bin. Daher wusste ich bereits bei Ausschreibung des Standortes, dass ich idealerweise hier meinen Rewe-Markt eröffnen möchte.“ Die Angst, den Standort nicht zu bekommen, sei dabei allerdings groß gewesen. Es gibt bei Rewe ein offenes, transparentes Bewerberverfahren für alle Interessenten. „Das war für mich Ansporn genug, mich auf das Bewerbungsverfahren perfekt vorzubereiten und eine Top-Bewerbung abzugeben.“


"Ohne ein gutes, verlässliches Team funktioniert ein Unternehmen dieser Größe nicht."

Anna Häring (Edeka Häring)


Anna Häring, seit März 2021 selbstständige Edeka-Kauffrau in Wolfenbüttel, machte ihre ersten Schritte bei Edeka (Minden-Hannover) bereits als Schülerin mit 15 Jahren: „Damals startete ich mit einem Nebenjob an der Kasse im damaligen Edeka Michallik – ein kleiner Markt mit circa 800 Quadratmetern Verkaufsfläche, in der direkten Nachbarschaft gelegen“, erzählt die 36-jährige Mutter eines vier Jahre alten Sohnes. Bis zu ihrem Abitur blieb sie in dem Markt tätig. 
Nach der Schule verbrachte sie ein Jahr im Ausland, danach folgte ein Studium der Politikwissenschaften. „Schnell merkte ich aber, dass mir die Theorie des Studiums nicht wirklich lag.“ Zu dieser Zeit arbeitete sie nebenbei wieder im Markt des selbstständigen Edeka-Kaufmanns Klaus Michallik. Er brachte die junge Frau auf die Idee einer Ausbildung. „Zuerst war ich nicht wirklich angetan, als er mir aber die verschiedenen Weiterbildungsmöglichkeiten aufzeigte, sah das ganz anders aus, und schon damals sagte ich zu ihm, es wäre schön, wenn ich irgendwann auch mal einen eigenen Markt hätte.“
 

Gute Ausbildung & Berufserfahrung

Nach zwei Jahren Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel folgte Härings Weiterbildung zur Handelsfachwirtin. Zur gleichen Zeit baute Edeka auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen neuen Markt mit über 1.800 Quadratmetern Verkaufsfläche, in den der bisherige Markt 2011 einzog. „Ein richtiges Schmuckstück“, erinnert sich Häring.

Während des Bewerbungsgesprächs zur Handelsfachwirtin sei sie gefragt worden, warum sie die Weiterbildung absolvieren möchte. „Da war für mich klar: Ich mache das, um einmal genau diesen Edeka-Markt zu übernehmen. Einige Jahre später kam Klaus Michallik auf mich zu, um mit mir über seine bevorstehende Rente zu sprechen, und fragte mich, ob ich noch Interesse an einem eigenen Markt hätte. So folgte in den anschließenden Monaten die Vorbereitung für die Übernahme, und der Grundstein für die Selbstständigkeit wurde gelegt.“


Finanzierung? Kein Problem!

Durch das Partnerschaftsmodell der Rewe, erzählt Christophe Daguerre, sind Hürden, die es zu überwinden gilt, geringer und man erhält Unterstützung bei Unsicherheiten. So habe es beispielsweise bei der Finanzierung keine Probleme gegeben. „Natürlich mussten im Rahmen der Marktgestaltung meine Vorstellungen mit dem Rewe-Konzept einhergehen und auch mal ein Kompromiss gemacht werden, aber durch intensive Gespräche und den regelmäßigen Austausch – der bis heute besteht – haben wir am Ende fast alle Wünsche unter einen Hut bringen können. Bei der Personalsuche stand ich vor der Herausforderung, ein komplett neues Team aufzubauen – und das auch noch zu Pandemiehochzeiten. In Zusammenarbeit mit Rewe und der Arbeitsagentur in Hannover haben wir wöchentliche Bewerbertage organisiert, um Personal zu finden. Die waren dann auch von Erfolg gekrönt. Ich habe ein tolles Team zusammenbekommen.“


"Ein gewisses Maß an Empathie und Teamfähigkeit sollte man schon mitbringen."

