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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Wie ernst ist die Lage?

Wie kann der Handel die Profitabilität steigern? Produktbündelungen sind sinnvoller als bloßer Angebotsaktionismus. Martin Fassnacht vermisst vor allem eine strategisch durchdachte Handelsmarkenarchitektur.

Martin Fassnacht, Ökonom an der WHU – Otto Beisheim School of Management
Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU/privat

Aktuell wird von einer technischen Rezession gesprochen, wenn es um die Situation der deutschen Wirtschaft geht. Wie ernst ist die Lage?
Ich halte die Lage für ernst und die Formulierung „technische Rezession“ für schönfärberisch. Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession und stagniert. Ich sehe nicht, dass sich das rasch ändern wird, denn es gibt auch einen Vertrauensverlust in Bezug auf wirtschaftspolitische Entscheidungen.

Was bedeutet das für den LEH? 
Nicht nur die Inflation drückt auf die Konsumlaune der Deutschen, es gibt eine allgemeine Unsicherheit und Themen wie Wohlstandsverlust. Umsätze im Handel nehmen nominal zu, teilweise aber real nicht mehr. Die fetten Jahre sind vorbei, und der Handel muss sich auf sinkende Gewinne einstellen. Umso wichtiger für die Profitabilität ist eine durchdachte Preisstrategie.

Was ist zu tun? Das Thema Preis ist ein schwieriges Thema?
Aber es ist ein wichtiges Thema, bei dem der Handel viel Geld liegen lässt. Eine neue Studie zeigt, dass das Pricing in der unternehmerischen Praxis nach wie vor eine zu unbedeutende Rolle spielt. Der Handel muss sich mit dem Thema Price Management ernsthaft strategisch und konzeptionell auseinandersetzen.

Ihre Tipps für die Handelsunternehmen?
Lassen Sie mich kurz und klar erinnern: Gewinn ist Umsatz minus Kosten, Umsatz ist Preis mal Menge. Aktuell gehen die Absatzmengen zurück. Umsatz ist Bestandteil der Gewinngleichung. Wenn die Menge beim Umsatz sinkt, ist das Thema Preis extrem relevant, es muss also unbedingt ein Top-Managementthema in den Handelsunternehmen sein! Noch einmal: Die Handelsunternehmen und Hersteller müssen sich mit dem Thema Preismanagement viel stärker auseinandersetzen, und sie müssen es insgesamt auch sehr deutlich professionalisieren.

Ihr Tipp fürs tägliche Marktleben?
Der Handel geht bei dem Thema Preismanagement zu oft aktionistisch und wettbewerberorientiert vor, das muss insgesamt strategischer gehandhabt werden. Ich verstehe beispielsweise nicht, warum man nicht viel mehr Produktbündelungen anbietet. Mein Bäcker um die Ecke bietet samstags Frühstückstüten mit verschiedenen Broten und Semmeln. Wir steuern jetzt im Herbst auf Halloween zu, auf die Feiersaison, auf Weihnachten, den Jahreswechsel – da ist einfallsreiche Produktbündelung ein Mittel der Wahl.

Das Thema Handelsmarken gewinnt aktuell an Relevanz, auch bei den Discountern tut sich viel. Welche Strategien beobachten Sie dort?
Das ist korrekt. Entscheidend ist das Thema Handelsmarkenarchitektur. Es geht um die Verbindung und Anordnung der Handelsmarken auf der Produktmarkenebene in Relation zu der Unternehmensmarke. Man muss Antworten finden hinsichtlich der Anzahl der Handelsmarken, der Positionierung und Anordnung der Handelsmarken zueinander, des Umfangs der Warengruppen, die eine Handelsmarke umfasst.

Und zum Thema Discounter: Aldi Süd testet eine Dachmarke „Einfach gut“, deren Produkte preisgünstiger im Vergleich zu den klassischen Preiseinstiegsprodukten sind. Netto bietet Waren an, die Verbraucher mit knappem Budget ansprechen sollen. Im Gegensatz zu Aldi Süd wendet Netto für diese Produkte keine einheitliche Dachmarke über mehrere Warengruppen an.

Kommt Handelsmarken-Marketing ohne Emotionen aus?
Eine sehr spannende Frage. Generell sind starke Marken hoch emotional aufgeladen, das trifft meiner Meinung nach für viele Handelsmarken nicht zu. Handelsmarken müssen deutlich emotionaler werden.


Martin Fassnacht 

ist Inhaber des Strategie- und Marketing-Lehrstuhls der WHU. Er wechselt sich hier mit Stephan Grünewald (Rheingold), Trend- und Handelsforscher David Bosshart und Markenpsychologe Florian Klaus ab. www.whu.edu

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