Artikel

„Tegut bleibt Tegut“

Den Apparat in Fulda will er verschlanken, der Marke Tegut wieder zu Profil verhelfen und so das Unternehmen fit machen. Bei der Flächenproduktivität misst sich Jörg Blunschi bereits vor seinem Einstieg in Deutschland mit Edeka und Rewe. Als ignoranter Investor à la Walmart will er dabei nicht auftreten.

Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi ist Geschäftsleiter der Migros Zürich, der zweitgrößten Genossenschaft im Migros-Verbund. Foto: M. Graf
zur Bilderstrecke, 11 Bilder
Von Klaus Mehler, Linda Schuppan

Herr Blunschi, Sie haben ein wirtschaftlich angeschlagenes Unternehmen gekauft. Wird mit der Migros Zürich bei Tegut jetzt alles besser?
Blunschi: Nein, es wäre arrogant und falsch das zu sagen. Die Migros ist kein Wundermittel für Tegut. Ich teile allerdings auch nicht Ihre Ansicht, dass wir ein angeschlagenes Unternehmen gekauft haben. Tegut hat ein gutes Fundament, hatte zuletzt aber nicht mehr die notwendige Liquidität, um im Markt Akzente zu setzen und aus dem Reagieren-Modus herauszukommen.

War Tegut eigentlich ein Schnäppchen?
Blunschi: Die Summe bleibt geheim. Aber: Die Migros ist keine Schnäppchenjägerin – das entspricht nicht unseren Werten.

Wie haben Sie bei Ihrem Antrittsbesuch in Fulda für Sympathien geworben?
Blunschi: Es war wichtig für die Mitarbeiter, endlich Klarheit zu haben und zu wissen, wie es weitergeht. Das ist uns denke ich auch gelungen. Und ich habe  vor allem versucht, den Beteiligten die Angst vor der Größe der Migros zu nehmen. Als börsenunabhängiges Unternehmen sind wir nicht fremdgesteuert durch Aktionäre oder einen großen Aufsichtsrat und können die zeitliche Marschroute selbst bestimmen. 

Wie verteilt sich die Investitionssumme zwischen der Migros Zürich und dem Migros-Genossenschafts-Bund und wie viel Eigenkapital müssen Sie freimachen?
Blunschi: Das wissen wir noch nicht genau. Wir prüfen derzeit noch, wie viel Eigenkapital wir zuschießen und wie viel wir über Darlehen finanzieren. 

Es heißt, dass nicht allein Liquiditiätsprobleme zum Verkauf geführt haben, sondern ein Familienzerwürfnis. Wie stellen Sie sicher, dass die Zusammen-arbeit innerhalb der Familie Gutberlet künftig reibungslos verläuft?
Blunschi: Was war interessiert mich nicht, das kann ich auch nicht beurteilen.

Zu einer Zusammenarbeit gehört aber doch Vertrauen, oder sehen Sie das anders?
Blunschi: Sagen wir es so: Wenn ich den Eindruck hätte, Thomas Gutberlet wäre als CEO eingeschränkt in seiner Entscheidungsfreiheit im Umgang mit dem strategischen Partner der Produktionsbetriebe, würde ich das sicher thematisieren.

Mit dem strategischen Partner meinen Sie Wolfgang Gutberlet …
Blunschi: Ja.

Als neuer Eigentümer könnten Sie auch einfach eine neue Managementstruktur aufsetzen – ohne die Familie Gutberlet…
Blunschi: Es ist nicht Migros-Kultur und auch nicht mein Stil, jemanden auf die Straße zu setzen, mit dem ich noch keinen Tag zusammengearbeitet habe. Tegut hat unter der Familie Gutberlet viel Gutes erfahren. 

Wie wird die neue Führungsmannschaft in Fulda aussehen?
Blunschi: Es gibt eine klare Trennung zwischen dem Produktionsunternehmen, das bei Wolfgang Gutberlet angesiedelt ist und der Tegut Vertriebsgesellschaft mit dem CEO Thomas Gutberlet. Die derzeit bestehende Organisationsstruktur mit rund 20 Köpfen und zwei Vorständen werden wir gemeinsam anpacken.

