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Noch Potenzial?

Ein Bombenjahr liegt hinter der deutschen Bierbranche: ein warmer Sommer, insbesondere in der ersten Jahreshälfte, und der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft haben nicht nur die Stimmung der deutschen Bevölkerung euphorisiert,

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sondern auch die Bierabsätze steigen lassen – und das erstmals seit fast zehn Jahren. 95,6 Millionen Hektoliter Bier wurden im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt abgesetzt. Der Pro-Kopf-Verbrauch stieg erstmals wieder und lag bei etwa 107 Litern, wie Zahlen des Deutschen Brauerbundes belegen. Eine Trendwende? Eher nicht. Was die Volumina betrifft, gehen Branchen-experten weiterhin von einem schrumpfenden Markt aus.

Hoher Preiswettbewerb

Angefeuert wird die schwierige Situation vom nach wie vor großen Preiswettbewerb auf dem deutschen Biermarkt. Eine Aktion folgt der nächsten. Bier ist weiter Zugpferd und Frequenzbringer für den Handel. Doch das scheint nicht der einzige Grund. Experten kritisieren die seit Jahren bestehende Einförmigkeit auf dem deutschen Biermarkt: im Geschmack, im Auftritt, im Image. „Durch die Verdrängung und die Machtkämpfe ist Bier immer einheitlicher geworden“, so etwa Jeff Maisel, Geschäftsführer der gleichnamigen Brauerei. Die Folge: „Wenn sich eine Marke nicht über etwas Besonderes profiliert, dann geht es eben über den Preis“, erklärt Dieter Klenk, Bierexperte und Organisator der Getränke Impuls Tage.

Heilsbringer Craft-Bier?

Zusätzliches Wachstum versuchen viele Bierbrauer in ihren bestehenden Absatzgrenzen zu generieren. „Marken können innerhalb ihrer Mengen über Innovationen und Produktentwicklungen mehr Wertschöpfung betreiben“, zeigt sich etwa Christian Weber, Generalbevollmächtigter der Brauerei Karlsberg, überzeugt. Als Heilsbringer für die gesamte Kategorie sehen viele Branchenexperten und Bierhersteller den aktuellen Craft-Bier-Trend. 
Kleinere Craft-Bier-Brauer, die sich oftmals mit dem Charme des Revoluzzertums umgeben, einige mittelständische Brauereien, aber auch größere Hersteller wie etwa Radeberger mit der Konzerntochter Braufactum zeigen hier eine ganz andere Bierwelt als bisher gewohnt – mit vielen unterschiedlichen Geschmäckern, alten und neuen Rezepturen und neuen Bierstilen. „Wir erleben gegenwärtig eine Renaissance des Bieres und des Brauens“, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauerbundes Holger Eichele. 
„Neue und ungewöhnliche Braumethoden – wie die Reifung in Holzfässern, Flaschengärung oder Kalthopfung – bereichern die Vielfalt auf dem deutschen Biermarkt“, ergänzt Dr. Marc Rauschmann, Braumeister und Geschäftsführer Braufactum. Bisher in Sachen Umsatz und Absatz noch in den Kinderschuhen, sehen Branchenexperten durchaus Potenzial und wichtiger noch: Abstrahleffekte auf das Gros des Biermarktes. „Ich bin davon überzeugt, dass wir eine Qualitätsabstrahlung haben und Bier insgesamt auf einen anderen Stellenwert gehoben wird“, zeigt sich etwa Jeff Maisel optimistisch.

