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ForscherAuftritt David Bosshart: "Phase der Selbstüberschätzung"

Es ist noch ein langer Weg, bis Cultured Meat als Gamechanger fungieren wird, sagt Trendforscher David Bosshart. Und er hofft, dass Essen und Trinken als Aspekt der Lebensqualität derweil nicht völlig in Vergessenheit gerät.

Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI Gottlieb Duttweiler Institute, Sandra Blaser

David Bosshart war langjähriger Direktor des Gottlieb Duttweiler Institutes und ist als Executive Advisor, Trend- und Handelsforscher weltweit tätig.

Es wird wieder verstärkt über Cultured Meat gesprochen. Was halten Sie denn davon?
Wir sind in der Phase des Ankündigungsmarketings. Aber die Liste der offenen Fragen ist lang. Denn Cultured Meat ist Invitro-Fleisch, es geht also um „Hard Tech“, um Biotechnologie, und nicht einfach um ein Stück Software und mächtige Chips oder um Agrochemie. Biotech Start-ups operieren in einem ganz anderen Umfeld, viel strenger reguliert, viel teurer in der Entwicklung, Skalierungspotenziale ungewiss. Während der Entwicklung entdecken wir neue Fragen, etwa was Umwelt, Energie und Gesundheitsfolgen betrifft, und das wiederum beeinflusst Märkte, Investorenverhalten und Veränderungsgeschwindigkeit.

Sind Verbraucher überhaupt bereit dafür?
Das dauert sicher zwei Generationen. Beim Invitro Fleisch sind wir in der Phase der Überschätzung, dann kommt die Ernüchterung und ein gewisses Desinteresse, aber dann kommt die interessanteste Phase bis schließlich zum Marktdurchbruch. Ob wir hier von 10, 20 oder gar 30 Prozent Marktanteil bis 2050 sprechen, ist meines Erachtens offen. Wenn alle daran glauben, haben wir einen Selffulfilling Prozess und schnelleren Wandel. Wenn nur ganz wenige daran glauben, werden wir nicht über marginale Prozente hinauskommen.

Mangelende Natürlichkeit wird oft als Hemmnis genannt. Ist sie denn wichtig, wenn es um gut oder schlecht für die Natur geht?
Was ist denn heute noch natürlich, echt, gesund? Fleisch von einem Tier, das sich in seiner Lebenszeit an Antibiotika, Futtermittel mit Agrochemikalien und Nanotechnologieprodukte gewöhnt hat? Wir müssen pragmatisch vorgehen. Für unseren Lebensraum, der mehr ist als die Natur, gilt unbestritten, dass wir die CO2 Emissionen und Methanprobleme viel besser in den Griff bekommen müssen. Und die Biodiversität. Und das Tierwohl. Und und und. Wir müssen priorisieren. Und hierarchisieren. Die Folgen des Krieges in der Ukraine haben das dramatisch bestätigt.

Im Handel werden hybride Fleischprodukte angeboten, die weniger Fleisch, dafür mehr Gemüse enthalten. Wie finden Sie solche „halben Sachen“?
Die Spanne lässt grüßen. Da ist mir die chinesische Tradition direkter, die mit kleingeschnipseltem Fleisch,
Gemüse, Reis oder Nudeln Gerichte kreiert, die gleich mit weniger Fleisch auskommen und vor allem auch Strom sparen. Das ist klug und hat nicht den Aspekt des Verzichts.

Können Cultured Meat oder Hybrides als nachhaltige Gamechanger fungieren?
Es wird ein langer, aber interessanter Weg. Auch die Definition von Nachhaltigkeit wird sich kontinuierlich verändern. Wer einen langen Atem hat, klug lernt und investiert, kann viel gewinnen. Wir überschätzen die Gegenwart, ignorieren die Vergangenheit und unterschätzen die Langfristtrends. Wir werden zwischenzeitlich noch viel experimentieren, viele Studien erleben, die positiv oder negativ sind. Eine auf Wissenschaft und Technologie basierende Wirtschaft wird automatisch langsamer mit Durchbrüchen, da auch die regulatorischen Hürden anspruchsvoller werden. Aber die Zukunft kann man nicht in die Vergangenheit einsperren.

Wie groß ist Ihr Appetit auf zellkultiviertes Fleisch?
Im Moment Beobachterstatus. Ich bin als skeptischer Optimist gespannt, was da rauskommen wird. Ich hoffe, dass wir nicht vergessen, dass Essen und Trinken auch kulturell verankert sind und einen zentralen Aspekt der Lebensqualität ausmachen. Die Frage des Geschmacks und der Urteilskraft macht den Unterschied aus. Im Zweifelsfalle esse ich wohl auch in 20 Jahren noch lieber weniger Fleisch, dafür bessere Qualität, und leiste mir zwischendurch „Cultured Meat“.

 

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