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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Handelsmarken neu denken

Angesichts von kaum realem Umsatzzuwachs rät Martin Fassnacht Händlern, sich als Partner der Konsumenten zu positionieren. Für die Handelsunternehmen seien Internationalisierung und Eigenmarkenstrategie wichtig.

Martin Fassnacht, Ökonom an der WHU – Otto Beisheim School of Management
Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU/privat

Die Inflation ist in Deutschland das große Thema, die Umsätze im LEH sind bereits 2022 nur nominal gestiegen, real aber kaum. Wie geht es 2023 weiter?
Die Verunsicherung der Kunden ist meiner Ansicht nach das wichtigste Thema für den Handel. Die Möglichkeit für reale Umsatzzuwächse sehe ich kaum. Die Menschen kaufen weniger Mengen ein und ändern ihre Produktwahl. Die Preise für Lebensmittel sind mit rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen, und das Preisniveau wird weiter hoch sein. Das ist die aktuelle Situation. Die Konsumenten wollen mehr sparen. „Wie gehe ich als Händler damit um?“, ist die entscheidende Frage.

Wie sollen Händler damit umgehen?
Händler müssen sich als Partner der Verbraucher in unsicheren Zeiten präsentieren, um beim Sparen im Alltag zu unterstützen. Ich sehe nicht, dass diese Chance vom LEH genutzt wird, wenn man zum Beispiel an eine Zusammenarbeit im Bereich Energie oder auch Mobilität mit entsprechenden Anbietern denkt. Konsumenten werden mit ihren Fragen und der Inflation aktuell vom LEH größtenteils allein gelassen.

Wie kann man dem Personalmangel 2023 begegnen?
Der Handel sollte beim Thema Fachkräfte neue Wege andenken und zum Beispiel verstärkt ältere Menschen als Mitarbeiter gewinnen. „Hire for attitude, train for skills” geht in diese Richtung.

Welche weiteren Themen gibt es?
Die Digitalisierungskompetenz muss vorangetrieben werden. Händler müssen in die Omnichannel-Kompetenz investieren, Offline und 
Online müssen verbunden und zusammen gedacht werden. Ein hoher Anteil des Umsatzes wird von Konsumenten gemacht, die schnell und günstig einkaufen wollen. Hier kommt eine Omnichannel-Strategie dem wachsenden Bedürfnis nach Bequemlichkeit entgegen und ist deswegen sehr wichtig. Es ist ein großes Thema, das aber viel Geld kostet. 

Wo bleibt da das Einkaufserlebnis?
Ehrlich gesagt: Shopping Experience im LEH halte ich für eine Mär. Wo gibt es in der Realität hier ein Einkaufserlebnis mit Beratung – auch angesichts der Personalknappheit? Ich persönlich treffe in den meisten Supermärkten nur Regaleinräumer mit wenig Beratungskompetenz.

Dann kann der Kunde Lebensmittel gleich online bestellen und liefern lassen? Oder in einem Smart Store ohne Personal einkaufen und die Ware selbst scannen?
Exakt. Smart Stores erfordern allerdings hohe Investitionen. Die Zukunft der Smart Stores sehe ich in dem Grab & Go-Modell von Amazon Go: Die Kunden registrieren sich einmal, gehen rein, suchen aus und gehen raus, ohne Self Scan. Das Selbstscannen ist dagegen Mittelalter, denn es ist nicht komfortabel.

Wo sollen neue Umsätze generiert werden, wenn dies, wie Sie sagen, in Deutschland schwierig wird?
Tatsächlich sind mir zwei weitere Themen sehr wichtig: Internationalisierung und Handelsmarkenpolitik. Die Handelsunternehmen müssen über Internationalisierung nachdenken, denn die Möglichkeiten für steigende Wachstumsraten in Deutschland sind begrenzt. Die Strategie von Edeka, sich auf Deutschland zu beschränken, limitiert ihr Potenzial, weitere Umsatzzuwächse zu generieren. 

Warum ist Ihnen die Handelmarkenpolitik als Thema wichtig?
Die Handelsmarkenpolitik ist angesichts der Inflation eine große Baustelle. Handelsunternehmen müssen das Thema Handelsmarken strategisch und produktpolitisch noch stärker fokussieren. Zum einen geht es um eine stärkere Emotionalisierung dieser Handelsmarken und zum anderen um verstärkte Investitionen in neue Produkte.


Martin Fassnacht 

ist Inhaber des Strategie- und Marketing-Lehrstuhls der WHU. Er wechselt sich hier mit Stephan Grünewald (Rheingold), Trend- und Handelsforscher David Bosshart und Markenpsychologe Florian Klaus ab. www.whu.edu

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