Christophe Daguerre (Rewe Daguerre)


 

Support auf allen Ebenen

Unterstützung in Sachen Finanzierung hat auch Anna Häring erhalten: „Mit der Edeka Bank war die Finanzierung gesichert, und auch eine Modernisierung im Bereich LED-Beleuchtung, ein Umbau der Obst- und Gemüseabteilung, der Bedienbereiche und der SB-Backstation im Markt konnten umgesetzt werden. Während des Umbaus und der Übernahme standen mir mein Einzelhandelsberater und die jeweiligen Fachberater der einzelnen Abteilungen immer mit Rat und Tat zur Seite.“

Ein regelmäßiger Austausch kam Christophe Daguerre ebenfalls zugute. „Rewe stand mir als Partner in jeder Phase zur Seite – ob bei der Einarbeitung zur Marktleitung als auch zum Unternehmer, während der Planungsphase des neuen Marktes sowie auch im Nachgang. Hier wird eng mit den Kollegen im Außen- und Innendienst zusammengearbeitet. Man versteht sich einfach als großes Team für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse.“

Laut Daguerre ist einer der Erfolgsfaktoren für die Selbstständigkeit die Erfahrung im LEH, insbesondere exzellente Frischekenntnisse. „Ansonsten sollte man eine Ausbildung im Einzelhandel, einen Handelsfachwirt oder ein wirtschaftswissenschaftliches Studium mitbringen. Berufserfahrung als Markt- oder Abteilungsleiter in einem Supermarkt sollte man auch gesammelt haben“, berichtet der Jungkaufmann. Aber auch für Quereinsteiger biete Rewe Möglichkeiten, sich für die Selbstständigkeit zu qualifizieren.

Edeka schafft beispielsweise die Möglichkeit, an einem Existenzgründertag sowie am Seminar „Fit für die Selbstständigkeit“ teilzunehmen. Zudem werden Beratungsgespräche mit einem Betriebsberater angeboten, bei denen das Privatisierungsszenario vertieft und ein individuelles Privatisierungsmodell erstellt werden.
 

Raum für Profilierung

Häring, die mit dem Umbau einen modernen, großzügigen Markt geschaffen hat, setzt bei ihrem Sortiment – wie schon ihr Vorgänger – verstärkt auf regionale Lieferanten und ein umfangreiches Streckengeschäft, um „den Kunden immer wieder etwas Neues bieten zu können, das sie bei der Konkurrenz nicht finden“.

Rewe-Kaufmann Daguerre legt seinen Fokus seit Beginn auf die Themen Frische, Regionalität und Ernährung, weshalb sein Markt über eine Salatbar und eine heiße Theke verfügt. „Darüber hinaus bieten wir auch besondere Artikel wie beispielsweise ein Halal-Sortiment, italienische Feinkost und Antipasti an. Dabei achten wir außerdem darauf, dass wir auch kleinere Betriebe aus der Umgebung unterstützen, und beziehen viele regionale Artikel von Erzeugern aus dem nahen Umfeld.“ Auch Themen wie Bio, Veggie beziehungsweise Vegan oder internationale Küche, so der gebürtige Hannoveraner, würden immer bedeutungsvoller. 

Weniger Zeit auf der Fläche

Die ganz praktischen Veränderungen, die eine Selbstständigkeit mit sich bringt, beschreibt Anna Häring wie folgt: „Früher, als Marktleiterin, habe ich fast den ganzen Tag auf der Fläche verbracht. Jetzt sind es etwa 60 Prozent im Büro und 40 Prozent auf der Fläche – das war für mich schon eine große Umstellung.“ Nichtsdestotrotz ist sie guter Hoffnung, in Zukunft auch wieder mehr Zeit für den direkten Kundenkontakt zu haben.

Einen großen Vorteil der Selbstständigkeit sieht Häring in den flexiblen Arbeitszeiten. „Ich kann selbst entscheiden, wann ich im Markt bin oder wie ich meine Zeit im Homeoffice einplane. Ich kann so viel besser Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Andererseits kann es auch mal sein, dass ich eine 70-Stunden-Woche habe und meinen Sohn zwei, drei Wochen so gut wie gar nicht zu Gesicht bekomme, aber das ist meist nur in der Ferienzeit oder war zu Corona-Hochzeiten der Fall.“ Ein weiterer Vorteil sei, dass man sich selbst verwirklichen könne und niemanden überzeugen müsse, um etwas Neues auszuprobieren.

