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Generationswechsel: Explosionen vermeiden

Dass Nachfolge in Familienunternehmen gelingt, ist nicht selbstverständlich – eigentlich ist es sogar unwahrscheinlich, sagt Arist von Schlippe. Was zu tun ist und wie sich die Familie am besten frühzeitig um Lösungen kümmert, beschreibt er im Interview.

Arist von Schlippe, Foto: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)/WIFU-Stiftung, Witten
Von Martina Kausch | Fotos: WIFU/WIFU-Stiftung

Zur Person

Arist von Schlippe

Der Psychologe und Inhaber des Lehrstuhls „Führung und Dynamik von Familienunternehmen“ ist seit 2005 am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke tätig. Er ist Lehrtherapeut, lehrender Coach und Supervisor (SG, Berlin).

Das Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) befasst sich mit Themen wie Unternehmensführung, Digitalisierung & Technologie, Krisen und Konflikte, Nachfolge, Familienunternehmen in der Öffentlichkeit. Veranstaltungen in verschiedenen Formaten werden für Unternehmerfamilien und Familienunternehmen angeboten.


 

Sie sprechen davon, dass in Familienunternehmen bei der Frage der Unternehmensnachfolge „besonders viele Nitroglycerinfläschchen herumstehen“, ein Bild für das hohe Konfliktpotenzial. Ist das nicht etwas übertrieben?
Das Charakteristische bei Nitroglycerin ist ja, dass es bei der kleinsten Erschütterung eine große Explosion gibt. Das steht symbolisch für die Gefahr, die besteht, wenn man bestimmte Risikomomente in der Familie lange nicht anschaut. Dann ist man in Übergangsmomenten extrem verwundbar. Und Nachfolge ist der zentrale Übergang – neben dem Erbfall. Wir wissen, dass ein Drittel der Erbfälle konflikthaft verläuft. Wenige Dinge können Familien so unter Stress setzen. In Familienunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit für heftige Konflikte grundsätzlich größer.

Warum ist das so?
Wie der Name sagt, sind in Familienunternehmen zwei soziale Systeme eng miteinander verbunden: die Familie und das Unternehmen. Aber beide funktionieren unterschiedlich, vereinfacht gesagt: Familien auf der Basis von Bindung und Gefühl, ein Wirtschaftsunternehmen auf der Basis von Entscheidungslogik und Intellekt. Außerdem kann man nach einer Kränkung eine Familie nicht verlassen, wie ein „normaler“ Arbeitnehmer oder Manager, der dann eben einfach geht. Deswegen wirken Entscheidungen in Familienunternehmen so lange nach und führen unter Umständen zu Verhinderungsmacht.

Was verstehen Sie darunter? 
Nehmen wir an, es wurde einmal entschieden, dass ein Sohn 49 Prozent vom Unternehmen besitzt, der andere 51 Prozent. Wenn bei einer Investitionskreditanfrage der Minderheitseigner die Pläne des Bruders nicht unterstützt, werden die Bankverhandlungen sehr schwierig. Verhinderungsmacht ist ein großer Risikofaktor, weil sie das unternehmerische Geschehen blockieren kann.

Wie kann man die Nachfolgefrage möglichst konfliktfrei regeln?
Wichtig ist, früh familienstrategische Grundfragen zu besprechen, beispielsweise anhand einer Charta oder eines Family-Governance- Kodex. Wir haben am Institut Praxisleitfäden entwickelt, „Zehn Goldene Tipps“ formuliert und das Wittener Modell einer familien-internen Unternehmensnachfolge erarbeitet (siehe QR-Code oben auf der Seite, Anm. der Red.).

Wenn man beispielsweise die Kriterien für Nachfolge nicht geklärt hat, kann es zu dramatischen Momenten kommen. In der Psychologie gibt es hier den Begriff des psychologischen Kontrakts, das sind implizite, vage Versprechungen, die nach einer Zeit von beiden Seiten unterschiedlich erinnert werden. Das birgt hohes Konfliktpotenzial.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Etwa wenn ein Sohn – um im Klischee zu bleiben, zunehmend gilt das ja auch für Töchter, ich meine natürlich beide Geschlechter, spreche aber jetzt vom Sohn – seinen ursprünglichen Studienwunsch aufgibt, und dann eines Tages mit dem Diplom in Betriebswirtschaft zum Vater kommt und sagt: Ich bin nun Betriebswirtschaftler und bereit, ins Unternehmen einzutreten. Dann kann es sein, dass der Vater aus allen Wolken fällt: Wieso denn das? Davon war nie die Rede! Der Sohn erinnert sich: Du hast doch gesagt, wenn ich Betriebswirtschaft studiere, kann ich ins Unternehmen. Worauf der Vater antwortet, nein, ich habe nur gesagt, wenn du Medizin oder Philosophie studierst, kannst du dir die Firma abschminken. 

