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Zeitenwende beim Fleisch

Die Fleischbranche befindet sich angesichts eines stark rückläufigen Konsums, gestiegener Konsumentenansprüche und einer Flut an Alternativprodukten vor enormen Herausforderungen.

Über die Fleischtheke kann der Kunde direkt in den Bereich der Verarbeitung schauen. Transparenz schafft Vertrauen. Foto: Jessica Walburger
Von Mirko Jeschke | Fotos: Jessica Walburger

Mit ihren jüngsten Daten zum Fleischverzehr in Deutschland dürfte die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) auch die letzten Vertreter der Branche wachgerüttelt haben, die noch an eine Rückkehr zu „alten Zeiten“ geglaubt hatten: Demnach konsumierten die Bundesbürger im vergangenen Jahr im Durchschnitt nur noch 52 Kilogramm Fleisch und damit so wenig wie noch nie seit Beginn der Berechnung 1989. Gegenüber 2021 sank der Pro-Kopf-Verzehr um 4,2 Kilogramm, wobei die Menschen rund 2,8 Kilogramm weniger Schweinefleisch, 900 Gramm weniger Rind- und Kalbfleisch sowie 400 Gramm weniger Geflügelfleisch aßen. Einen möglichen Grund für einen sinkenden Fleischverzehr sieht die BLE in der anhaltenden Tendenz zu einer pflanzenbasierten Ernährung.


52 Kilogramm Fleisch hat jeder Bundesbürger 2022 im Schnitt verzehrt. Das sind 4,2 kg weniger als 2021 und entspricht einem neuen Tiefstand.

Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)


Politik setzt neuen Rahmen

Im Juli hat der Bundesrat den Weg für das von Bundesernährungsminister Cem Özdemir initiierte Tierhaltungskennzeichnungsgesetz freigemacht. So muss Fleisch künftig die Haltung der Tiere ausweisen, von denen es stammt. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) werden damit die Leistungen der Landwirte für den Tierschutz sichtbar, andererseits 
bekommen Verbraucher erstmals flächendeckend die Möglichkeit, sich beim Einkauf aktiv für mehr Tierschutz zu entscheiden. Zudem hat der Bundesrat Änderungen im Baurecht passieren lassen, die Stallumbauten hin zu tiergerechteren Haltungsformen ermöglichen. Beschlossen wurde auch die Ausweitung der Herkunftskennzeichnung von Fleisch.

Zu den Folgen dieser Entwicklungen haben wir Vertreter von Rügenwalder Mühle, The Family Butchers, Endori, Campofrio und Bord Bia (halbstaatliche Agentur Irlands) befragt.

Konsumabnahme: 

Welche Folgen hat der sinkende Fleischkonsum auf die Branche und wird sich diese Entwicklung in diesem Tempo fortsetzen?

Michael Hähnel, CEO Rügenwalder Mühle: Mit dem wachsenden Trend hin zu einer bewussten Ernährung beobachten auch wir, dass der Fleischkonsum in Deutschland zurückgeht. Zudem bekommt die Branche seit über einem Jahr die Auswirkungen rund um die negativen Entwicklungen bei Lieferketten, Rohstoffverfügbarkeit und Energiekosten zu spüren. Hinzu kommen gestiegene Rohstoffpreise, gepaart mit der aktuellen Käuferzurückhaltung aufgrund der Inflation: Während die Konsumenten weniger Fleisch kaufen, sind gleichzeitig die Fleischpreise zuletzt immer weiter gestiegen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kategorie vor diesem Hintergrund entwickeln wird. Wir gehen davon aus, dass sich der Trend des sinkenden Fleischkonsums nicht übermäßig, aber sukzessive fortsetzen wird. 

Friedrich Büse, Gründer und Partner Endori: Die Branche wird sich einem noch viel tiefgreifenderen Wandel gegenübersehen als die meisten vermuten. Das liegt nicht nur an stark veränderten Ernährungsgewohnheiten insbesondere der jungen Menschen, sondern auch an der in den nächsten Jahren zunehmend differenzierten Besteuerung in der gesamten Wertschöpfungskette Fleisch. Sobald sich hier das Verursacherprinzip in der EU und den Mitgliedsländern durchsetzt, werden viele Teilnehmer in der Wertschöpfungskette aufgeben. Von daher wird der Trend sich verstärken, und das muss er auch. Aber es wird auch Gewinner geben, nämlich diejenigen, die ihre Systeme nachhaltig umstellen und dies in Bezug auf Umwelt und Tierwohl. 