Authentisch bleiben

Doch neue Craft-Biere allein werden die schwächelnde Branche nicht wieder auf Kurs bringen. Kreatives Marketing, intelligente Produktkonzepte – die Wege der Hersteller zu mehr Wertschöpfung sind vielfältig. Die großen Player auf dem Markt setzen meist auf Faktoren wie Natürlichkeit, Reinheitsgebot und Sportsponsoring. Diese Schwerpunkte sind folglich auch aufgrund der Marktmacht der großen Brauereien für kleine und mittelständische Brauereien bereits belegt. Das Problem: „Nur wenige Hersteller schaffen es, über Innovationen und kreative Markenentwicklungen ihre Biermarke aktuell zu halten. Ich glaube, wir haben unsere Konsumenten ein bisschen eingeschläfert“, bilanziert Christian Weber, Karlsberg. Für seine Hauptmarke Karlsberg Urpils geht Weber daher einen anderen Weg: „Wir versuchen, wichtige Komponenten wie den Geschmack mit einer gewissen Selbstironie zu verknüpfen“, so Weber. 
Einen ähnlichen Ansatz, aber noch provokativer gestaltet, verfolgt Carlsberg mit der Marke Astra. Das Bier wird bewusst als Hamburger „Kiez-Bier“ vermarktet und hat sich zu einer Kultmarke für alle Gesellschaftsschichten entwickelt.
Und: Gerade heute, wo alles nachprüfbar ist, sei „eine glaubwürdige Story in Zukunft das Entscheidende“, sagt Dieter Klenk. Auch die regionale Komponente spielt eine Rolle. Brauereien wie die badische Rothaus-Brauerei machen es vor. Mit einem starken regionalen Bezug ist Rothaus auch in Berlin ein Begriff. Gleiches gilt für die Biere der Störtebeker Braumanufaktur: Ein intelligenter Regionalbezug, der Assoziationen zu Küste und Piraterie weckt, zeichnet die Marke aus. „Man bringt ein bestimmtes Regionalgefühl in die Welt hinaus“, erklärt Dr. Hans Spielmann, Geschäftsführender Gesellschafter Brauerei Welde, das Phänomen und zeigt einen weiteren interessanten  Ansatz auf: Die „tanzende“ Welde-Flasche (S. 40). Die ungewöhnliche Optik soll das Erlebnis und den wertigen Gesamtauftritt steigern. Faktoren, die auch die Preiswürdigkeit des Produktes unterstreichen sollen.

Neue Ansätze statt Kistenwüste

Neue Wege, die auch für den Handel zu mehr Umsätzen führen können – wenn man es richtig macht. Weg also vom WKZ-getriebenen Abverkaufsdenken und mehr Mut, individuelle Wege zu gehen, lautet hier der Wunsch vieler Bierhersteller. Ein eigenes Spezialitätenregal etwa fordert Jeff Maisel, ein durchdachteres Category Management wünscht sich Christian Weber. „Es gibt Einzelfälle, die ihre Produkte gut verkaufen und dadurch nicht mehr vergleichbar sind. Dazu braucht es aber geschultes, engagiertes Personal. Dann erzielen sie auch gute Spannen“, so Hans Spielmann. Erste Ansätze gibt es bereits. Die Rewe Group etwa testet derzeit im neuen Rewe Center in Darmstadt ein eigenes Craft-Bier-Regal.

Wenig Chancen für profillose Marken

Auch im Export sehen einige Hersteller weitere Chancen – so richtig nutzen diese Möglichkeit insbesondere im Mittelstand bisher nur wenige Hersteller. „Vielleicht 20 Brauereien sind da gut aufgestellt. Der gute Ruf des deutschen Bieres ist aber schon mal da“, so Dieter Klenk. 
Was die Zukunft letztlich bringt, ist ungewiss. Experten gehen von einer weiteren Bereinigung des Marktes aus. „Billig wird seinen Markt haben, aber auch außergewöhnliche Biere haben verstärkt ihre Chancen. Wer allerdings unter Druck gerät, das ist die unprofilierte Mitte, die nur nachmacht“, zeigt sich Hans Spielmann überzeugt. Fakt ist, der Biermarkt bleibt hart umkämpft. 

