Die allgemeine Kaufzurückhaltung ist auch im Lebensmittelhandel spürbar. Was kann man handelsseitig dagegen tun?
Der Handel hat mit Konsumzurückhaltung zu kämpfen, und ich sehe nach wie vor kein positives Narrativ von der Bundesregierung. Die großen Investitionsvorhaben ließen sich durchaus positiv kommunizieren und die Konzepte nachvollziehbar erklären, aber genau das fehlt bislang.
Wohin kann ein selbstständiger Händler angesichts der gestiegenen und steigenden Preise sein Geschäft entwickeln?
Ein großes Potenzial sehe ich in der Gastronomie – also im To-go-Segment. Ich würde mich viel stärker als echte Alternative und als Konkurrent zur Gastronomie positionieren. Diese Chance wird meiner Meinung nach noch zu wenig genutzt. Restaurants sind für viele Konsumenten inzwischen schlicht zu teuer geworden, und die Gastronomie leidet zudem unter massivem Personalmangel. Dennoch möchten die Menschen weiterhin essen und trinken – nur eben zu geringeren Kosten. Genau in diesen Markt würde ich gehen.
Sie meinen die Handelsgastronomie vor Ort?
Nicht nur. Die Handelsgastronomie direkt im Markt ist der eine Aspekt. Aber ich meine auch, komplette Gerichte und Mahlzeiten – und zwar von der Vorspeise bis zum Dessert – to-go anzubieten, sodass man sie zu Hause schnell und bequem servieren kann. Dabei sollte man den Cocooning-Effekt keinesfalls unterschätzen...
... der besagt, dass es Menschen zu Hause schön und bequem lieben.
Korrekt. Und das ist aus meiner Sicht ein Markt mit riesigem Wachstumspotenzial. Aber nur, wenn man es richtig macht: Das Angebot muss präsent sein – in Prospekten, Apps, auf allen Kanälen. Entscheidend ist der Perspektivwechsel: Weg vom einzelnen Produkt, hin zur Lösung konkreter Konsumentenfragen. Und diese Lösung heißt in dem Fall ganz klar Bundling. So geht man in den Wettbewerb mit Anbietern wie Hello Fresh.
Das Konzept von Hello Fresh ist ja genau genommen Bundling.
Bundling wird im LEH noch immer nicht voll ausgeschöpft und kaum konsequent vermarktet. Auch, weil es meist um die Kombination von Produkten verschiedener Hersteller und Marken geht. Die Darstellung des Bundlings in den Warenwirtschaftssystemen von Händlern darf aber keine Barriere bei der Umsetzung sein.
Auch Kochboxen bedienen den Wunsch nach Bequemlichkeit: kein Rätseln über Rezepte, kein Zusammensuchen vieler Zutaten... Exakt. Dieser Markt wird bislang nicht konsequent bedient. Der Wunsch nach Bequemlichkeit und danach, sehr gute, frische Gerichte schnell und unkompliziert zu Hause auf den Tisch zu bringen, wird zu wenig adressiert. Das ist eine enorme Chance für den LEH. Zumal er ein natürlicher Anlaufpunkt für Konsumenten ist: Die Kundschaft ist ohnehin vor Ort, um Lebensmittel und Mahlzeiten einzukaufen. Umso wichtiger ist es, ein solches Angebot konzeptionell sauber zu entwickeln und konsequent zu vermarkten. Konsequent heißt dabei: Man probiert neue Konzepte nicht nur für ein paar Wochen aus, sondern entwickelt eine tragfähige Strategie, die mittel- bis langfristig umgesetzt wird – und an die man auch glaubt. Genau daran scheitert es oft im deutschen LEH: an der Geduld und dem Mut, neue Ideen wirklich durchzuziehen. Der deutsche LEH tut sich schwer in der Entwicklung und Durchsetzung neuer Ideen, die Zeit brauchen. Woran liegtʼs? Das Denken über Warengruppen und Kategorien hinweg hat im LEH keine Tradition. Aber auch beim Thema Bundling muss der LEH umdenken, um Probleme zu lösen!