Das klingt nach einem schlankeren Apparat unter einer starken Mutter in Zürich…
Blunschi: Das stimmt. Die Strukturen müssen schlanker werden. Die Marschroute geben aber nicht wir allein vor. Jeden Schritt, den wir machen, erarbeiten wir zusammen mit Thomas Gutberlet. Ich betone allerdings immer wieder, dass wir zwar Eigentümer sind, aber nicht vorhaben, jahrelang die schützende Hand über Fulda zu legen. 

Was heißt das konkret?
Blunschi: Thomas Gutberlet muss sein eigenes Winning-Team zusammenstellen. Den größten Erfolg erreicht man mit einer hohen Autonomie, davon bin ich überzeugt.

Was gibt es Neues in Sachen Aufsichtsrat? Hat sich Ihr Wunschkandidat Götz Werner schon entschieden?
Blunschi: Ich habe Herrn Werner telefoniert und mit ihm einen Gesprächtermin vereinbart.

Wollen Sie die dm-Kultur „Hier bin ich Mensch, hier kauf´ ich ein“ auf Tegut übertragen?
Blunschi: Nein. Tegut bleibt Tegut.

Wäre Alnatura-Chef Götz Rehn nicht auch eine Alternative?
Blunschi: (lacht) Wer ist Götz Rehn?

Wir helfen gerne nach. Götz Rehn ist derjenige, der für Sie den Kontakt zu Tegut hergestellt hat und es damit erst möglich gemacht hat, dass Sie Tegut kaufen konnten. Und Götz Rehn ist Ihr Kooperations-Partner (Anm. d. Red: Migros Zürich hat in Zürich im Sommer den ersten Alnatura-Markt eröffnet.)
Blunschi: Das ist richtig. Götz Rehn hat uns offenbar als vertrauenswürdigen Partner kennengelernt. Das freut uns.

Bekommt Götz Rehn eine Provision für seine Vermittlung?
Blunschi: Nein. Dann müssten wir ja auch eine Provision dafür bekommen, dass wir Alnatura-Produkte in Zürich verkaufen.

Sie könnten Tegut auch einfach auf Alnatura oder auf Migros umflaggen?
Blunschi: Nein, das steht nicht zur Debatte. Die Werte und das Vertrauen der Kunden in die Marke Tegut sind immer noch groß. Es wäre die größte Dummheit, das aufs Spiel zu setzen.

Dabei müssten Sie bei einem Bigbang von Tegut zu Migros noch nicht einmal die Farbe ändern…
Blunschi: Ich sage selten nie, aber hier ist das Wort „nie“ angebracht.

Migros hält in Deutschland bereits Standorte unter der Führung der Migros Basel. Wäre es nicht wirtschaftlich sinnvoller, unter einem Dach zusammenzuarbeiten?
Blunschi: Nein, das macht keinen Sinn. Das sind zwei strategisch völlig unterschiedliche Formate. Ich sehe hier keine Synergien.

Wann soll Tegut schwarze Zahlen schreiben?
Blunschi: Im nächsten Jahr. Wir planen zwar einen bescheidenen EBIT, aber positiv muss er sein.

Das ist ein sportliches Ziel. Wo setzen Sie an?
Blunschi: Wir konzentrieren uns in den nächsten zwei Jahren auf das bestehende Filialnetz. Grundlage für unsere Pläne, Tegut wieder fit zu machen, ist ein Maßnahmenpaket, welches das derzeitige Management unter Thomas Gutberlet in diesem Jahr verabschiedet hat. Ziel war und ist eine deutliche Ergebnisverbesserung. 


Wie sieht das Maßnahmenpaket konkret aus?
Blunschi: Ein entscheidendes Sparkriterium umfasst die Schließung von unrentablen Standorten. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Schließung der Marktcafés, die in Eigenregie liefen. Künftig werden alle Vorkassen-Bäckereien mit angeschlossenem Bistro  an externe, lokale Bäcker vermietet. Das ist ein sinnvoller Schritt, da sich die Cafés in Eigenregie nicht gerechnet haben.

Damit geht allerdings auch Umsatzpotenzial verloren…
Blunschi: Das könnten wir an anderer Stelle wieder auffangen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, in einigen Filialen mit eigenen Instore-Bäckereien, in denen sozusagen live Brot gefertigt wird, auf den Flächen zu agieren.

Die angesprochenen Marktcafés liefen zuvor über die unternehmensinterne Produktionsstätte Herzberger. Was bleibt für Herzberger am Ende übrig?
Blunschi: Herzberger beliefert die Filialen im SB-Bereich.

