Artikel

Lachs auf Landgang

Der Fischkonsum steigt, Lachs und Garnele sind beim Verbraucher alltagstauglich geworden. Aber Trockenheit in Lachswanderflüssen und multiresistente Parasiten in Meeres-Aquakulturen machen den Produzenten zu schaffen. Was liegt also näher, als die Tiere in Kreislaufanlagen an Land zu züchten und regional zu vermarkten? Eine Tour zu Projekten zwischen Alpen und Meer.

Von Martina Kausch | Fotos: stock.adobe.com/ItalianFoodProd, lateci, lunamarina, U. Häßler, NiDerLander; Swiss Lachs

Da liegt sie eingebettet im länglichen goldfarbenen Karton, prächtig glänzend und in der typischen Farbe. Die Seite eines Lachses, geräuchert, vakuumverpackt und in der weißen Geschenkbox, von der sich die Schweizer Flagge markant abhebt. Salmo salar, der Atlantische Lachs. Gezüchtet und verarbeitet im schweizerischen Graubünden, tausend Kilometer vom nächsten Atlantik entfernt.

Über tausend Kilometer weiter nördlich im kleinen Ostseebad Strande an der Kieler Förde schwimmen die White Tiger Garnelen an Land in großen Becken in 28 Grad warmem Salzwasser. „Liebe Kunden, aufgrund der außergewöhnlich guten Nachfrage und unserer noch begrenzten Zuchtkapazität können wir derzeit leider keine Förde Garnelen liefern. Wir bitten um Ihr Verständnis“, heißt es in deutlich hervorgehobener Schrift auf der Homepage des Unternehmens. Ausverkauft. Die beiden Szenen beschreiben die aktuelle Situation, welche die Statistiken bestätigen. Der Fischkonsum nimmt zu, fast jeder fünfte verzehrte Fisch in Deutschland ist ein Lachs, Tendenz steigend. In Norwegen wurden 2020 rund 1,2 Millionen Tonnen Lachs gezüchtet, die Hälfte der gesamten weltweiten Lachsproduktion. Die Nachfrage ist die eine Seite.

Klimaveränderung und Lachslaus

Die Situation in der Produktion die andere. Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich über die paradoxe Situation, dass in Kalifornien junge Lachse in Tankkanistern an den Pazifik gefahren werden, weil die Flüsse, durch die die Tiere normalerweise ins Meer schwimmen, wegen großer Hitze austrocknen beziehungsweise das Wasser zu warm wird. Und dann gibt es die Lachslaus. Ein Parasit, mit dem Aquakulturen zunehmend Probleme haben, weil er gegen Antibiotika Resistenzen entwickelt. Doch woher soll gesunder Lachs kommen? In der Region Graubünden kommt er aus Lostallo.

Lachs aus schweizerischem Tal

Hier entdeckt man von der Autobahn zwischen Chur und Locarno ein elegantes kubisches Holzgebäude mit der ebenso eleganten Aufschrift Swiss Lachs. Anfangs das Projekt eines britischen Ingenieurs, der nach Betrachtung einer BBC-Dokumentation über konventionelle Lachszucht beschloss: Das muss anders gehen. So erzählt die Geschichte jedenfalls Ronald Herculeijns, der zusammen mit dem Ideengeber 2014 den ersten Businessplan geschrieben hat.

Heute ist aus der Idee ein florierendes Unternehmen geworden und Herculeijns Director Sales und Marketing bei der Swiss Alpine Fish AG. Denn Investorengeld wurde eingeworben, eine Schweizer Großbank engagierte sich. Es folgte eine zweijährige Bauphase und dann der Test mit Lachsforellen. „Wir wollten die neue Anlage mit einem robusteren Fisch starten“, erinnert sich Herculeijns an die Anfänge des Unternehmens.

