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RUNDSCHAU Round Table Spirituosen: "Wir müssen viel mehr erklären"

Kaum eine Kategorie ist so facettenreich, so fragmentiert wie die Spirituose. Das Premiumsegment wächst – doch was ist mit dem Basissortiment? Unsere Experten diskutieren über Chancen, Trends und die künftige Rolle des Onlinehandels.

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Von Mirko Jeschke | Fotos: Heiko Rhode

Vor zwei Jahren hatten Sie antizipiert, dass Rum stärker kommen wird – was eingetreten ist. Was sind die Nuggets der Zukunft?

Glück: Ich beobachte den Trend bei Pfefferminz. Wir sind da schon bei elf oder zwölf Sorten – und es wird immer breiter.

Stieber: Den Pfeffi -Trend kann ich bestätigen. Bei uns ist auch Lillet extrem stark gewachsen, Aperitifs allgemein sowie Prestige-Bourbons.

Glück: Einen zweiten Trend sehe ich bei Wermut. Den kann man heute bei deutlich über 14 Euro verkaufen.

Wie sieht es bei den klaren Spirituosen aus? Eigentlich ein deutsches Kulturgut...

Schladerer: Da muss man unterscheiden, Kulturgut alleine reicht nicht aus. Beim Obstbrand denken wir in Anlässen. Dazu haben wir das Thema Obstbrand in Cocktails aufgegriffen.

Wie wird das angenommen?

Schladerer: In der Bar kommt das sehr gut an. Zu Hause wird es schwieriger: Für einen Williams Sour braucht es einen Shaker und auch Eis – das ist eine gewisse Hürde.

Apropos Hürde. Wo muss die Branche weitere Barrieren abbauen?

Riediger: Das geht beim Spirituosen-Knowhow los. Teilweise weiß der Konsument gar nicht, was beispielsweise ein Rum ist und woraus er hergestellt wird.

Schladerer: Komplizierte EU-Verordnungen machen es uns schwer. Heute weiß keiner mehr, was einen echten Obstbrand ausmacht.

Was schreibt die Gesetzgebung vor?

Schladerer: Ein echter Obstbrand hat mindestens 37,5 Volumenprozent, ist nicht aromatisiert und darf auch nicht verschnitten werden.

Viele Konsumenten wollen raus aus dem Mainstream. Markus Kohrs-Lichte, Borco-Marken-Import

Ist das im Sinne des Endverbrauchers?

Schladerer: Viele Kunden sind mit dieser Reinheit überfordert und suchen leichtere, fruchtigere Spirituosen, ohne dabei auf Authentizität zu verzichten

Goß: Es besteht ja mittlerweile auch die spannende Möglichkeit, bei den klaren Spirituosen in die Premiumrichtung zu gehen, in Fass- Stärke beispielsweise.

Herr Glück, 2015 hatten Sie sich von der Industrie mehr Verkostungsflaschen gewünscht. Was hat sich seitdem getan?

Glück: Nicht viel. Beim Wein ist es nicht tragisch, wenn ich eine Flasche für zehn Euro aufmache. Bei einer Flasche Whisky, die 60 oder 70 Euro kostet, sieht das anders aus.

Was wäre hier ein Lösungsansatz?

Glück: Eine Brennerei aus meiner Region gibt 0,1-Liter-Fläschchen aus, das funktioniert. Der Kunde probiert und kauft .

Mempel: Das stimmt. Wir müssen dem interessierten Kunden das Geschmackserlebnis möglich machen – als Kaufanreiz.

Glück: Eben das meine ich. Keiner kauft eine Flasche für 70 Euro, die er nicht kennt. Storytelling ist ein Riesenthema.

Fängt das nicht schon bei klaren Informationen auf den Etiketten an?

Kunnemann: Auf jeden Fall. Man muss für die Charakterisierung einer Spirituose Begrifflichkeiten fi nden, die auch der Laie versteht

Ist ein gut informierter Konsument dann auch bereit, mehr Geld auszugeben?

Fellmann: Ja, der Trend zu mehr Qualität ist deutlich zu sehen. Die größeren Wachstumsraten kommen defi nitiv aus dem Premiumund Superpremium-Bereich.

Riediger: Im Rum-Segment beobachten wir eine weiterhin zunehmende Premiumisierung und damit einhergehend auch eine Fragmentierung der Nachfrage.

Was heißt das konkret?

Riediger: Zwei Handelspartner berichteten mir zuletzt, ihre bestverkauft e Spirituose über 30 Euro sei mittlerweile ein Rum. Die Kategorie agiere im Premiumsegment mittlerweile auf Augenhöhe mit Whisky.