Wie viele Filialen wurden bereits geschlossen und wie viele stehen noch auf der roten Liste?
Blunschi: Die Schließungen belaufen sich auf etwa 20 Standorte. Ob noch weitere Filialen folgen, haben wir noch nicht entschieden. Die Themen Schließung und Expansion gehören zu den alltäglichen Aufgaben eines verantwortungsbewussten Einzelhändlers.  

Viele scheitern bei solchen allerdings Plänen an langen Mietvertragslaufzeiten…
Blunschi: Wir kennen jeden Mietvertrag. Die Laufzeiten liegen in einem vernünftigen Rahmen.

Ein Problem von Tegut sind die großen Flächenproduktivitätsschwankungen. Welche Messlatte legen Sie hier an?
Blunschi: Das ist richtig. Die qualitative Spreizung ist zu groß. Es gibt zu viele strukturell schwache Standorte, die sich wiederum schlecht auf das Gesamtbild der Marke Tegut auswirken. Bei der Flächenproduktivität habe ich keine konkreten Ziele. Das kommt auf die jeweilige Filiale an. Von den Werten her orientiere ich mich allerdings schon an Rewe und Edeka. 

Da müssen Sie aber richtig Gas geben…
Blunschi: Das wissen wir. Wir sind ja nicht zum Spaß angetreten. Am Schluss muss es in der Kasse klimpern, das ist klar.

Was müsste eine Filiale mit rund 3000 Quadratmetern Verkaufsfläche an Umsatz erzielen, um rentabel zu sein?
Blunschi: Wenn der Jahresumsatz nicht zwischen acht und zehn Millionen Euro liegt, wird es schwer, die Frische aufrecht zu erhalten.

Die Filiale in Lorsch mit 3000 Quadratmetern liegt deutlich darunter. Wo setzen Sie hier den Rotstift an?
Blunschi: Defensive Maßnahmen allein sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Ein Unternehmen, das Ergebnisverbesserungen nur durch Kosteneinsparungen realisiert, hat auf Sicht Schwierigkeiten auf dem Markt. Wir werden vielmehr versuchen, auf Vorhandenes aufzubauen und im Ladenbau und bei den Sortimenten anzusetzen. 

Sie planen Pilotmärkte. Könnte Lorsch zu einer solchen Experiment-Fläche werden?
Blunschi: Wir haben drei bis vier Standorte im Blick, Lorsch könnte ein interessanter Großflächen-Kandidat sein. 

Wo setzen Sie bei Pilotflächen an?
Blunschi: Wir haben fünf Eingriffsstufen definiert, die von Pinselkosmetik über die Umstellung der Frische bis hin zur totalen Revitalisierung reichen. Kurzum: Wir müssen das Profil von Tegut in Richtung Kunden wieder schärfen.

Können Sie uns die Stärken von Tegut nennen?
Blunschi: Die Marke, die Glaubwürdigkeit, der Frischeauftritt, der Bioanteil und die Vermittlung des Nachhaltigkeitsgedankens.

Welche elementaren Schwächen sehen Sie?
Blunschi: Eine zu große Spanne zwischen Top-Läden und schwächeren Standorten, eine zum Teil zu schwache Vermittlung von Stärken und Werten des Unternehmens den Kunden gegenüber, ein Fragezeichen beim Preiseinstiegssortiment, zu kleine Convenience-Sortimente, zu viele Überhänge von Waren – vor allem im Nonfoodbereich – und zu wenige Standorte in wachsenden Wirtschaftsgebieten wie etwa City-Lagen.
Rollen wir das Feld von hinten auf.

Sie sagen, Tegut muss stärker in die Städte hinein. Wirklich expandieren wollen Sie aber erst in zwei Jahren, richtig?
Blunschi: Zuerst werden wir das Profil von Tegut schärfen, um uns fit für die Expansion zu machen. Natürlich wollen wir auf Sicht mit Tegut in die Städte hinein. Dazu müssen wir uns langfristig gute Standorte sichern. Nehmen wir etwa Stuttgart. Die Stadt hat genau die Käuferschicht, die Tegut braucht. Es gibt mir einen Stich ins Herz, dass Tegut dort nicht vertreten ist.

Haben Sie Ihre Fühler in Richtung Standortsicherung schon ausgestreckt?
Blunschi: Ein paar Mal hat es schon gejuckt, als uns eine Filiale angeboten wurde. Aber damit lassen wir uns Zeit und machen keine Abenteuer. 

