Artikel

ForscherAuftritt David Bosshart: „Der LEH ist unter Druck“

Ob E-Food oder andere Technologien: Was Effizienz und Wachstum verspricht, lässt sich nicht aufhalten. Aber, sagt Handelsforscher David Bosshart, gute Dienstleistung braucht beides – Technologien und Menschen.

Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI, Sandra Blaser

Kleinflächen sahen Sie zuletzt als Gewinner der Branche. Hat sich Ihre Meinung angesichts der Entwicklungen in Sachen E-Food verändert? 
Unter Berücksichtigung der Standorte und der zu Recht großen Vielfalt an Vertriebsformaten bleiben kleinere Flächen im Trend.

Aber die Technologie, insbesondere Digitalisierung und KI, durchdringen langsam, aber kontinuierlich alle Geschäfts- und Lebensbereiche und auch den LEH. Das kann man nicht aufhalten, weil man sich dadurch mehr Effizienz und Wachstumschancen verspricht – ob zu Recht oder nicht, ist eine andere Frage.

Die Prognose lautet: weniger Verdrängung, viel mehr Gleichgewicht zwischen stationärem LEH und E-Food. Was denken Sie? 
Was passiert, ist, was nicht passieren sollte: Es geht um Mensch oder Maschine. Der LEH ist unter Druck zu automatisieren, weil die Rekrutierung von ausgebildetem Personal gerade auf der Fläche schwieriger wird. Ich komme gerade aus den USA zurück. Wenn ich dort am Flughafen einen Kaffee kaufen will, muss ich zuerst eine App herunterladen, Kreditkarte und Handynummer eingeben, damit ich bargeldlos einkaufen und bezahlen kann. Der Personalbestand wird minimiert, Prozesskosten sollen gesenkt werden. Insgesamt sind wir  aber noch weit davon entfernt, dass die Schnittstellen harmonieren, vorteilhaft und zeitsparend daherkommen.

Nach wie vor hängt E-Food im starken Stadt-Land-Gefälle fest. Lässt sich das überhaupt jemals ausgleichen? 
Nein. Urbane Menschen gehen von der Verfügbarkeit aller möglichen Waren und Dienstleistungen aus. Sie lieben das Neue und suchen die Bequemlichkeit. Viele Städter haben kein Auto mehr, was ja durchaus vernünftig ist. Dass die Ware nun zu ihnen kommen soll, ist die logische Folge. Aber Bequemlichkeit wird leicht zur Faulheit. Zwischen dem Bedürfnis und seiner Befriedigung minimiert sich die Zeitspanne. Warten wird als Belästigung empfunden. Amazon war der Erzieher der Nation in dieser Sache.

Während Corona haben mehr über 65-Jährige online Lebensmittel bestellt als jede Altersgruppe von 16 bis 64 Jahren. Überraschend? 
Nicht wirklich. Die Pandemie hat latente Entwicklungen zum Vorschein gebracht. Für Ältere hat sich der Alltag spürbar entspannt. „Angeteasert“ werden nun viele ab und zu Lebensmittel oder Ähnliches online bestellen. Für die Jungen war eine klare Trennung online und offline nie relevant. Und bei der mittleren Generation spielt der Lebensabschnitt eine Rolle: ob man Kinder hat, arbeitet und dann eben auch den wöchentlichen Großeinkauf online tätigt.

Mehr Auswahl, Vernetzung mit Produzenten etcetera: Welchen Einfluss nehmen E-Food-Vorteile auf das Konsumentenverhalten? 
Technologie sollte immer als Support für menschliche Bedürfnisse daherkommen und nicht zum Selbstzweck mutieren. Kluge, ausdrucksstarke Informationen zu lokalen Lieferanten können unterstützend eine positive Ausstrahlung haben. Nur: Gute Dienstleistungen auf der Fläche brauchen Menschen und Technologie. Technologie sollte als „Calm Technology“ daherkommen: Sie sollte beruhigen und die Sinne inspirieren, nicht die menschliche Aufmerksamkeit mit aggressivem Werbemüll ablenken.

Auch hier grätscht das Ping-Pong-Spiel zwischen Personalmangel und Technologieentwicklung wieder hinein. Menschliche Dienstleistungen werden abgebaut, und Infos über das smarte Gerät erhalten höheren Stellenwert. Der Langfristtrend ist natürlich die Automatisierung von allem bis hin zu den Kundenbedürfnissen, also die Automatisierung der Automatisierung, wie es sich Amazon seit Beginn herbeisehnt. Aber wenn Sie nur die Kosten für ein E-Food-Lager anschauen, bis alles automatisiert ist und nichts mehr händisch geht: Da brauchen Sie nicht nur viel Geld, sondern auch sehr gute Nerven und einen sehr langen Atem. 


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stefan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise