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Die große Ver(sch)wendung

Sie kostet nicht nur Milliarden, sie ist zudem einer der größten Verursacher von Treibhausgasen: die Verschwendung von Lebensmitteln. Zusammen mit dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung hat der LEH nun einen Pakt geschlossen, um die Verschwendung bis 2023 zu halbieren. Doch mitmachen müssen alle.

Von Anke Pedersen | Fotos: Adobe Stock/CravenA

Am Anfang war der Apfel. So ungeheuerlich reizvoll erschien Eva diese Frucht am Baum der Erkenntnis, dass sie nicht widerstehen konnte. Also pflückte sie das verbotene Obst, aß davon und ließ auch ihren Adam kosten. Ein Fehltritt bekanntlich, der mit der Vertreibung aus dem Paradies endete.

Viele tausend Jahre später ist der biblische Apfel nur mehr eine Frucht von vielen und scheinbar nichts Besonderes mehr. Zwar heißt es noch immer: „An Apple a day keeps the doctor away“. In Wahrheit aber gehören der Apfel und seine Verwandtschaft zu den am meisten verschwendeten Lebensmitteln der Erde: 78 Kilogramm wirft allein jeder Deutsche jährlich an Lebensmitteln in die Tonne, davon satte 35 Prozent Obst und Gemüse. Weil sie nicht mehr schön aussehen, beispielsweise, oder die Augen größer waren als der Hunger. Unter dem Strich, so rechnet das Fraunhofer-Institut IGCV, werden in Deutschland Jahr für Jahr elf Millionen Tonnen an Lebensmitteln vernichtet. Weltweit sind es 2,8 Milliarden Tonnen.

Food Waste bis 2030 halbieren

Um dem etwas entgegenzustellen, hat das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMLE) gemeinsam mit 14 Unternehmen aus dem Lebensmittelhandel und dem Handelsverband Lebensmittel Ende Juni einen „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“ geschlossen. Eine Selbstverpflichtung, um Lebensmittelverluste im Groß- und Einzelhandel weiter zu reduzieren, gemeinsam zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen beizutragen und vermeidbare Lebensmittelabfälle bis 2030 um 50 Prozent zu senken.

Sichergestellt werden soll die Reduzierung nicht nur durch zahllose vereinbarte so wie unternehmensindividuelle Maßnahmen, sondern auch durch die genaue Erfassung der Verschwendung: Zusammen mit dem staatlichen Thünen-Institut haben die Beteiligten dazu eine Messmethode entwickelt, mit der Lebensmittelverluste nach Warengruppen erfasst werden und somit festgestellt werden kann, in welchen Bereichen die größten Herausforderungen liegen. Immerhin: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht steuern.

Klingt ambitioniert und nach einem Schritt in die richtige Richtung. Tatsächlich aber sorgt der Pakt für weitaus mehr, als Kosten durch Vermeidung zu reduzieren und die Weitergabe überschüssiger Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen wie die Tafeln zu institutionalisieren. Es ist - vor allem anderen – ein Beitrag aller Beteiligten im Kampf gegen den Klimawandel. Denn laut Food Waste Index Report der Vereinten Nationen tragen nicht verzehrte Lebensmittel zu jährlich acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgase bei. „Das ist mehr als Luftfahrtindustrie ausstößt“, sagt Wolfgang Hennen, Geschäftsführer des Lebensmittelmarktplatzes „Too good to go“.

„Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, es wäre der drittgrößte Treibhausgasemittent nach China und den USA.“

Ein noch drastischeres Bild bemüht die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO): Wären die weltweit entsorgten Lebensmittelabfälle ein Land, dann wären sie mit 4,4 Gigatonnen CO2-Äquivalenten der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasen nach China und den USA. Kein Wunder also, dass die UN die „Sicherung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster“ bereits 2015 als eine der wichtigsten globalen Herausforderungen gelistet haben (Sustainable Development Goals). Herausforderungen, die es bis zum Jahr 2030, wenn nicht zu beseitigen, so doch zu bekämpfen und reduzieren gelte. Und die einen wesentlichen Bestandteil jener Agenda 2030 darstellen, zu der sich auch die Europäische Union und Deutschland verpflichtet haben.

Und was soll der LEH da tun? Wo doch die Daten des BMLE ganz klar zeigen, dass im Handel mit 0,8 Tonnen lediglich 7 Prozent aller Lebensmittelabfälle in Deutschland entstehen. Ganz im Gegensatz zu den 6,5 Millionen Tonnen (59%), die Privathaushalte zu verantworten haben. Eine ganze Menge! „Lebensmittelverschwendung lässt sich nur unter Beteiligung aller Akteur:innen effektiv bekämpfen“, weiß das Özdemir-Ministerium. Aus diesem Grund müsse die gesamte „Lebensmittelversorgungskette so gestaltet werden, dass Abfälle gar nicht erst entstehen“.

„Kein Unternehmen kann die Anforderungen allein erfüllen.“

Das sieht auch REIF (Ressource-Efficient, Economic and Intelligent Foodchain) so, ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördertes Forschungsprojekt, für das sich insgesamt 31 Partner aus Industrie, Handel, Forschung sowie Verbände und NGOs zusammengeschlossen haben, um Lebensmittelverschwendung „vom Acker bis auf den Teller“ (siehe Kasten) mithilfe KI-basierter Services zu bekämpfen. „Ein Miteinander ist bei sämtlichen Anstrengungen unabdingbar, Kollaboration und standardisierte Prozesse sind wichtig. Schließlich entstehen Lebensmittelverluste auf allen Stufen der Wertschöpfung – von der Landwirtschaft über die Verarbeitung und Logistik bis in den Handel beziehungsweise bei den Konsument:innen zu Hause. Kein Unternehmen kann die Anforderungen allein erfüllen.“

Mit dem Ziel, die Optimierung jeder einzelnen „Wertschöpfungsstufe“ in der Food Supply Chain voranzutreiben, hat REIF beispielsweise eine Online-Plattform entwickelt, auf der Unternehmen Absatzprognosen anhand von Wetterdaten, Feiertagsinformationen oder Konjunkturerwartungen abfragen können. Überdies, so das Versprechen, „lassen sich die Preise von Waren mit relevantem Mindesthaltbarkeitsdatum dynamisch berechnen und deren Verschwendung im Supermarkt aufgrund rechtzeitiger Abverkäufe deutlich verringern“.

Letztendlich unterstütze die Künstliche Intelligenz Entscheidungen darüber, welche Produkte in welcher Reihenfolge und in welcher Menge produziert werden. Und auch das Mischen von Zutaten lasse sich ressourcenschonender und zielgenauer steuern, um durch eine Erhöhung der Mindesthaltbarkeit sowie der Produktqualität die Lebensmittelverschwendung nochmals zu reduzieren.

Für Tobias Allmayer ist die Zusammenarbeit sämtlicher Akteure nur folgerichtig. „Es stimmt, dass wir selbst nicht viel verschwenden“, sagt der stellvertretenden Centerleiter E-Center EDEKA Baur in Konstanz. „Aber auf der anderen Seite sind wir es, die auf die Hersteller zugehen und ihnen Vorgaben machen. Und da werden wirklich gigantische Mengen entsorgt.“

Aktion: Zu gut für die Tonne!

Daher sind es nicht nur die großen Player, die sich dem Thema in staatlich geförderten Maßnahmen widmen. Das Ausmaß der Verschwendung hat in den vergangenen Jahren schon zahllose andere Akteure auf den Plan gerufen – lokal wie national. Allein auf der Seite „ZugutfuerdieTonne.de“ listet das Ministerium von Cem Özdemir auf 14 Seiten unterschiedlichste Unternehmen, Akteure und Projekte, die auf ihre ganz eigene Weise und in der Praxis dazu beitragen, die Verschwendung kostbarer Lebensmittel zu begrenzen. Die meisten mithilfe neuster technologischer Werkzeuge wie der Künstlichen Intelligenz, viele aber auch mit ganz einfachen Ideen.

„Komplette Verwertung der Gemüseernte“ lautet etwa die Überschrift, unter der das Handelsunternehmen „tegut... gute Lebensmittel“ mit der Remlinger Rüben GmbH kooperiert, um deren Gemüse bis zur letzten Frucht zu verwerten: Sortierabfälle werden kompostiert und zu Dünger verarbeitet, nicht marktfähiges Gemüse zu Tierfutter, und Gemüse mit Macken geht in Schälbetriebe und die Gastronomie. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Aramark dagegen setzt in seinen Betrieben auf ein umfassendes Waste-Management-Programm: Mittels einer akkuraten Bedarfs- und Mengenplanung verringert Deutschlands zweitgrößtes Catering-Unternehmen unnötige Lebensmittelabfälle und vermeidet Überproduktion. Flankiert wird das Programm von umfassenden (Schulungs-) Maßnahmen, um auch Mitarbeiter für das Thema Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren.