Kohrs-Lichte: Viele Konsumenten wollen raus aus dem Mainstream. Deswegen müssen wir dem Konsumenten mehr Guidelines geben und mehr Probiermomente generieren.

Herr Roisch, Sie haben viele Kunden aus dem Spirituosenbereich. Wie ist Ihre Wahrnehmung zurzeit?

Roisch: Wir machen auch sehr viel Bier. Wenn Sie als Shopper dann für eine Flasche drei Euro und mehr zahlen, ist das viel. Für den Kunden ist das Risiko sehr hoch, zur falschen Flasche zu greifen.

Wie sieht es beim Thema Whisky aus?

Fellmann: American Whiskey hat eine spannende Geschichte. Die müssen wir noch besser kommunizieren. Sobald sie oder die Handwerkskunst bei der Produktion sichtbar werden, überzeugt der Whiskey den Kunden.

Mempel: Das Problem für den Endverbraucher ist die Flut von Produkten in Kombination mit der kurzen Zeit zur Orientierung am PoS.

Der Handel sitzt Ihnen gegenüber. Er muss mit dieser Flut zurechtkommen.

Stieber: Problematisch ist eher, wenn eine Brennerei eine Abfüllung ohne Altersangabe herausbringt. Den Unterschied zu den anderen Sorten kann ich dem Kunden nicht erklären.

Passen Sie angesichts dieser Whisky- Vielfalt unterm Jahr die Regale an?

Stieber: Das Category Management bleibt bei uns gleich. Im Regal wird hin- und hergerückt.

Kolb: Über den Vitrinen nutzen wir den Platz für jahreszeitliche Sortimente. Im Sommer und Winter wird demnach umdekoriert.

Mempel: In vielen Märkten sind Produkte teilweise schon ab 8,99 Euro in Schränken abgeschlossen. Das ist eine große Barriere.

Herr Glück, Sie hatten sich bereits in unserer letzten Runde zum Thema Verschluss mit einer klaren Meinung geäußert...

Glück: Hier geht es schlicht um Diebstahl. Der kleine Diebstahl ist noch zu verkraften, aber wenn es in Richtung Bandenkriminalität geht, müssen wir handeln. Da verkaufe ich lieber im Zweifel ein paar Flaschen weniger.

Wir haben bereits über fehlende Informationen für den Kunden gesprochen. Wie sieht es denn bei den Mitarbeitern aus?

Glück: Kompetenz ist ein sehr gutes Stichwort. Es geht vor allem darum, die Mitarbeiter noch viel näher an die Ware zu bringen. Das ist mir ganz wichtig. Das geht auch über weitere Außendienstbesuche. Aber, ehrlich gesagt, ein Besuch einmal vor Weihnachten reicht uns da nicht aus. Da muss mehr kommen.

Goß: Ist denn beim Handel überhauptflächendeckend die Bereitschaft vorhanden, diese Zeit wirklich zu investieren?

Glück: Durchaus. Im Übrigen haben wir ja im Handel auch Belegungspläne. Diese reichen aber bei Weitem nicht aus, damit sich Kunden und Mitarbeiter wirklich orientieren können.

Was meinen Sie mit Belegungsplänen?

Glück: Da stehen günstige Produkte für die „Wirkungstrinker“ neben den teuren Spirituosen. Hier muss mehr Herzblut und Liebe rein.

Inwieweit werden Mitarbeitern vonseiten der Industrie Schulungen angeboten?

Mempel: Wir bieten für unsere Premiummarken Reisen zu den Destillerien und national Schulungen an. Für unsere Sortimente sind seit Jahren Brand-Ambassadore im Einsatz.

Knopfle: 2007 habe ich den Ambassador-Club gegründet. Die Organisation veranstaltet mehr als 1.600 Seminare pro Jahr, überwiegend zuWhisky. Hier informieren Experten über die unterschiedlichen Hintergründe, die Historie und die einzelnen Geschichten zu Whisky.

Es gibt eine Polarisierung zwischen Superpremium und Mainstream. Lars Roisch, Stein Promotions

Herr Fellmann, welche Maßnahmen ergreifen Sie bei Brown-Forman?

Fellmann: Wir machen American-Whiskey-Tasting-Abende im spezialisierten Einzelhandel und laden jedes Jahr Barkeeper ein. Dabei wird auch die Herstellung von Tennessee Whiskey und Bourbon erklärt.

Es gibt also unterschiedliche Beispiele. Wie wichtig ist das Thema Beratung bei den Endverbrauchern?

Roisch: Ich kenne Leute, die fahren 30 Kilometer zu einem Edekaner, weil da die Beratung so großartig ist. Da müssen Sie aber einen Händler finden, der das in seiner DNA trägt.

