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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Mehr Optimismus, bitte!

Die realen Lohnerhöhungen und die sportlichen Großereignisse Fußball-EM und Olympische Spiele muss der Handel für Kommunikationskampagnen nutzen. Wirtschaft ist schließlich zu 50 Prozent Psychologie.

Martin Fassnacht, Handelsexperte, Ökonom an der WHU - Otto Beisheim School of Management.
Von Martina Kausch | Fotos: Stephan Pick

Welche Gedanken geben Sie dem Handel zum Beginn des neuen Jahres mit ?
Der Handel muss mehr Optimismus verbreiten! Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, das wusste schon Ludwig Erhard. Aktuell liegt der GfK-Konsumklimaindex auf niedrigem Niveau, die Privathaushalte sind pessimistisch eingestellt. Händler müssen alles daransetzen, die Konsumstimmung zu heben. Die Voraussetzungen dafür sind tatsächlich gegeben.

Welche Voraussetzungen meinen Sie? Es herrscht Krisenstimmung!
Genau das ist die Herausforderung! Die Bundesregierung hat es geschafft, einen verfassungswidrigen Haushalt aufzustellen. Dieses Thema beherrschte wochenlang die Nachrichten – und wird uns auch weiterhin als wichtiges Thema begleiten. Aber es gibt andere, nutzbare Themen: Lohnerhöhungen auf breiter Front sind beschlossen worden. Wir haben 2024 die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land und die Olympischen Spiele in Paris. Zwei sportliche Großereignisse in Europa, die besten Anlass bieten, um das Konsumklima zu befeuern.

Was soll denn konkret geschehen?
Der Handel muss übergeordnete Kommunikationsthemen und Kampagnen entwickeln, die Optimismus verbreiten, er muss sich etwas einfallen lassen! Das heißt, Konzepte erarbeiten, die das Thema Optimismus mit der Kernleistung des jeweiligen Formats in Verbindung bringen. Bei Supermärkten ist das vom Grundsatz eher eine attraktive Sortimentsleistung, bei Discountern sind das eher die günstigen Preise. Edekas Kampagne vor Weihnachten setzte auf „Himmlische Beratung, bodenständige Preise. Im Herzen vereint“. Bei Lidl hieß es „Der Zauber besonderer Momente – Magische Weihnachtszeit – Lidl lohnt sich“. Und Aldi warb nostalgisch „So fühlt sich nur Weihnachten an. – Aldi. Gutes für alle“. Diese Art der Kampagnen haben vor Weihnachten gepasst. Jetzt müssen sie sinngemäß übertragen werden auf Optimismus.

Rewe startete bereits die Kampagne „Zwei für Rewe“ mit zwei beliebten Fußballprofis „Jamal Musiala und Thomas Müller machen Lust aufs Einkaufen“, hieß es da, es ist offenbar bereits eine Kampagne mit Blick auf die Fußball-EM. Kann so eine Testimonial-Kampagne Optimismus verbreiten? 
Ja, das kann funktionieren. Vor allem angesichts der Realitäten. Lohnerhöhungen und die Top-Sportereignisse im Sommer sind Realitäten. Die Lohnerhöhungen werden im ersten Quartal stärker wahrgenommen werden. Und die 
Beliebtheit der Fußballprofis bringt Synergieeffekte und wird auch die jüngere Generation ansprechen.

Optimismus ist also wichtiger als die betriebswirtschaftlichen Realitäten?
Man muss selbstverständlich auch auf die Kosten achten. Der Handel denkt sehr stark in Absatzmengen, er wird sich daran gewöhnen müssen, dass Absatzmengen grundsätzlich sinken. Das ist ein neues Denken und bedeutet Streichung von Artikeln, die nicht gut laufen. Ich weiß, diesen Gedanken mag niemand, aber Vereinfachung muss ein Thema sein. Mehr Produkte bedeutet Kosten, auch Komplexitätskosten. Am Auslisten kommt in Zukunft niemand vorbei.

Ihre Idee sieht also so aus: mehr Emotionen für die Handelsmarken, mehr Optimismus durch Kampagnen und grundsätzlich ein professionelleres Preismanagement? 
Ja, alle drei Themen müssen im Fokus des Top-Managements stehen. Am schnellsten sind die Kommunikationskampagnen zu realisieren. Die beiden anderen Themen benötigen dagegen natürlich mehr Zeit, die aber dringend zu investieren ist. Wenn die Absatzmengen grundsätzlich sinken werden, spielt im Gegenzug das Thema Preismanagement eine sehr übergeordnete Rolle für die Profitabilität von Handelsunternehmen.


Martin Fassnacht 

ist Inhaber des Strategie- und Marketing-Lehrstuhls der WHU. Er wechselt sich hier mit Stephan Grünewald (Rheingold), Trend- und Handelsforscher David Bosshart und Markenpsychologe Florian Klaus ab. www.whu.edu

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