Speziell für Lebensmittelproduzenten und Zulieferer hat die PlanerAI GmbH eine KI-basierte Planungsplattform entwickelt, mit der sie eine vollautomatisierte Planung „von der Produktion bis ins Supermarktregal“ ermöglichen will. Und mit der App „Yush!“ sollen Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Lebensmittelbestand in Echtzeit überwachen und rechtzeitig über den Ablauf von Mindesthaltbarkeitsdaten informiert werden können.

Tüte statt Tonne

Nordsee schließlich versucht Lebensmittelabfälle zu verringern, indem sie Gästen 30 Minuten vor Ladenschluss 30 Prozent Rabatt auf fertig zubereitete Produkte gewährt. An Mitnahme-Stationen können sie zudem Übriggebliebenes für zu Hause einpacken. Zusätzlich ist Nordsee als Partner bei „Too Good To Go“ registriert, einer App zur Lebensmittelrettung.

Rettung, richtig gelesen! Denn statt sie in die Tonne zu werfen, können teilnehmende Unternehmen wie NORDSEE ihre nicht mehr zum Verkauf geeigneten Waren gegen eine kleine Fee in eine einfach zu bedienende Selbstabholer-App einstellen; der Weiterverkaufspreis liegt bei durchschnittlich 30 Prozent des Warenwerts. User der App bekommen die Angebote in ihrer Umgebung aktuell angezeigt, können sie sich reservieren und in einem bestimmten Zeitfenster in einer „Too good to go“-Tüte abholen. Lebensmittel gerettet.

So simpel die Anwendung, so groß der Erfolg der App: In den wenigen Jahren seit seiner Gründung 2016 in Dänemark hat sich das sogenannte Social Impact Unternehmen zum „weltgrößten Marktplatz für überschüssige Lebensmittel“ gemausert. Insgesamt, so erzählt Deutschlandgeschäftsführer Wolfgang Hennen, habe das Unternehmen weltweit schon mehr als 250 Millionen Überraschungstüten mit Lebensmitteln gerettet und allein in Deutschland bewahre die App Monat für Monat mehr als eine Million Tüten vor der Tonne. Bereits 2019 ist Too Good To Go dafür mit dem „Zu gut für die Tonne!“-Bundespreis ausgezeichnet worden.

„Wir kämpfen gegen Food Waste, entlasten die Umwelt und machen Leute glücklich.“

„Heute haben wir elf Millionen App-User“, rechnet Wolfgang Hennen, „und mehr als 21.000 Betriebe arbeiten mit uns zusammen. Weltweit sind wir in 17 Ländern aktiv und arbeiten mit 150.000 Partnerunternehmen.“ Partner sind neben namhaften Supermärkte wie EDEKA, Rewe, Alnatura und der Bio-Company auch Bäckereien, Tankstellen, Fast Food-Geschäfte, Pizzalieferanten, Hotels und Restaurants. „Es gibt keine Spieler im LEH, mit denen wir nicht in Kontakt sind“, erklärt Hennen nicht ohne Stolz. „Und nein: Es gibt keinen Haken! Too Good To Go ist immer ein Gewinn: All unsere Partner machen mit ihren Resten noch Geld, und der größte Gewinner ist das Klima.“

Grit Rister kann das nur bestätigen. Sie ist General Manager bei den 25hours Hotels, die übriggebliebene Frühstückswaren über die App verteilen. „Zu uns kommt der Studierende, dem der Euro auch nicht so locker sitzt, oder die Drei-Köpfige-Familie, die sich unser Haus nicht leisten kann, aber auch gern mal ein schönes Frühstück mit Croissant, Lachs oder Guacamole genießen möchte.“ Vor allem aber freut Rister, „dass wir weniger wegwerfen, dabei ein gutes Gefühl haben und auch das Bewusstsein bei unseren Mitarbeitenden wächst“. „Es ist also eine Win-Win-Situation für alle: Wir kämpfen gegen Food Waste, entlasten die Umwelt und machen Leute glücklich.“

Auch Edeka-Mann Tobias Allmayer aus Konstanz arbeitet mit „Too good to go“, gleichwohl ist er davon überzeugt: „Das Thema Lebensmittelrettung ist nur mehrgleisig zu erreichen.“ Daher hat er für EDEKA Baur mehrere Stufen entwickelt, um Abfall zu vermeiden: In einem ausgeklügelten System entscheiden die Mitarbeitenden, wann welche Waren entweder reduziert und/oder in der Too good to go-App verkauft und wann an die Tafel oder die eigenen Mitarbeiter verteilt werden.

„Nur zwei Gründe für diese Monsterüberschüsse.“

Auch Alexander Piutti ist ein großer Freund davon, die Dinge zu verknüpfen. Anders als sein Partner „TGTG Too Good To Go“, verfolgt der Startup Mehrfachgründer mit seiner SPRK.gobal GmbH jedoch einen vollständig anderen Ansatz. Nach Ansicht des auf Automatisierung spezialisierten Elektroingenieurs gibt es nur „zwei Gründe für diese Monsterüberschüsse“:

Grund 1. „Die Lieferkettenteilnehmer sind nicht digital vernetzt.“ Konkret: Die Kantine als Verbraucher und der Agrarunternehmer als Anbieter – welcher oft über bestens genießbare Obst- und Gemüse-Überschüsse verfügt - „kommunizieren“ nicht miteinander, haben also keine Plattform und keine Datenautobahn, um Überschüsse dynamisch in die Produktion einfließen zu lassen. Und weil das so ist, so Piuttis Überlegungen, laufen Lebensmittelproduktion und der Konsum asynchron. Als Beispiel nennt erden Tomatenketchup-Produzenten, welcher sein Produkt für sommerliche Grillabende ggf. bereits im Winter und damit entkoppelt von der tatsächlichen Nachfrage produziert.

Grund 2. „Alle haben zu viel“ als Folge von Grund 1. Klar werde es Schwankungen in Angebot und Nachfrage immer geben, sagt Piutti, wenn auch nicht so drastisch wie während der Pandemie und jetzt des Ukraine-Krieges. Zusätzlich zur Schwankung käme auch die weltweite Überproduktion: „Ergo führt die Angst vor Unterdeckung zu Überdeckung.“ Weltweit liege die Überproduktion bei unfassbaren 40 Prozent. Sein Fazit: „Mit einer effizienten Nutzung von Überschüssen geht die Überproduktion runter und somit geht auch die Lebensmittelverschwendung massiv runter.“

Und genau dafür hat sich der in den USA sozialisierte „Think big!“-Unternehmer kein geringeres Ziel gesteckt, als die gesamte Lieferkette (weltweit) mit einer KI-gesteuerten Distributionsplattform zu digitalisieren. Alexander Piutti: „Das Problem ist der Überschuss, der keinen Abnehmer findet. Also verbinden wir Lieferketteneffizienz mit State-of-The-Art-Technologie; einer Datenautobahn, die ein intelligentes Matchmaking zwischen Angebot und Nachfrage sicherstellt. Dort machen wir Überschüsse transparent und sehen zu, dass sie in die Kreislaufwirtschaft eingehen: Wir finden Abnehmer, führen Umsätze zurück und sparen Entsorgungskosten.“ Ganz einfach!

Digitale Partnerbörse für Überschüsse

Ganz einfach? Nun ja. Sicherlich würde Piutti seine Vision nur halb so schnell realisieren können, wäre die KI nicht derart auf dem Vormarsch. „Was eine Automatisierung allein nicht kann, kann Künstliche Intelligenz“, erklärt der Ingenieur. Dazu gehört, dass KI aus einer Masse unstrukturierter Daten strukturierte Daten machen kann.  Anders formuliert: Dass sie die Inhalte einer WhatsApp-Nachricht ebenso auslesen und erfassen kann wie etwa die einer E-Mail von Bauer Schwuppich. „Das beschleunigt uns sehr, weil wir somit auch viele kleine Player zulassen können.“

Gleichzeitig hat Piutti mit der Entwicklung eines Kommunikations-, genauer: Melde-Standards begonnen: Zusammen mit GS1, Dachser, der Tafel Deutschland e.V., der Deutschen Umwelthilfe, dem Thünen-Institut für Marktanalyse, der Lufthansa Industry Solutions AS GmbH und dem Deutschen Institut für Normung ist er dabei, zeitnah einen Standard zu etablieren, auf dessen Basis dann jedwede Meldung von Lieferkettenüberschüssen an die Partnerbörse stattfinden kann.

Und jenseits des Digitalen? Wie kommen überschüssige Lebensmittel aus dem Allgäu zum ermittelten Abnehmer nach Arnsberg? „Innerhalb Deutschlands haben wir mit Dachser den führenden Lebensmittel-Logistikanbieter an unserer Seite“, erläutert der Unternehmer. „Also haben wir 1. Anbieter, 2. Logistiker, 3. Abnehmer - das ist eine systemische Lösung! Das ist die Königsdisziplin. Und mit der KI sehen wir zu, dass die exakt miteinander matchen“.

Und dies längst nicht nur innerhalb Deutschlands. „Meine Vision besteht darin, Foodwaste in der Lieferkette innerhalb der nächsten 5-7 Jahre weltweit zu eliminieren.“ Ist das dann „Lieferketteneffizienz“, wie Alexander Piutti es nennt, oder doch eher die Rückkehr ins Paradies?


Wie und wo entstehen Lebensmittelabfälle?

  • Aufgrund hoher Anforderungen der Supermärkte oder weiterverarbeitenden Industrie wird ein Teil der Ernte bereits auf dem Feld aussortiert (0,2 Mio. t = 0,2 %).
  • Bei der Verarbeitung werden zudem nur bestimmte Teile eines Lebensmittels verwertet, Waren können aufgrund von Etikettierungsfehlern nicht vermarktet werden oder werden beim Transport beschädigt (1,6 Mio. t = 15 %).
  • Im Handel entstehen Lebensmittelabfälle, wenn Logistikprozesse nicht optimal eingestellt sind, Bestellmengen nicht der Nachfrage entsprechen, Ware fehlerhaft gekühlt oder das MHD überschritten wurde. Anreize, mehr und größere Packungen zu kaufen, sorgen wiederum für ein steigendes Abfallvolumen in privaten Haushalten (0,8 Mio. t = 7 %).
  • In der Außer-Haus-Verpflegung führen eine schlechte Planbarkeit durch schwankende Nachfrage, zu große Portionsgrößen und 
  • fehlerhafte Kalkulationen zu Food Waste (1,9 Mio t = 17 %).
  • In Privathaushalten landet ein erheblicher Teil der Lebensmittel im Müll, weil Produkte falsch gelagert oder nicht bedarfsgerecht eingekauft werden, zu viel gekocht oder das MHD als Wegwerfdatum betrachtet wird. Allein 50 Prozent der Verbraucher geben an, vom Unterschied zwischen Verbrauchs-, Mindesthaltbarkeits- und Verkaufsdatum verwirrt zu sein (6,5 Mio. t = 59 %).

3 FRAGEN

Herr Hennen, Sie sprechen von einem Win-Win-Win-Konzept ohne Haken. Bedeutet es für den LEH denn nicht doch mehr Aufwand, die nicht mehr zum Verkauf geeignete Ware erst noch in Tüten packen, in der App hochladen und schließlich an die Kunden ausgeben zu müssen?

Wolfgang Hennen: Der Mehraufwand ist mehr als bescheiden, da in jedem lebensmittelverarbeitenden Betrieb der Tagesablauf ohnehin mit einer Frischekontrolle endet. Da ist es nur ein winziger Prozessschritt mehr, die Reste in die Tüte und die App einzugeben, anstatt in die Tonne.

Kaufen Kunden denn überhaupt noch zu regulären Preisen, wenn sie die App erst einmal für sich entdeckt haben?
Ja, auf jeden Fall. Die App steht ja immer am Ende der Tätigkeit. Viele Too Good To Go-Nutzende entdecken durch die App auch neue Läden, die sie auch regulär besuchen. Unsere Partner machen keine Umsatzeinbußen. Im Gegenteil: Wir wissen aus verschiedenen Piloten und Untersuchungen, dass die App-Nutzer – und die sind ein Querschnitt unserer Gesellschaft - oft sogar noch Zusatzeinkäufe tätigen, und zwar in durchaus relevanten Mengen.

Wer sich in der App registriert, bekommt die Nachricht: „Danke, dass du dabei bist im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung!“ Das fühlt sich richtig gut an und der Erfolg gibt Ihnen ja auch recht. Warum ist TGTG dann nicht schon viel bekannter?
 Die Firma kommt aus Dänemark, wo sie einen ganz anderen Bekanntheitsgrad hat als hierzulande. Überdies entscheidet jeder Partner selbst, wie er seine Reste abgeben will: in einer eigenen Tüte etwa oder unserer. Steigenberger, Hilton und andere Hotelpartner wollen zum Beispiel ganz explizit, dass ihre App-Kunden mit der TGTG-Tüte sichtbar durch die Lobby gehen und so ein Zeichen setzen. Das ist gut für ihr Image, gut für uns und gut fürs Klima.

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