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ForscherAuftritt Stephan Grünewald: Punkte sammeln als Trophäe

In Zeiten wie diesen tun sich viele Bürger schwer, Positives im Alltag zu finden. Stephan Grünewald erklärt, wie der LEH mit Treue-Aktionen einen persönlicheren Bezug zu seinen Kunden schaffen kann – und damit einen Mehrwert.

Stephan Grünewald, Geschäftsführer, Rheingold Institut (Foto: Rheingold Institut)
Von Mirko Jeschke | Fotos: Rheingold Institut

Herr Grünewald, die Krisen sind leider nach wie vor nicht aus dem Alltag der Menschen verschwunden – ganz im Gegenteil. Was empfinden die Deutschen derzeit angesichts immer neuer Konfliktfelder?
Die Krisen haben inzwischen eine Art Zombie-Qualität bekommen und werden sozusagen als ewige Wiedergänger wahrgenommen. Es dominiert das Gefühl, dass weder Politik noch die Bürger selbst in der Lage sind, etwas gegen die Probleme zu unternehmen. Gleichzeitig geben die jüngsten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus den Menschen auch die Gelegenheit, Bewegungsenergie zu kanalisieren und wieder Orientierung in der Gemeinschaft zu erlangen.

Ist die tatsächliche Lage aber möglicherweise nicht doch besser als die Stimmung? 
Die Stimmung ist zurzeit sehr schlecht. In der Energiekrise war sie sogar noch besser. Dank einer klaren politischen Kommunikation kannte jeder Einzelne die Herausforderung und konnte seinen Beitrag leisten. Ein vergleichbares Gemeinschaftsprojekt ist bei den aktuellen Protesten nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die Signale der Politik mit dem Parteienzank innerhalb der Regierung vermitteln nicht das Gefühl, dass ein Ausweg gefunden werden kann, und führen zu einem Vertrauensverlust. Dazu kommen die hohe Inflation und neue Ängste angesichts des schwelenden Nahostkonflikts. All das macht es den Bürgern in einer ohnehin dunklen Jahreszeit schwer, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.

Stichwort Zuversicht: In einer Ihrer jüngsten Studien befassen Sie sich mit der Relevanz bzw. Faszination von Treue-Aktionen seitens des LEH. Warum sind sie gerade jetzt wichtiger denn je?
Der Einkauf ist ja ein ständiger Kreislauf: Produkte werden gekauft, nach Hause gebracht, konsumiert und dann wieder neu erworben. Das Schöne an Treue-Kampagnen ist, dass sich in diesem Kreislauf nach und nach etwas materialisiert und somit ein Mehrwert entsteht. Der Kunde kann verfolgen, wie sein Punktekonto stetig steigt und er dem Ziel, letztlich eine Prämie einzulösen, mit jedem Einkauf näher kommt. Wir beobachten immer wieder, wie stolz viele Menschen auf die Dinge sind, die sie einst im Rahmen einer solchen Aktion erhalten haben. Dabei haben die Produkte oftmals den Charakter einer persönlichen Trophäe.

Gibt es weitere positive Effekte?
Durch die Sammellogik verspürt der Konsument die Berechtigung, sich auch mehr zu gönnen. Das heißt, im Rahmen von Treue-Programmen steigen auch nachweislich die Bongrößen. Darüber hinaus verändert sich die Haltung der Shopper zum Händler. Es entsteht eine Bindung mit höherer Qualität, weil der Kunde das Gefühl bekommt, umsorgt und am Ende belohnt zu werden.

Treue-Aktionen können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Welche Variante wird am besten angenommen?
Wir unterscheiden zwischen drei Arten: Gratis-Kampagnen mit einer Zuzahlung von maximal einem Euro, Kampagnen mit einer marginalen Zuzahlung von bis zu sieben oder acht Euro sowie solche mit deutlich höheren Zuzahlungen. Unseren Studienergebnissen zufolge finden die Gratis-Kampagnen den größten Anklang, da die entsprechenden Produkte von den Kunden nicht im Verdacht stehen, eine Mogel-
packung zu sein, sondern als echtes Geschenk wahrgenommen werden.

Über welche Kanäle sollte dabei die Kundenansprache erfolgen?
Analoges Punktesammeln wird tatsächlich gegenüber digitalen, App-gestützten Programmen bevorzugt. Die Konsumenten, aber auch die Kassierenden erfahren durch die Möglichkeit, selbst Punkte zu kleben oder sie zu vergeben, eine hohe Selbstwirksamkeit, und sie erleben einen Erfüllungsmoment – im Gegensatz zu dem allgemein vorherrschenden Ohnmachtsgefühl.


Stephan Grünewald

Der Psychologe und Autor leitet das Rheingold Institut. Hier wechselt er sich mit David Bosshart, Florian Klaus und Martin Fassnacht ab. www.stephangruenewald.de

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