Auf welche weiteren, großen Entwicklungen muss sich die Branche einstellen?

Roisch: Es gibt eine Polarisierung. Auf der einen Seite Superpremium, auf der anderen Seite Mainstream. Auf diese Zweiteilung müssen wir eine Antwort finden.

Wo liegen noch die größten Probleme in der alltäglichen Kommunikation zwischen Industrie und Handel?

Weyerstall: Beim Thema Innovationen benötigen wir mehr Unterstützung. Meist ist unabhängig vom Potenzial in der Zentrale zunächst über Listungsgeld zu verhandeln. Erst wenn man sich dort einigt, kann ein Platz im Regal gefunden werden.

Schladerer: Zum Teil heißt es aus den Zentralen, alles über zehn Euro ist für uns uninteressant. Ich finde diese Aussage schrecklich, weil gerade die Premiumsegmente Spielraum für Differenzierung und Wertschöpfung geben.

Weyerstall: Auch die Bereitschaft , Produkte längerfristig zu unterstützen, ist meiner Meinung nach noch wenig ausgeprägt.

Herr Glück, was raten Sie Ihren Partnern aus der Industrie in so einem Fall?

Glück: Machen Sie es doch anders herum. Wenden Sie sich direkt an den qualifizierten Handel, der Interesse hat, und der trägt die Informationen nach oben in die Zentrale. Die wissen, wie man damit umgeht.

Lassen Sie uns über den Onlinehandel sprechen. Ist der Druck hier inzwischen merklich größer geworden?

Stieber: Das Internet dient einerseits für eine immer stärker wachsende Käuferschaft als große Informationsplattform, andererseits zum Preisvergleich.

Und der Kunde kauft dann auch online ein?

Stieber: Nicht zwingend. Wir erkennen, dass der Kunde bereit ist, stationär mehr zu bezahlen, wenn er beraten wird und probieren darf.

Weyerstall: Ist das ein Altersphänomen? Stichwort Millenials. Oder betrifft es ältere Kunden?

Stieber: Sowohl als auch. Die Altersgruppe der Konsumenten, die gleichermaßen online wie auch im Laden unterwegs ist, reicht von Mitte 20 bis zu den über 50-Jährigen.

Wir müssen immer ganz klar die Zielgruppe im Auge haben. Stefan Goß, Nordbrand Nordhausen

Welche Waren lassen sich online besser verkaufen als im stationären Handel?

Weyerstall: Für mich ist Online ein Thema  von Spezialitäten, Limited Editions. Standardware mit hohem Promotionanteil muss ich hier als Käufer nicht suchen, die bekomme ich viel besser mit der passenden Ansprache im stationären Handel um die Ecke.

Kohrs-Lichte: Der Premiumbereich insgesamt ist online ein Riesenthema. Wir versuchen aber, das im stationären Handel genauso intensiv voranzutreiben.

Welche Vorteile bietet das Internet in Bezug auf Storytelling?

Riediger: Auf der Website eines Rum-Anbieters habe ich einige tolle Inszenierungen gesehen. Sensorikbeschreibungen, von Experten und der Community.

Goß: Vor allem die jungen Käufer haben hohe Ansprüche. Ich kann heute Produkte innerhalb einer Stunde zu Hause haben. Das ist eine Herausforderung für den Handel.

Im Web entstehen doch in erster Linie neue Trends...

Mempel: Über soziale Netzwerke wie Facebook bekommen Marken und Produkte heute eine ganz andere Dynamik.

Goß: Welche Eigendynamik da entsteht, ist einfach unglaublich. Man kann eben nicht alles vorherbestimmen, sondern muss mit solchen Influencern zusammenarbeiten.

Welche Rolle werden Online-Größen wie Amazon Fresh in Zukunft spielen?

Kunnemann: Es gibt nicht nur Amazon. Andere Händler bieten über ein Gin-Abo die Option, sich von Experten eine Auswahl an Proben samt Beschreibung zuschicken zu lassen.

Kolb: Wir müssen nicht nur auf Kundenzufriedenheit schauen. Wir sind nicht zuletzt auch Wunscherfüller.

Wie meinen Sie das?

Kolb: Wenn also ein Kunde zum Beispiel eine neue Dose Superpremium-Wodka möchte, dann versuche ich natürlich, diese so schnell wie möglich zu bekommen.

Wie sieht es in Sachen Werbung aus? In den letzten Jahren sind die Ausgaben eher nach unten gegangen.

