Bedeutet die aktuelle Krise das Aus für Themen wie Nachhaltigkeit, Tierwohl, Bio und eine Rückkehr zu der Parole „Geiz ist geil“ der Nullerjahre?
Nein. Geiz ist geil kommt nicht wieder, eine Rückkehr zu dieser Mentalität wird es nicht geben. Aber wer aktuell ohne das Preis-
argument arbeitet, hat es schwer, Umsätze zu generieren.
Kein Geiz ist geil – das ist Ihre Meinung?
Ja. Ich benutze gerne das Bild eines Fahrstuhls: Wir sind alle in der Pandemie nachhaltiger geworden, der Fahrstuhl der Nachhaltigkeit ging nach oben. Bei einigen ist er im dritten Stock, bei anderen im zehnten. Im Moment steht der Nachhaltigkeits-Fahrstuhl, aber niemand möchte wieder zurück nach unten fahren! Immer mehr Menschen erleben, fühlen und wissen, wie wichtig das Thema für das Leben auf dem Planeten Erde ist.
Auch wenn das Budget der Kunden kleiner wird, wie es aktuell passiert?
Ja, auf jeden Fall. Deswegen müssen Hersteller und Händler auch angesichts der Preisproblematik darauf achten, dass sie am Ende nicht als Billiganbieter dastehen, denen lebenswichtige Themen egal sind, sondern dass sie weiter als Anbieter von verantwortungsvollen Produkten gesehen werden. Das schafft den Mehrwert! Auch Menschen, die wenig Geld haben, wollen etwas für die Nachhaltigkeit tun.
Also heißt die Strategie im LEH Bio und Nachhaltigkeit für alle?
Der Erfolg von Discountern beruht auch darauf, dass sie früh Bio angeboten haben – ein Zeichen des Respekts gegenüber Menschen, die sich auch gesund und nachhaltig ernähren wollen, aber nicht das Geld dazu haben, in den Bio-Markt zu gehen.
Dass für sie ein Angebot geschaffen wurde, ist Verdienst der Discounter. Auch aktuell haben Menschen Ansprüche an Produkte, es geht um die Themen Nachhaltigkeit und Bio, und diese Ansprüche möchten sie nicht so schnell aufgeben. Es ist extrem wichtig, dass dieses Bedürfnis wahrgenommen wird. Das ist die Herausforderung. Wir leben nicht mehr in der Welt der 50er-Jahre, der Industriegesellschaft, der reinen Dingwelt.
Was meinen Sie damit?
Ich spreche von der Entwicklung terrestrischer Konsum- und Lebensstile. Alles bewegt sich in die Richtung, dass man sich nachhaltiger verhält, mehr auf die Bedürfnisse des Planeten achtet. Terrestrisch bedeutet auch, dass ich von der reinen Mengenproduktion für eine graue Masse weg muss hin zu – ich sage mal vereinfacht – werthaltigen Produkten, zu terrestrischen Marken und Händlern.
Was sind terrestrische Marken?
Ich zeichne jetzt mal das große Bild: Das alte Denken in der Industriegesellschaft war das der Dingwelt: Schnell, standardisiert produzieren, effizient sein, Massen für eine graue Allgemeinheit auf den Markt zu bringen – das prägte diese Gesellschaft. Wir leben jetzt aber in einer Kulturgesellschaft, in einer Dienstleistungs- oder auch Digitalgesellschaft, einer Sinnwelt.
Da geht es den Menschen nicht mehr darum, viele materielle Güter zu besitzen, zu verbrauchen und durch neuen Besitz zu ersetzen. Es geht um Zugänge, um das Gestalten, um Sinn und damit um werthaltigen Konsum. Das ist mit Responsibilisierung gemeint. Es geht um das Gebrauchen statt Verbrauchen. Hedonismus und Nachhaltigkeit sind heute vor allem in den jüngeren Generationen kein Widerspruch mehr. Die neue kreative Mittelschicht zeichnet sich dadurch aus, dass sie Hedonismus und Ethik, Ästhetik und Ethik zusammenbringen will.
"Fleischersatz ist für viele Menschen kein Verzicht, sondern Bereicherung für ihren Konsum- und Lebensstil."
Robert Kecskes, Insights Director, GfK
Bitte ein Beispiel!
Ein Beispiel: Fleischersatz ist für viele dieser Menschen kein Verzicht, sondern Bereicherung für ihren Konsum- und Lebensstil. Der „Flexitarismus“ ist für viele Menschen so attraktiv, weil er nicht auf einer Verzichtslogik beruht, sondern auf einer Bereicherungslogik. Wir sollten daher auch nicht mehr von Fleischersatz sprechen, sondern eine neue Begrifflichkeit einführen, die diese Bereicherungslogik spiegelt.
Aber der Konsument spart doch aktuell?
Unterschiedlich: Rein funktionale Preispremiummarken verlieren relativ deutlich. Wertepremium, also sozio-ökologische Sozialmarken, gewinnen auch in dieser schwierigen Zeit. Das zeigt: Die reine Funktionalität eines Produkts reicht nicht mehr! Der Trend geht weg von der Funktionsmarke hin zur Sozialmarke. Es geht dabei nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch um soziale Verantwortung.
Viele Menschen sind – solange sie es monetär noch können – bereit, hierfür weiterhin einen höheren Preis zu zahlen. Aktuell müssen sie die Mehrzahlbereitschaft für die ihnen wichtigen Sozialmarken jedoch durch den Kauf von günstigeren Produkten in anderen Kategorien ausgleichen, damit ihnen die Bonsumme nicht „explodiert“. Attraktiv werden dadurch natürlich die Handelsmarken.