Was erwarten die Konsumenten in der aktuellen Krise von Händlern und Produkten?
Die gegenwärtige Krise ist mit gespenstischer Unbestimmtheit verbunden. Diese gespenstische Unsicherheit bestimmt das Verhalten der Konsumenten in dreifacher Hinsicht: Erstens wissen sie nicht, was branden für Kosten auf uns zu? Sitzen wir im Kalten und/oder beim Blackout im Dunkeln? Zweitens können die Menschen nicht ermessen, inwieweit der Staat sie in Hinsicht auf die Kosten tatsächlich entlasten wird. Das dritte unbestimmte Momentum ist: Es gibt einige multiple Krisen – und die Menschen befürchten, dass die sich gegenseitig verstärken.
Die Unbestimmtheiten sind das größte Problem?
Ja, diese Unbestimmtheiten erzeugen einen Angstraum, der mit vielen Projektionen gefüllt wird. Wir merken bei unseren Gesprächen: Die Gemüter erhitzen sich. Ein Großteil der Bürger steht noch hinter der Regierung, es wächst aber das Misstrauen, dass die Krise nicht, wie die Flutkatastrophe naturbedingt, sondern selbstgemacht und von der Politik verschuldet ist. Das sind die Rahmenbedingungen.
Wie soll nun der Handel reagieren?
Die Menschen suchen Halt und Verlässlichkeit in der Krise. Der Rhythmus der Jahreszeiten birgt die beruhigende Botschaft, dass das Leben irgendwie weitergeht. Alltagsrituale wie Kaffeetrinken, Duschen, Frühstücken oder das Feierabendbier haben eine stabilisierende Wirkung. Marken können als Knigge des Alltags den Menschen durch ihre Kommunikation das Versprechen machen, dass mit ihnen auch in schweren Zeiten die gewünschte Stimmung aufkommt.
Wie funktioniert das genau? Was können Marken bei Unsicherheit der Käufer in einer Krise leisten?
Marken wie Nivea, Dr. Oetker oder Käpt’n Iglo können Mut machen, indem sie auf ihre lange Geschichte verweisen. Die Botschaft ist: Wir haben viele Stürme und Krisen überstanden, du als Kunde kannst von unserer Kraft, von unserer geschichtlichen Wandlungsfähigkeit profitieren, wenn du uns vertraust. Gerade angesichts der derzeitigen Unbestimmtheit erwarten die Menschen sowohl von den Marken als auch von der Politik Klarheit und Präsenz. Das kommunikative Abtauchen verstärkt nur die Unsicherheit. Die Unbestimmtheit soll vielmehr mit Lebenszeichen und einer Art Genuss-Legitimation gefüllt werden – nach dem Motto „Du darfst auch in schweren Zeiten die schönen Momente im Alltag zelebrieren. Das hast du dir verdient.“ Die Menschen wollen ja nicht zu Asketen verkommen, sondern sie wollen der Krise auch trotzen.
Marken können in Krisen Lösungen anbieten?
Ja, das ist wichtig. Persil wirbt damit: Du kannst als Kunde auch bei niedrigen Temperaturen effektiv deine Wäsche säubern. So hilft mir die Marke beim Energiesparen. Auch der Appell an die Selbstwirksamkeit der Verbraucher, den vor allem die Baumärkte postulieren, gibt den Menschen das Gefühl von Kontrolle und Handlungskraft.
Aktuell wird diskutiert, was mit der Weihnachtsbeleuchtung angesichts der Energiekrise passiert. Was meinen Sie?
Licht vermittelt gerade in kalten Zeiten Zuversicht, Wärme und Gemütlichkeit. Deswegen plädiere ich dafür, dass man die Weihnachtsbeleuchtung nicht gänzlich kappt, sondern Lichtkonzepte verändert. Statt einer gleichmäßigen Ausleuchtung kann man im Geschäft beispielsweise durchdacht Lichtpunkte setzen. Dadurch signalisiert der Händler, ich habe die Zeichen der Zeit erkannt und spende Trost und Zuversicht. Für Kunden bedeuten Lichtpunkte: An diesen Orten kann man sich gemeinsam aufrichten – quasi im Licht am Ende des Tunnels.
Stephan Grünewald
Der Psychologe und Autor leitet das Rheingold Institut. In dieser RUNDSCHAU-Kolumne wechselt er sich mit David Bosshart, Florian Klaus und Martin Fassnacht ab.
www.stephangruenewald.de
