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ForscherAuftritt David Bosshart: In Kontakt bleiben

In diesen Zeiten pendeln Konsumenten permanent zwischen Ausgabelust und Frust, sagt Marktforscher David Bosshart. Jetzt ist der Händler im Vorteil, der Kundennähe und den persönlichen Austausch pflegt.

David Bosshart: Trendforscher, Executive Avisor, langjähriger Direktor Gottlied Duttweiler Institute. Foto: GDI Gottlieb Duttweiler Institute; Sandra Blaser
Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI Gottlieb Duttweiler Institute; Sandra Blaser

Wie sehen Sie aktuell die unternehmerischen Möglichkeiten, strategisch zu agieren? 
Klimawandel und Nachhaltigkeit, Pandemie und Homeoffice, Krieg und Lieferketten, Inflation und Haushaltsbudgets, Digitalisierungsdruck und Fachkräftemangel … zwischen Hoffnung und Angst 
des Verbrauchers, zwischen Ausgabelust und Frust geht es nun sehr schnell hin und her. Wir sind wohl in der gefährlichsten Lage seit den 40er-Jahren. 

In solchen Krisen werden starke Marken, ob Handel oder Hersteller, in der Regel stärker. Vertrauen in gelebte Leistungsfähigkeit nimmt zu. 
Gute Händler verhalten sich sowohl langfristig strategisch als auch taktisch. Wichtig bleiben vorerst Agilität und Flexibilität sowie schnelles Lernen und kluge Auswahl – immer mit Blick auf die Marge und noch bessere Kundenorientierung. Das Schlimmste ist, wenn sich die Unsicherheit des Händlers auf die Unsicherheit des Verbrauchers überträgt beziehungsweise diese dann noch verstärkt. 

Welchen Stand haben dabei Innovationen? Sind Kunden derzeit überhaupt offen für Neuheiten? 
Verbraucher orientieren sich zuerst an den alltäglichen Ausgaben, die einen unmittelbaren Effekt auf die verfügbaren Mittel haben: Treibstoffkosten, Brot, Fleisch, Mopro, Fisch … Die Anzahl der gekauften Artikel schrumpft bei vielen Verbrauchern. Man sucht Substitution. Verbraucher haben ja selten einen sehr rigiden Warenkorb, an dem sie sich orientieren. Sie sind bereit zu switchen, aber dafür braucht es kluge Alternativen. 

Mit der zunehmenden Inflation orientiert man sich am unteren Bereich der Preisskala, und Innovation besteht dann in einem guten, aber preislich attraktiven Substitutionsprodukt. Das geht nur gut, wenn der Händler strikt an guter Qualität festhält. Die Variantenvielfalt muss abnehmen, aber es muss immer noch eine Wahlmöglichkeit für die Verbraucher geben. Eine zu große Auswahl kann zu Unlust und Unmut führen, weil der Verbraucher dann sehr genau sieht, was er sich alles nicht mehr leisten kann.

Nahezu täglich lesen wir aber von Preiserhöhungen. Was kommt da auf den Handel noch zu?
Die guten Fragen sind der Anfang von guten Lösungen: Gehen wir auf das Ende von „billig“ zu? „Schnell, viel, billig“ – das hat sich im Kopf der deutschen Verbraucher über Jahrzehnte hinweg festgesetzt. Welche drei Worte werden in fünf bis zehn Jahren prägend sein? Werden die „realen“ Kosten, also all die externalisierten Kosten, in die Preisgestaltung miteinfließen? Und welche? Wie entwickelt sich die subjektiv empfundene Situation beim Verbraucher, dass er sich noch etwas leisten kann? 

Was bedeutet das nun für den Händler?
Ich behaupte, wer am nächsten bei den Kunden ist, gewinnt. In Summe ist wohl ein kompetenter Marktleiter einer LEH-Filiale im Vorteil, der täglich mit seinen Stammkunden im Kontakt ist und seine Erfahrungen über die verschiedenen Warenkategorien sammelt und mit den Abteilungsleitern diskutiert. Und er ist besser dran als derjenige, der sich auf übliche extrapolierende Marktforschung verlässt. Oder derjenige, der von der Zentrale aus alles steuern will. 

Je näher bei den Kunden, je besser der persönliche Austausch, desto besser das Gespür für die Bedürfnisse der Menschen in schwierigen Zeiten. Anders gesagt: Solange wir (noch) nicht die entsprechenden smarten digitalen Tools zur emotionalen Echtzeitmessung und Analyse des Kundenverhaltens haben, schlägt sozusagen Low Tech eben High Tech. Der kluge „Kundenversteher“ auf der Fläche kann besser disponieren, weil er eine intuitive Ahnung hat vom Wandel der Kundenwünsche. 

 


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig.

www.davidbosshart.com

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