Daguerre bereitet indes die ständige Interaktion mit den Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten die meiste Freude. Die Selbstständigkeit habe ihm zudem die Möglichkeit eröffnet, sich in lokalen Vereinen zu engagieren und wohltätige Zwecke und Spendenaktionen zu unterstützen. „Letztendlich erfüllt es mich mit großem Stolz und viel Freude, wenn ich sehe, was ich mit meinem Team bewegen kann und wie wir gemeinsam täglich alles geben, um unsere Kunden zu begeistern.“ 


"Es ist nicht immer einfach zu wissen, ob man den richtigen Weg geht. Es ist immer auch ein Balanceakt."

Anna Häring (Edeka Häring)


„Rucksack an Verantwortung“

Nicht zu unterschätzen ist laut Anna Häring das hohe Maß an Verantwortung, die man zu tragen hat. Sie verweist dabei auf die Entscheidungen, die im Hintergrund zu treffen sind, damit es dem Unternehmen gut geht. „Gerade zu Krisenzeiten mit Corona, ständig steigenden Einkaufs- und Verkaufspreisen, dem veränderten Kaufverhalten der Kunden, der steigenden Inflation, den steigenden Lohnkosten und dem Fachkräftemangel ist es nicht immer einfach, zu wissen, ob 
man den richtigen Weg geht. Es ist immer auch ein Balanceakt.“

Doch welche Eigenschaften muss man mitbringen, um sich in der Selbstständigkeit behaupten zu können? „Man sollte viel Erfahrung und Mut mitbringen“, so Häring. „Mitarbeiterführung ist die mit Abstand größte Herausforderung. Jedem einzelnen Mitarbeiter täglich zu zeigen, wie wichtig er oder sie für das Unternehmen ist, bleibt im Tagesgeschäft leider zu oft auf der Strecke und ist doch so wichtig.“ Denn: Ohne ein funktionierendes Team könne der Markt nicht funktionieren.

Christophe Daguerre betont vor allem die Freude, die man beim Umgang mit Menschen haben sollte: „Dazu gehört natürlich ein gewisses Maß an Empathie und Teamfähigkeit. Das sollte man schon mitbringen.“ Und natürlich – die Begeisterung für Lebensmittel und den Handel.


ZUR PERSON

Anna Häring

hatte schon als 15-jährige Schülerin einen Nebenjob im Edeka-Markt von Kaufmann Klaus Michallik. Nach ihrem Abitur und einem Jahr im Ausland begann die heute 36-Jährige ein Studium der Politikwissenschaften, merkte aber schnell, dass ihr die Theorie des Studiums nicht lag. 

Sie absolvierte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und schloss eine Weiterbildung zur Handelsfachwirtin an. Schon damals hegte sie den Wunsch, einen eigenen Markt zu führen. Die Chance kam, als Edeka-Kaufmann Klaus Michallik in den Ruhestand ging. Nach einigen Monaten der Vorbereitung übernahm Häring im März 2021 den Markt am Neuen Weg in Wolfenbüttel. Beim Sortiment setzt sie auf regionale Lieferanten.


 


ZUR PERSON

Christophe Daguerre

ist seit 2014 bei Rewe tätig und hat seinen ersten eigenen Markt am 25. Juni 2020 in der Philipsbornstraße 2a in Hannover eröffnet. Vor seiner Selbstständigkeit hat er als Marktleiter in einem Rewe-Markt in Hannover gearbeitet.

Nach dem Abitur und der Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel absolvierte Daguerre ein berufsbegleitendes BWL-Studium mit Spezialisierung auf Retail & Distribution. Nach seinem Studium reiste er außerdem ein Jahr lang als Backpacker durch Australien. 

Sein Markt verfügt über eine Verkaufsfläche von 1.324 Quadratmetern, wobei die Frischeabteilungen O+G, Mopro und der Service in Vollbedienung einen wichtigen Part einnehmen. Aktuell werden etwa 65 Mitarbeiter beschäftigt.


 

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