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Attitude-Behavior-Gap im LEH: Was die Krise für die Nachhaltigkeit bedeutet

Die DHBW Heilbronn hat Ihre Studie zum Attitude-Behavior-Gap (Nachhaltigkeit) aus dem Jahr 2021 im Oktober 2022 wiederholt und die Studienergebnisse in einem Whitepaper veröffentlicht. Das Ergebnis: Nachhaltigkeit hat trotz der Folgen des Ukraine-Konfliktes (Inflation und Kaufzurückhaltung) an Bedeutung bei den Konsumenten kaum verloren.

Welchen Einfluss haben aktuelle Krisen auf den Attitude-Behavior-Gap?
Von Alexander Thürer | Fotos: AdobeStock/estradaanton

Im November 2021 veröffentlichte die DHBW Heilbronn bereits ein Whitepaper zum Attitude Behavior Gap bei Lebensmitteln, in dem die Gaps von 13 Kaufkriterien zur Nachhaltigkeit untersucht und Handlungsempfehlungen für den LEH ausgesprochen wurden. In Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat sich die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland jedoch stark verändert. Die monatliche Inflationsrate ist von 5,2 Prozent im November 2021 auf 10,4 Prozent im Oktober 2022 gestiegen. Die Inflationsrate für Lebensmittel ist zudem überproportional gestiegen. Lag sie im November 2021 noch bei 4,5 Prozent, ist sie bis Oktober 2022 auf 20,3 Prozent angestiegen.

Nachhaltigkeit bleibt relevant

Ein zentrales Ergebnis der Studie kommt dabei zu der überraschenden Erkenntnis: Das Thema Nachhaltigkeit hat trotz der Folgen des Ukraine-Konfliktes (Inflation und Kaufzurückhaltung) kaum an Bedeutung bei den Konsumenten verloren. 42,9 Prozent (2021: 43,2) stimmen der Aussage zu/eher zu‚ dass Nachhaltigkeit Einfluss auf das Ernährungs- und Kaufverhalten habe.  50,8 Prozent (2021: 52,5 %) sagten zudem, dass sie bereit seien, für nachhaltigen Konsum auf Wohlstand zu verzichten. Und 41,6 Prozent (2021: 40,0 %) waren bereit, aufgrund des Angebots nachhaltiger Artikel die Einkaufsstätte zu wechseln.

Nachhaltigkeit bleibt also in der Bevölkerung fest verankert. Die Autoren Nele Berg, Prof. Dr. Carsten Kortum, Prof. Dr. Stephan Rüschen und Julia Schumacher sehen aber in ihren Daten in Wirklichkeit noch viele Nachhaltigkeits-Skeptiker (2022: 31,0 % vs. 2021: 31,0 %) und Nachhaltigkeits-Verweigerer (2021: 39,4 % vs. 2022 40,1 %). Daher geben die Autoren zehn Handlungsempfehlungen zur weiteren Intensivierung von Nachhaltigkeit bei den Konsumenten und zeigen Beispiele auf, wie diese zum Teil bereits umgesetzt werden.

Die 10 Handlungsempfehlungen im Überblick:

 

  1. Nachhaltigkeit muss in Unternehmen eine Grundhaltung und Bestandteil des Purpose sein. Die Verantwortung dafür sollte nicht nur an eine Nachhaltigkeitsabteilung delegiert werden.
     
  2. Die Branche benötigt ein einheitliches Verständnis und eine einheitliche Definition von Klimaneutralität.
     
  3. Es wird ein branchenübergreifender und umfassender Nachhaltigkeits-Score für alle Produkte benötigt. Somit könnte für die Kund*innen die Komplexität der Kaufentscheidung reduziert werden. Die Verständlichkeit der Siegel und das wahrgenommene Vertrauen in die bestehenden Siegel müssen gestärkt werden.
     
  4. Gemeinsame Round-Table-Initiativen von Händlern und Herstellern zur Gestaltung des Transformationsprozesses müssen etabliert werden.  Es bedarf in vielen Themen einer Kooperation der Wettbewerber im LEH (Coopetition).

5. Hersteller und Handel sollten darauf einwirken, dass durch staatliche Maßnahmen der preisliche Unterschied zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Produkten reduziert wird. Preise müssen auch externe Kosten im Sinne eines True Cost-Ansatzes enthalten.
 

6. Neben dem Preis ist die Markenloyalität bei habituellen Kaufentscheidungen ein Hemmnis für nachhaltigeren Konsum. Die Markenartikelindustrie ist gefordert, Produkte und Verpackungen nachhaltiger zu gestalten. Der Handel muss mit seiner Marktmacht in Gesprächen und Verhandlungen mit Herstellern Nachhaltigkeit vor Konditionen priorisieren.
 

7. Information, Aufklärung und Ehrlichkeit sollten in der Kommunikation Priorität haben, um die Wertschätzung von Lebensmitteln und der eigenen Gesundheit weiter zu steigern. Im Marketing muss eine emotionale, soziale und kognitive Ansprache erfolgen. Das so entstandene subjektive Wissen ist Moderator für die Umsetzung von Einstellung (Attitude) in Verhalten (Behavior). Der Handel muss ein profundes Knowhow über die Komplexität der Nachhaltigkeitskonzepte aufbauen und Kund*innen, Mitarbeiter*innen und Lieferanten zur Verfügung stellen.
 

8. In der Sortimentspolitik muss durch Neueinlistungen von Marken und auch Eigenmarken das entsprechende Angebot nachhaltiger Artikel geschaffen werden. Nachhaltige Produkte müssen nicht nur Nachhaltigkeit adressieren, sondern sollten ein Werte versprechen beinhalten, das alle Bedürfnisse der Kund*innen bedient. Die Eliminierung von nicht nachhaltigen Produkten und nicht nachhaltigen Lieferketten sollte branchenweit umgesetzt werden.
 

9. Nachhaltige Produkte müssen in der Platzierung am PoS als Alternative für konventionelle Produkte einfach zu finden sein.
 

10. Verpackungen müssen an die tatsächlichen Bedarfsmengen angepasst werden. Die Ökobilanz und Recyclingfähigkeit der Verpackungen müssen für die Kund*innen transparent sein. Die Informationen auf den Verpackungen müssen einfach verständlich sein.

Alle Studienergebnisse im Detail finden Sie im Whitepaper der DHBW Heilbronn, das Sie hier kostenlos downloaden können.

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