Gabriele Weiss Brummer, Market Manager DACH Bord Bia: Wir sehen, dass sich das Konsumverhalten beim Fleischkonsum in mehreren Ländern der Welt verändert. Vor allem jüngere Verbraucher beschäftigen sich intensiver mit Klimafolgen, Tierwohl, Herkunft der Produkte et cetera. Dennoch ist dieser Wandel noch auf einem kleinen Niveau, und Deutschland ist immer noch eines der Top-Fleischkonsumländer der Welt, neben Italien und Frankreich oder den USA. Der Rückgang des Fleischkonsums betrifft vornehmlich Schweinefleisch und wurde unter anderem von der Afrikanischen Schweinepest beeinflusst. Für die Zukunft bin ich überzeugt, dass nur hochwertige Fleischangebote unter umwelt- und tierfreundlichen Bedingungen der richtige Weg sind. 

Roland Verdev, CEO The Family Butchers: Es wird eine weitere Konsolidierung stattfinden, da nicht getätigte Investitionen bei schwacher oder gar keiner Profitabilität ein langsames Sterben nach sich ziehen. Die Perspektive ist in vielen Bereichen nicht mehr gegeben und die freien Kapazitäten noch viel zu groß. Das Ganze wird durch den Finanzmarkt noch erschwert, da die Zeiten des billigen Geldes vorerst vorbei sind.

Daniel Kamphausen, Country Manager Deutschland Campofrio: Wir beobachten eine Tendenz zu einem bewussteren Fleischkonsum: Es wird weniger oft Fleisch gegessen, dafür liegt der Fokus dann auf hochwertigen Produkten. Darüber hinaus sinkt der Konsum auch aufgrund höherer Preise. Denn Verbraucher sind gerade in der aktuellen Zeit preissensibler und greifen daher weniger häufig zu Fleisch. 

Anspruchsvolle Verbraucher: 

Inwieweit beeinflussen die gestiegenen Konsumentenansprüche an Nachhaltigkeit, Herkunft und Tierwohl Ihre Produktentwicklung?

Gabriele Weiss Brummer: Durch die Mitgliedschaft im SBLAS-Programm zur Nachhaltigkeitssicherung in der Rinder- und Lammzucht, betrieben von Bord Bia, verpflichten sich irische Rinderzüchter freiwillig zur Einhaltung hoher Sicherheits-, Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstandards. Dies beinhaltet die Reduzierung der Emissionen in landwirtschaftlichen Betrieben, die Minimierung der Auswirkungen, welche die Landwirtschaft auf die Umwelt ausübt, die Verbesserung der biologischen Vielfalt und die Erfüllung hoher Standards in Bezug auf die Tiergesundheit und das Tierwohl. Durch ihre Mitgliedschaft im SBLAS sind irische Rinderzüchter aktive Teilnehmer an Irlands Nachhaltigkeitsprogramm für Nahrungsmittel und Getränke „Origin Green“. Es ermöglicht der gesamten irischen Nahrungsmittelindustrie einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung, bei dem jeder Teilnehmer messbare Nachhaltigkeitsziele festlegt und erreicht.

Daniel Kamphausen: Unsere Nachhaltigkeitsstrategie stützt sich auf die vier Säulen Umwelt, Lebensqualität, Gesundheit und Ernährung sowie die Schaffung sozialer und wirtschaftlicher Werte. So hat die Gruppe etwa für Europa ein eigenes Tierschutzprotokoll eingeführt. Umsetzung und Einhaltung werden unabhängig vom externen Bureau Veritas überprüft. Zudem sind wir der Ansicht, dass auch die Politik in der Pflicht steht, Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und artgerechte Tierhaltung zu schaffen, unter anderem durch Unterstützung der Landwirte. Diese Anpassungen sind wegen des globalen Fleischmarktes auf internationaler Ebene erforderlich.

