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ForscherAuftritt David Bosshart: „Hirn, Hand und Herz“

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird immer selbstverständlicher. Dass KI jemals gesunden Menschenverstand, sinnliche Intelligenz und Kreativität ersetzen kann, bezweifelt David Bosshart. Jedenfalls nach heutigem Stand …

David Bosshart, Trendforscher, Executive Advisor, langjähriger Direktor Gottlieb Duttweiler Institute. Foto: GDI, Sandra Blaser
Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI, Sandra Blaser

Im LEH zieht Künstliche Intelligenz ein. Wie beurteilen Sie ihren Einsatz?
Zunächst: KI ist ein unsinniger Ausdruck, der zufällig 1956 in den USA entstand. Ursprünglich ging es um Automatisierung und Kybernetik, also die Steuerung von komplexen Systemen. Man würde besser von „Computer Statistik“ innerhalb der „Datenwissenschaft“ sprechen. Es geht somit auch im LEH um Wahrscheinlichkeiten und Akkuratheit, also mit welcher Sorgfalt ein Programm das Eintreten eines Ereignisses einschätzen kann. 

Wie hoch ist denn mittlerweile die Treffsicherheit?  
Eine Angemessenheit von 70 Prozent gilt heute schon als recht gut – das sind Hinweise, dass die KI einen Weg von Ausprobieren, Lernen und Weiterentwickeln darstellt. Das sehe ich durchaus positiv und spannend. Entscheidend werden nicht nur die Daten und deren Qualität sein, sondern vor allem auch die vertrauensvolle und sehr offene Zusammenarbeit in Teams, in denen unterschiedlichste Interessen gebündelt werden.Aber man sollte keine Wunder erwarten. Mit jeder neuen Antwort entstehen wieder viele neue Fragen, die uns bislang noch nicht bewusst waren.

Wir sollten nicht nur technische Übungen auf hohem analytischem Niveau durchexerzieren, sondern die Lebensfreude der Kunden erhöhen. Verständlicher Effizienzdruck sollte nur ein Teil der Übung sein. Das Ziel der KI ist die personalisierte Vorhersage des Kundenverhaltens. Das heißt, mit individualisiertem Marketing und Werbung auf allen Kanälen wird der Kunde zum Datenaggregat. Wo wird dann noch Raum für Spontaneität, Kreativität und Über-
raschungen bleiben? Wird unser Kunde dann ein „fröhlicher Roboter“, der das kauft, was die KI vorgibt? 

Bei Anwender-/Entscheiderseite kann auf den Menschen nicht verzichten werden. Man möchte aber doch sagen „noch nicht“ … 
Keine Bange. Die KI reduziert und komprimiert die menschlichen Intelligenz auf Sprache. LLMs – Large Language Models – haben keinen gesunden Menschenverstand. Aber der Mensch hat auch körperliche, situative und sinnliche Intelligenz: Hirn, Hand und Herz. Ob KI das je verstehen wird, wage ich nach jetzigem Stand noch zu bezweifeln. Optimistisch gesagt: Über die Zeit kann KI lernen, Ambiguität und Nuancen des Verhaltens besser einzuordnen. Aber sie hat kein Bewusstsein, sie macht nur Vorschläge. Es braucht ergänzend die menschliche Urteilskraft, also Weitsicht und Einsicht, und dann sind wir wieder beim Thema Führung und Menschlichkeit.  

Wie schätzen Sie die zeitliche Entwicklung ein?
Wir sind gerade am Beginn der Industrialisierung von KI. Die Kosten werden sinken, KI wird zur Commodity. Aber wir brauchen Menschen, die die Daten auch interpretieren und kreativ umsetzen können. Und es wird kluge Regulierung brauchen, die die Menschen schützt, aber die Innovation nicht unnötig abwürgt. Letztendlich geht es bei der ICT, der Informations- und Kommunikationstechnologie, um die kluge Gestaltung der Kommunikation und Beziehungspflege unter Menschen. 

Noch ein Blick auf Metaverse: Sehen Sie den Lebensmittelhandel für den Einsatz prädestiniert? 
Ich sehe konkrete Anwendungsmöglichkeiten etwa in der Ausbildung. Echtzeitübersetzungen in fast jede Sprache für Menschen ohne Deutschkenntnisse, Simulationsmodelle zum Erlernen von angemessenem Verhalten im Umgang mit Kunden, Instruktionen für die Ablauforganisation et cetera. Für den Abverkauf sehe ich das eher weniger. Aber als Support für die Beschreibung von Produkten, etwa die Entstehung von Käse, die Situation des Fischfangs in der Nordsee oder der Ostsee, für das Erleben von Dürren und die Begründung von Ernteausfällen – da kann viel an kreativer Energie frei werden. 

 


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stefan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com

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