Experteninterview: Dr. Uwe Lebok, Vorstand K&A Brand Research

 

Herr Dr. Lebok, worauf kommt es bei der Vermarktung von Bier an?
Lebok: Zunächst einmal müssen sich Biermarken viel stärker voneinander differenzieren. Wer bin ich? Was kann ich? Wen will ich erreichen? Diesen Fragen müssen sich die Brauereien stellen, ihre Kommunikation gezielt auf diese Aspekte abstellen und dabei den Kunden aktiv miteinbeziehen.

Wie können sich Marken heute noch voneinander abheben? 
Lebok: Damit Biere als eigenständige Markenpersönlichkeiten wahrgenommen werden, müssen Brauer ihre Produkte mit ihren spezifischen Eigenschaften emotional inszenieren – nur so erreichen Sie eine bestimmte Positionierung im Kopf des Verbrauchers. Oftmals findet hier aktuell kaum eine wirkliche Differenzierung statt.

Was heißt das konkret?
Lebok: Gerade bei Bier, wo ein Großteil der Eigenschaften kategorietypisch ist, müssen sich Marken durch eine klare Inszenierung ihrer Markensymbole und die konsequente Positionierung ihrer Werthaltung abheben. Wichtig ist eine aufmerksamkeitsstarke, verbraucherrelevante Inszenierung. Hier gewinnen beispielsweise individuelle Flaschenformen oder -größen sowie eine spezifische Verpackung an Bedeutung.

Kann in diesem Zusammenhang insbesondere regionales Bier punkten?
Lebok:
 Regionalität hilft, ist aber allein kein Kaufgrund, da es zu viele Regionalbiere gibt. ?Auch bei regionalen Bieren brauchen wir einen Markentyp mit glaubwürdigen Unterscheidungsmerkmalen. Ein Beispiel: Grüner Bier aus Fürth. Die Brauerei verschwand und wurde von Tucher neu belebt. Die Marke wurde von der Bevölkerung als „typisch Fürther Bier“ aufgenommen.

Experteninterview: Dieter Klenk, Geschäftsführer Konzept&Service, Organisator Getränke Impuls Tage

Herr Klenk, wo sehen Sie die Probleme auf dem deutschen Biermarkt?
Klenk: Nach wie vorerleben wir einen großen Preiswettbewerb. Die Preisschwelle bei klassischen Konsumbieren liegt bei  10,98 Euro-, bei machen auch noch darunter. Und: Bier ist im Handel immer noch das Zugpferd. Die Folge: Eine Aktion schlägt die andere. Eine Differenzierung über andere Faktoren oder gar Marken USPs findet nicht wirklich statt. Mit wenigen Ausnahmen.

Wie sind wir denn zu dieser preisfokussierten Situation gekommen?
Klenk: In den vergangenen Jahren  war Biermarketing relativ einfach und austauschbar – sowohl bei der Werbung, als auch bei Aktionen. Das Problem: wenn sich eine Marke nicht über etwas Besonderes, das gewisse Etwas profiliert, dann geht es eben über den Preis. Austauschbarkeit  geht eben zu Lasten des Preises. Rückblickend haben sich die Brauer in den vergangenen 30 Jahren hauptsächlich über das Reinheitsgebot definiert. Es gab wenige individuelle Profile und wenig wirkliche eigenständige Spezialitäten. 

Kein gutes Zeugnis für das Bierland Deutschland …
Klenk: Es gibt natürlich Biere, die sich klar von der Konkurrenz abheben, insbesondere auch bei regionalen Brauereien. Diese müssen nicht für den Einheitsgeschmack produzieren, sondern brauen individuelle, charaktervolle Biere für ihren regionalen Markt. Hier fehlen dann allerdings wiederum meist die Mittel um das Produkt überregional zu vermarkten.  

Wie kann der Mittelstand weiter wachsen?
Klenk: Ausgangspunkt ist ein  starker Heimatmarkt und gute regionale Wurzeln.. Eine starke Markenbildung folgt über die Identität der Marke, über die Identifikation der Verbraucher und auch über die authentische Story der Brauerei und der Biere. Großes Potenzial sehe ich in diesem Zusammenhang auch im aktuellen Craft Bier-Trend. Der wird derzeit noch von Brauerei zu Brauerei unterschiedlich definiert.