Das Beispiel macht klar: Beide erinnern die Situation eines früheren Gesprächs, aber sehr unterschiedlich, und jeder denkt, der andere müsse doch die gleichen Erinnerungen teilen.

Was ist dann zu tun?
Solche verletzen psychologischen Kontrakte haben ein hohes Konfliktpotential, weil sie mit einem Gefühl von Gerechtigkeit verbunden sind. Wir Menschen reagieren auf verletzten Gerechtigkeitssinn immer mit Empörung - und das ist gefährlich, weil es ein moralisches Empfinden ist. In solchem Fall fühlen wir uns im Recht, eskalieren aus Überzeugung und ziehen bereitwillig in den „gerechten“ Kampf. Man muss sich klarmachen: Eine gelingende Nachfolge ist erst einmal hochunwahrscheinlich, es sei denn, man kümmert sich bewusst …

… und frühzeitig, wie Sie sagten. 
Ja. Der Königsweg besteht in der Prävention. Empfehlenswert ist etwa ein Open Testament, also die Strategie, das Testament mit den Erben zu besprechen. Das Gemeinste ist, wenn ein Erblasser zu feige ist, um sich mit den Erben auseinanderzusetzen. Böse Überraschungen bei der Testamentseröffnung sollte man unbedingt vermeiden. Und dann bitte auch Beratung und Mediation entmystifizieren: Wenn man merkt, man braucht Unterstützung, um aus Verwicklungen herauszukommen, wenn man sich nur noch anschreit, dann sollte man nicht zögern auf Mediatoren und Mediationskonzepte zurückzugreifen.

Was ist in Ihren Augen ein „gutes“ Ergebnis bei einer Nachfolgeregelung?
Eine gelingende Nachfolge setzt auf der einen Seite Abgabebereitschaft voraus. Das ist bei Senioren nicht selbstverständlich, wenn man sich und sein ganzes Leben dadurch definiert, Unternehmer zu sein. Dann versucht man schon mal, die Altersgrenze nach hinten zu schieben. Das ist schon existenziell! Manchmal wird es wie ein Stück Sterben erlebt.

Aber auch der Nachfolger ist oft nicht ganz angstfrei. So kann es manchmal passieren, dass beide sich gegenseitig verantwortlich machen: „Du läßt nicht los!“ – „Naja, du bist ja auch nicht kompetent!“ Wenn man unentschieden ist, ist Kompetenz immer der Joker, den man spielt: „Wie soll ich loslassen, du bist ja noch nicht so weit!“

Einer oder beide können ambivalent sein: Der Senior braucht sozusagen die (nie ganz eindeutig bestimmbare) Nicht-Kompetenz des Sohnes, um sich nicht mit seiner Angst auseinanderzusetzen. Und Sohn/Tochter kann innerlich sagen: Bitte nicht loslassen, sonst habe ich die ganze Verantwortung und davor habe auch ich Angst.

Es gibt also ein Zusammenspiel zwischen bewusstem Ja und unbewusstem Nein – solche Situationen, die alles in der Schwebe lassen, sind für alle wirklich Gift. Die eigene Ambivalenz muss man selbst lösen und darf sie nicht an anderen abarbeiten.

Aber ich will nicht nur negative Beispiele bringen. Ich kenne viele Unternehmen, da sind dieser Reifungsprozess und die Nachfolge großartig gelungen. Nach einer Übergangszeit hat der Senior genug Vertrauen und der Nachfolger weiß, dass er sich – wenn es einmal wirklich brennt – noch Rat holen kann.

Zehn Goldene Tipps

zur Nachfolgeregelung in Familienunternehmen, weitere nützliche Informationen und Handlungsempfehlungen:
Nachfolge in Familienunternehmen | WIFU – Wittener Institut für Familienunternehmen

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