Baden-Württemberg und Bayern sind Expansionsziele, die Sie für Tegut ins Visier nehmen. Aber: Kein Mensch in Biberach kennt Tegut …
Blunschi: Das werden wir mit unserer Expansionsstrategie, die für 2015 geplant ist, ändern.

Wie werden Sie mit den rund 125 Filialen umgehen, die von selbstständigen Kaufleuten geführt werden?
Blunschi: Wenn wir Tegut als Ganzes wieder stärken wollen, darf es keine Diskrepanz zwischen Regie und Handelsvertretern geben. 

Das ist aber vielfach der Fall. Wie stellen Sie künftig sicher, dass sich das ändert?
Blunschi: Ein eigenständiger Handelsvertreter hat andere Prioritäten als ein Marktleiter, das ist uns klar. Deshalb werden wir uns irgendwann die Frage stellen müssen, welches die optimale Einbindung in die Tegut-Organisation sein wird. Das müssen wir diskutieren. 

Stichwort Sortimente: Bleibt die Warenbeschaffung über die Markant bestehen?
Blunschi: Ja, auf jeden Fall.

Sie haben angekündigt, Ihre Eigenmarke bei Tegut anzubieten. Glauben Sie, die Deutschen warten auf Schweizer Sortimente?
Blunschi: Sie warten auf jeden Fall auf Top-Qualitäten und auf Abwechslung. 


Wo bleibt neben den Markant- und Tegut-Eigenmarken Platz für Migros?
Blunschi: Wir ergänzen das Sortiment. Wichtig ist doch, dass die Eigenmarken für die Kunden durchgängig wahrnehmbar sind. Das ist für mich momentan nicht in allen Sortimentsbereichen der Fall.

Migros hat einen Eigenmarkenanteil von 80 Prozent. Was haben Sie mit Tegut vor?
Blunschi: Der Eigenmarkenanteil bei Tegut wird sicher nie das Level von Migros erreichen. Letztlich entscheiden die Kunden. Was wir bieten können, sind die Strukturen und das Knowhow, Eigenmarken zu guten Konditionen nach Deutschland zu bringen. 

Sie wollen Tegut als neuen Kanal für Ihre Preiseinstiegsmarke M-Budget etablieren. Bleibt es bei M-Budget oder wird die Marke zu T-Budget?
Blunschi: Das ist eine interessante Idee, die viel Charme hat. Den Gedanken werden wir sicher weiterverfolgen. 

Sie haben derzeit rund 700 M-Budget-Produkte im Portfolio. Kommen die alle nach Deutschland?
Blunschi: Nicht die Frische. Das ist und bleibt ein lokales Geschäft. 

Schaffen Ihre Produktionsbetriebe  ein solches Zusatzvolumen? Schließlich hat die Migros insgesamt nur 650 Filialen – mit Tegut übernehmen Sie allein 290…
Blunschi: Sicher schaffen die das. Und: Sobald mehr produziert wird, wirkt sich das auch auf die Einstandspreise und damit positiv für unseren Heimatmarkt aus. Das ist ein schöner Nebeneffekt. 

Tegut ist nicht gerade für seine Preiseinstiegsstärke bekannt. An wem werden Sie sich in Deutschland orientieren?
Blunschi: Wir wissen, dass man in Deutschland ein gutes Einstiegssortiment mit Kernartikeln auf Niveau der Harddiscounter braucht. 

Planen Sie eine grundsätzliche Änderung der Preisstellung von Tegut?
Blunschi: Nein.

Walmart hat das Preisgefüge in Deutschland nicht verstanden und ist damit gegen die Wand gefahren…
Blunschi: Ich denke, Tegut ist gut positioniert. Die Preise sind nachvollziehbar. Das nehmen wir als Basis. 
Mit Stephan Fanderl und Dieter Berninghaus hat die Migros zwei Manager, die den deutschen Markt sehr gut kennen.

Was haben die beiden Ihnen in Richtung Tegut mitgegeben?
Blunschi: Mit Herrn Fanderl habe ich mich nicht ausgetauscht. Dieter Berninghaus hat mir Glück gewünscht.

Was ist Ihr Plan B wenn Tegut nicht funktioniert?
Blunschi: (lacht)Dann erarbeiten wir wieder einen Plan A.

Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i
Jörg Blunschi i

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise