Die US-Handelspolitik lässt sich bestenfalls als unberechenbar bezeichnen. Die deutsche Lebensmittelbranche zeigte sich vor Wochen besorgt über die geplanten EU-Gegenzölle. Welche Folgen drohen ihr im Fall von Gegenzöllen?
Man hat keine Chance, wenn man zu sehr mit Details und zu sehr branchenspezifisch vorgehen will. Trump versteht nur einfache Beautiful Big Deals. Und bei denen will er Win-loose herausholen, nicht Win-win. Wer im Zeitalter von Trump Erfolg haben will, muss sich also zuerst von der Tageshektik lösen, die morgen sowieso wieder ganz anders ist: Die aktuelle US-Handelspolitik führt nur das ins Extrem, was in den letzten 25 Jahren mit dem vom Westen verschlafenen Aufstieg Chinas und Asiens längst begonnen hat, siehe die Folgen von Chinas Eintritt in die WTO 2001. Zudem sollte man immer die Relationen und Dimensionen der Handelspolitik im Blick behalten. Wir in Europa bleiben auf jeden Fall attraktiv, werden aber insgesamt bedeutungsloser.
Wie reagiert man auf das wechselhafte Geschehen?
Die Finanzministerin der Schweiz macht das gut, die ihrem amerikanischen Kollegen klipp und klar sagte: Unsere Wirtschaft kann mit guten oder schlechten Tarifen leben und sich anpassen – aber sie kann nicht mit permanenten Unsicherheiten erfolgreich mit den USA zusammenarbeiten. Resultat: Plötzlich gehört die Schweiz zu den 15 privilegiert behandelten Nationen – nachdem ihr 31 Prozent an Zöllen angedroht worden waren.
Unter anderem spricht sich der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie für einen generellen Kurswechsel in der Handelspolitik aus. Wie könnte der aussehen?
Gehen Sie davon aus, dass Unwahrscheinliches wahrscheinlicher und Selbstverständliches unverständlicher wird. Die Finanzmärkte zeigen ja sehr schön, dass man nun in Extremszenarien denken muss. Sehen Sie es so: Wer die größere Leidensfähigkeit hat, gewinnt. Wir in Europa waren die größten Profiteure der bisherigen politischen und wirtschaftlichen Ordnung. Nur: Die USA haben die größere Leidensfähigkeit als wir, vor allem die Westeuropäer. Und die Chinesen haben eine viel größere Leidensfähigkeit als die USA. Das ist entscheidend. Nicht der Mangel an Fachkräften zählt, sondern der Mangel an Opferbereitschaft. Wir haben nun überall Stellvertreterkriege. Damit muss man die Risiken besser aufteilen.
Wie beurteilen Sie die Aussicht auf ein Handelsabkommen nach Ablauf der 90-Tage-Frist?
Auf jeden Fall verhandlungsbereit bleiben, taktieren, nicht den Beleidigten spielen. Und die möglichen alternativen Partnerschaften, soweit sinnvoll, stärken.
Was wäre der Best oder auch Worst Case?
Es gibt keine Worst oder Best Cases mehr. Vergessen Sie das einfach. Protektionismus und Merkantilismus lösen bisherige Formen der Globalisierung ab. Alles ist im Fluss und unscharf. Für uns ist das Chaos. Für Trump und Merkantilisten nicht. Die Frage ist, wie sich nebst den Nationen die Bedeutung vermittelnder Institutionen wie der Welthandelsorganisation oder der Weltbank, der UN, des Internationalen Währungsfonds oder des Weltwirtschaftsforums entwickelt und wie schnell es Alternativen gibt, wie beispielsweise den Zusammenschluss der BRICS-Staaten. Und wie stabil die Finanzmärkte dann noch sind.
Worauf müssen sich Verbraucher Ihrer Ansicht nach einstellen?
Dass es uns immer noch gut geht, aber wir viel mehr tun müssen, um ansatzweise zu behalten, was uns lieb geworden ist. Und Händler: Preis wie auch Leistung werden immer entscheidender.
David Bosshart
ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Stephan Grünewald, Martin Fassnacht und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com