Wie lassen sich speziell Craft Biere vermarkten?
Klenk: Das sind keine Biere, die man einfach ins Regal stellen kann, man muss sie erklären. 
Das ist eine gute Chance zu echter Kommunikation mit dem Verbraucher.  Bierwissen wird zum Kundennutzen. Braufactum von Radeberger war da sicherlich Vorreiter. Eine optimale Vermarktungsplattform für Craft Biere ist natürlich das Internet. Damit können sich auch regionale Brauer   neue  Absatzwege erschließen und so ihre Produkte überregional vermarkten. Voraussetzung sind dann allerdings verstandtaugliche Gebinde (Einweg / Karton) 

Lässt sich damit wirklich Geld verdienen?
Klenk: Noch hört man aus dem Markt wenig Stimmen, die von “ Geld verdienen“ sprechen.  Mit Ausnahme einer Handvoll Brauereien, die in diesem Markt schon länger professionell unterwegs sind.  Der aktuelle Nutzen für die Branche steckt derzeit eher in Imagefaktor zur Aufwertung der Produktgruppe Bier generell.  Durch die Produktstories, die neuen Aufmachungen  und natürlich der neuen,  Geschmacks- und Genusserlebnisse steckt allerdings meiner Ansicht nach noch großes Wertschöpfungspotenzial in Craft Bier. Voraussetzung dafür ist, dass die Branche  bei der Positionierung und Preisgestaltung eine gute Balance findet zwischen Verbrauchererwartungen, Exklusivität und Preis.

Hat dieser Trend auch Abstrahlkraft auf das Gros des Marktes …
Klenk: Definitiv. Dieser Trend strahlt auf das Image des Bieres insgesamt ab. Der Verbraucher erkennt dadurch  die neue Vielfalt der Branche. Er entdeckt jeden Tag neue Produkte. Sicher werden Craft Biere aktuell nur in homöopathische Mengen verkauft, allerdings mit einem hohen Image- und Genussaspekt. Die klassischen Biere für den Durst, die Spezialbiere für den Genuss.  Das muss der Verbraucher erkennen. Eine Herausforderung  für die Kommunikation.

Wie lassen sich Biere in Zukunft generell vermarkten?
Klenk: Eine glaubwürdige Markenstory ist für mich in Zukunft das Entscheidende. Der aufgeklärte Verbraucher will Authentizität und Klarheit. So lässt sich auch preislich Stärke zeigen. Nur wenn die Geschichte hinter dem Bier authentisch ist, können die Kunden auch nachvollziehen, warum ein Bier etwas mehr kostet. Die Erlebniswelt rund um die Marke – vor Ort, im Netz und in der Vermarktung , am P.O.S.  generell – muss einfach stimmen.  

Sinkende Absätze in Deutschland – ist das Thema Export eine Option für deutsches Bier?
Klenk: Einige Brauereien sind bereits im Ausland unterwegs, ein kleiner Anteil davon sehr professionell. Grundsätzlich steckt im Export sicherlich Potenzial, aber man muss es als strategisches Geschäftsfeld betrachten und gezielt angehen. Vielleicht 20 Brauereien deutschlandweit sind dabei gut aufgestellt. Die Grundvoraussetzung allerdings stimmt: Der gute Ruf des deutschen Bieres ist im Ausland bereits vorhanden.

Dieter Klenk
Dieter Klenk, Geschäftsführer Konzept&Service, Organisator Getränke Impuls Tage
Dieter Klenk
Dieter Klenk, Geschäftsführer Konzept&Service, Organisator Getränke Impuls Tage
Dr. Uwe Lebok
Dr. Uwe Lebok, Vorstand K&A Brand Research
Dr. Uwe Lebok
Dr. Uwe Lebok, Vorstand K&A Brand Research

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