Worin liegt die Faszination am Grillen?
Das hat viel damit zu tun, dass wir in Ernährungsdingen heute so weit weg vom Ursprung sind. Oft beschränkt sich unser alltägliches Kochen auf mehr oder weniger aufwendiges Warmmachen von Fertigprodukten. Grillen ist ein beruhigender Gegenpol fürs Gewissen. Die eigene Familie, Gäste oder Freunde zu bekochen, ist zudem eng damit verknüpft, ob wir uns als sozial eingebunden und wirksam im Leben wahrnehmen. Psychologen nennen das „Selbstwirksamkeit“.
In unserer technisierten und automatisierten Welt suchen wir immer dringender nach Signalen, die dieses individuelle Bedürfnis stillen. Die Zubereitung von Essen für Familie/Gäste hat in dem Zusammenhang einen sehr hohen Wert. Dazu kommt, dass gerade Männer nach wie vor an archaischen Themen hängen. Es gibt eine große Diskussion um (neue) Männlichkeit. Grillen bietet da eine große Erleichterung. Es ist eine Art Flucht in ein automatisch ablaufendes, einfaches Männlichkeitsbild: Mann steht am Grill, bereitet Essen mit Feuer zu, alle sehen und riechen es – und am Ende wird das Werk gelobt.
Ab welchem Zeitpunkt spricht man vom Wintergrillen?
Wintergrillen ist all das, was aus dem klassisch-sommerlichen Grill-Kontext herausfällt. Es muss kein Schnee und Eis im Spiel sein. Es ist eher das Symbol, dass ich mich nicht durch das Wetter abhalten lasse. Das kann schon im Herbst sein, wenn die Witterung widrig ist, nicht jeder grillt und es nicht überall Grill-Promotions gibt. Das gibt nochmal eine Extraportion Selbstwirksamkeit.
Was kann man zum Umsatzbringer Wintergrillen sagen?
Das kann und wird sicherlich nach wie vor funktionieren. Vor Jahren begann das Thema noch mit selbst organisiertem Wintergrillen, ohne vorkonfektioniertes und vormariniertes Grillfleisch im Herbst. Da musste mehr auf eigene Faust organisiert werden – genau das brachte den besonderen Charme. Nach dem Motto: Ich weiß, dass keine Saison ist, mache es aber trotzdem. Schaut mich an, den Helden am Grill. Das hatte für die Zielgruppe, die sich besonders angesprochen fühlt, mehr Kraft als heute, wo es eine gewisse Mainstream-Tauglichkeit gibt, inklusive Markenkommunikation mit der Überschrift Wintergrillen. Das nimmt die Außergewöhnlichkeit. Dafür erreicht es eine breite Masse. Insofern ist es für den LEH sinnvoll, das Thema weiter zu bespielen.
Was wird gekauft – und unterscheiden sich die Artikel im Sommer und Winter?
Ja, tatsächlich. Es gibt natürlich Kernsortimente, die beim Grillen immer wichtig bleiben. Aber wir stellen fest, dass im Winter/Off-Season auch aufwendigere Produkte interessant werden. Im Sommer ist Convenience wichtiger. Im Winter steckt man oft mehr Zeit in so ein Event. Da ist es außergewöhnlicher, dass man den Grill anwirft. Die Wertigkeit ist eine andere, daher ist hier die Offenheit in Richtung Theke auch größer.
Inwieweit hat sich das Material in den letzten Jahren verändert?
Es ist häufig so, dass Männer das Grillen als ihr Zuständigkeitsthema sehen. Männer grillen dann für Frauen, aber auch für den Nachwuchs, der öfter fleischlose Produkte will. Ein rohes Stück Fleisch auf dem Grill jagt vielen Männern einen wohligen Schauer den Rücken hinunter. Für jüngere Generationen ist das teils problematisch. Sie sehen und riechen das Fleisch beim Grillen nicht erst dann, wenn es aus der Pfanne/dem Ofen kommt. Insofern landen wir hier viel bei Hühnchen, Gemüse und Ersatzprodukten. Dabei entsteht eine spannende Konstellation aus denjenigen, die Ersatzprodukte haben wollen, und denen, die sie grillen sollen. Die Fleischersatzbranche muss einerseits die Esser ansprechen und andererseits den Grillenden. Auch so erklärt sich, dass viele Produkte sehr nah an Fleisch-“Originalen“ liegen.
ZUR PERSON
Florian Klaus ist Markenpsychologe bei K&A Brand Research. www.ka-brandresearch.com