Roland Verdev: Die Produktentwicklung muss noch kreativer arbeiten und entwickeln, um die zukünftigen Produkte und Innovationen für den Verbraucher überhaupt bezahlbar zu machen. Das wird zulasten des Marketings gehen, da die Produkte zukünftig einfach und selbsterklärend sein müssen.

Tierwohl-Label: 

Wie bewerten Sie das kürzlich beschlossene staatliche Tierwohl-Label?

Friedrich Büse: Die bisherigen Maßnahmen der Politik reichen nicht aus. Und wem das jetzt zu teuer erscheint, der wird sich wundern, wie teuer uns der Klimawandel dann kommen wird. Aus meiner Sicht müssen wir alle mit dem nötigen Nachdruck noch einmal an das Thema Tierwohl ran und es zu einem glaubhaften und überzeugenden System entwickeln.


"Die bisherigen Maßnahmen der Politik zum Thema Tierwohl reichen nicht aus."

Friedrich Büse, Endori


Michael Hähnel: Grundsätzlich begrüßen wir alle Bemühungen, die zu mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit führen sollen. Gleichzeitig muss bei immer höheren Auflagen auch bedacht werden, wie Landwirte diesen nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht auch gerecht werden können. In dieser Diskussion darf nicht aus dem Blick geraten, dass zu hoher wirtschaftlicher Druck am Ende Arbeitsplätze kosten kann.

Roland Verdev: Tierwohl ist und muss selbstverständlich sein. Bei all den Programmen sollten wir alle nicht vergessen, dass der deutsche Standard schon hoch ist und alle weiteren Anforderungen, ob sinnvoll oder nicht, die Komplexität zulasten von Wertschöpfung erhöht.

Daniel Kamphausen: Grundsätzlich begrüßen wir die Einführung eines einheitlichen Tierwohl-Labels. Dieses bezieht sich zunächst allerdings nur auf Frischfleisch vom Schwein. Daher ist es nicht auf unser Geschäft in Deutschland anwendbar.


"Um Fleisch weiter wirtschaftlich produzieren zu können, müssten die gestiegenen Kosten dringend an den Handel weitergegeben werden."

Michael Hähnel, Rügenwalder Mühle


Handel im Blick: 

Welche Impulse wünschen Sie sich verstärkt vom LEH?

Michael Hähnel: Insbesondere für mittelständische Unternehmen wird die aktuelle Situation aufgrund der angespannten Lage mit den Partnern des Handels noch zusätzlich erschwert. Preiserhöhungen wären hier dringend notwendig – allerdings wehren sich einige Handelspartner strikt dagegen, was die Verhandlungen sehr zäh macht. Um Fleisch weiter wirtschaftlich produzieren zu können, müssten die gestiegenen Kosten aber dringend an den Handel weitergegeben werden.

Friedrich Büse: Ohne den Handel wird der Prozess schwerer und dauert länger. Der so dringende Wandel ist ja kein Selbstzweck, sondern eine absolute Notwendigkeit. Hier würde ich mir wünschen, mit den Handelspartnern zusammen diesen Wandel zu gestalten und die Menschen positiv zu überraschen, denn eines ist sicher: „Wir können auch anders“, nämlich besser, es muss nur der Wille vorhanden sein.

Daniel Kamphausen: Eine partnerschaftliche Weiterentwicklung der Sortimente ist für beide Seiten zielführend. Dazu gehört auch die Annahme angemessener Preise für Mehrwertkonzepte, die auf die Themen Tierwohl, Herkunft, Nachhaltigkeit und produktbezogene USPs, cleane Rezepturen oder High Protein abzielen.

Gabriele Weiss Brummer: Konsumenten suchen und schätzen Inspiration im Markt. Ich würde mir wünschen, dass der Handel diese Inspiration mehr fördern und ergänzend zu den gängigen Rindfleisch-Cuts auch öfter unbekanntere Premium-Cuts wie etwa Porterhouse oder Thick Skirt aus Irland anbieten würde.

Roland Verdev: Wir wünschen uns das Bekenntnis zum deutschen Mittelstand, zu Wurst und Schinken, und würden es begrüßen, wenn der Handel den Produkten mehr Aufmerksamkeit in seinem Sortiment geben würde. 

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