Mempel: Bei einem unserer Wodkas sind wir ganz aus der TV-Werbung ausgestiegen und voll rein in den Social-Media-Bereich. Massive Festivalpräsenz, gekoppelt mit digitaler Vermarktung und Verkostungsaktionen.

Wir beobachten, dass Digital den TV-Bereich immer stärker verdrängt. Trotzdem ist Social Media kein Allheilmittel, oder?

Fellmann: Ich halte nichts von einer reinen Schwarz-Weiß-Malerei. Es gilt, den richtigen Mix für die verschiedenen Kanäle zu finden und dadurch dann die größtmögliche Reichweite zu generieren.

Wie könnte dieser Mix aussehen?

Fellmann: Man muss die Millenials über digitale Kanäle kriegen. Wir müssen auch Plakate und TV nutzen. Dort sitzten viele Kunden.

Goß: Das Denken in Extremen führt in die Irre. Wir haben viel über Premium gesprochen – das sind nicht die ganz Jungen.

Wir brauchen vom Handel einen Fürsprecher für die Spirituosenkategorie. Philipp Fellmann, Brown Forman

Was wollen die denn?

Goß: Die wollen etwas Trinkbares und müssen erst das Gespür entwickeln. Wir müssen immer ganz klar die Zielgruppe im Auge haben.

Mempel: Auch Handzettel sind als Informationsmedium nach wie vor sehr wichtig, gerade bei den Haushaltsführenden.

Welche Maßnahmen gilt es am PoS zu verbessern, Stichwort Category Management?

Glück: Nicht nur die Kunden müssen etwas finden, sondern auch die Besteller im Markt. Diese sagen oft, eine Sechser-Kiste mit einem VK von 70 Euro pro Flasche ist zu viel. Hier sollte man über Dreier-Kisten nachdenken.

Weyerstall: Wir nutzen unseren Außendienst durchaus, um Regalumbauten vorzunehmen. Wir empfehlen dem Händler dabei nach Analysen, was er raus- oder reinnehmen sollte.

Glück: Wir haben so etwas mit einem Hersteller gemacht. Da sind drei Gruppen herausgekommen: Wir nennen sie Party People, Aperitif und Digestif und der Bereich Ledersessel und Zigarre. Somit hat jeder Kunde nun alles im Blick, was er auch aus der Werbung kennt.

Hilft das, um das Getränkeregal sauber und gut sortiert zu halten?

Weyerstall: Immer wieder kommt es vor, dass das Regal nach drei Wochen wieder aussieht wie vorher. Obwohl wir nachweisen können, dass die Kategorie um 20 Prozent steigt, wenn sich der Shopper besser zurechtfindet.

An die Industrie: Was braucht es, damit in dieser fragmentierten Warengruppe noch mehr Potenzial gehoben werden kann?

Kohrs-Lichte: Wir müssen mutiger sein, Dinge ausprobieren und uns unterstützen. Der rein technische Weg funktioniert nicht.

Fellmann: Es geht nur miteinander. Was wir brauchen vom Handel ist ein Fürsprecher für die Spirituosenkategorie, der in seinen Gremien die Werbetrommel rührt.

Herr Riediger, was meinen Sie dazu?

Riediger: Wir brauchen eine emotionale Wareninszenierung beispielsweise mit Tasting-Flaschen. Mit Geschmackserlebnissen muss sich der Handel gegenüber Online profilieren.

Weyerstall: Es muss in den Zentralen stärker erkannt werden, wie wichtig die Spirituosenkategorie auch für die Kundengewinnung sein kann.

Also ein ganz klarer Appell in Richtung der Zentralen in Hamburg und Köln?

Roisch: Der Kuchen muss größer werden, nicht die Marktanteile, die verschoben werden. Es braucht Edukation sowie neutrale Partner für systemkomplexe Themen.

Nun haben wir über die Wünsche der Industrie an den Handel gesprochen. Wir haben hier Top-Kaufleute sitzen, die für den Handel sprechen. Als Schlusswort Ihre Wünsche in die andere Richtung!

Glück: Das ist ganz einfach. Ich wünsche mir kompetente Mitarbeiter. Wir brauchen Schulungen nicht nur für den Fachberater, sondern runter bis hin zum Azubi – und von der Industrie wünsche ich mir definitiv mehr Infos zu neuen Produkten.

Kolb: Bei mir ist es relativ simpel: Ich brauche auf keinen Fall weitere Außendienstbesuche. Eine E-Mail reicht völlig.

Glück: Einen letzten Wunsch hätte ich noch. Mich würde es freuen, wenn wir diese Diskussionsrunde auf anderer Ebene weiterführen und uns regelmäßiger austauschen würden. Davon könnten am Ende alle profitieren.    

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