Die Anlage lief gut und die Lachse durften einziehen. 2020 lieferte Swiss Lachs 360 Tonnen Salmo salar und plant bereits eine zweite Anlage, obgleich die Kapazität der bestehenden – kalkuliert mit 600 Tonnen rundem Fisch, also 480 Tonnen ausgenommenem – noch nicht ausgeschöpft ist. „Wir wollen keine zu hohen Besatzdichten, die Nachfrage ist aber enorm. Und wir wollen den First Mover Advantage für uns weiter nutzen“, so der Betriebswirtschaftler.

Ohne Feinde in der Strömung

Die Anlage im Alpental ist eindrucksvoll. Viel Know-how gehört dazu, Salmo salar innerhalb von zwei Jahren im geschlossenen System zur Verarbeitungsreife zu bringen. In den ersten zwölf Monaten wächst der Lachs bis zu einer Größe von rund zehn Zentimetern, im zweiten Jahr erfolgt der Wachstumsschub bis zu einem Zielgewicht von rund 3,5 Kilogramm und einer Länge von rund 90 Zentimetern. In dieser Zeit braucht er Süßwasser, Brackwasser, Strömungen – alles wird simuliert. „Die Tiere wachsen in stressfreiem stabilen Umfeld auf, ohne Stürme, ohne Feinde, aber mit einer Strömungsanlage für viel Bewegung“, so Herculeijns. Keine Lachslaus, keine Parasiten, Sashimi-Qualität ohne Shock-Freezing, teurer als schottischer Bio-Lachs. Vertrieben wird im Shop vor Ort, online und durch die Schweizer Lebensmittelhandelsketten. Die Gastronomie ist auch ein guter Kunde.

So schön, so gut. Aber dann legt Herculeijns los und berichtet über Nachhaltigkeit. Eine der saubersten und nachhaltigsten Lachsfarmen weltweit sei die Anlage: „95 Prozent des Wassers werden rezykliert, fünf Prozent sind Abwasser, das hat nach der Reinigung fast Trinkwasserqualität. Das Salz fürs Wasser ist schweizerisches Salz ohne Mikroplastik und ohne Ölspuren. Das Fischfutter wird in Frankreich hergestellt, es besteht zu 25 Prozent aus Fischmehl, zu 15 Prozent aus Fischöl und außerdem aus pflanzlichen Bestandteilen. Das Fischmehl ist aus Schlachtabfällen aus Calais und Boulogne-sur-Mer, Nordfrankreich. Der grüne Strom kommt von einem Wasserkraftwerk, das 300 Meter neben der Farm steht, die Filterreste und Schlachtabfälle werden zu Biogas verarbeitet.“ Punkt.

Herausforderungen gab es auch in Lostallo. „Anfangs war der große salzhaltige Wassertank nicht dicht – und das bei 32 Metern Durchmesser und sieben Metern Tiefe! Das hat uns in der Planung ein Jahr zurückgeworfen. Und in den letzten beiden heißen Sommern mussten wir das Wasser kühlen, denn die Lachse brauchen eine optimale Wassertemperatur von elf bis 13 Grad Celsius. Das bedeutet zusätzliche Kosten.“ Andererseits sei es die richtige Entscheidung gewesen, neben der Zuchtanlage auch eine Verarbeitung zu etablieren, zu den 26 Mitarbeitern gehöre auch ein Räuchermeister aus Schottland.

Garnelen aus Glückstadt

„White Tiger Garnelen“ sind in Deutschland beliebt, was im LEH verkauft wird, ist Tiefkühlware, meist aus Asien. Hier eine Alternative zu schaffen haben sich Unternehmen wie Förde Garnelen in Strande, Neue Meere im niedersächsischen Gronau oder eben auch die Hanse Garnelen vorgenommen.

„Wasserreinheit ist das alles entscheidende Thema“, sagt Rupert Baur, Vorstand des Unternehmens Hanse Garnelen. Nachdem eine übernommene Anlage in Grevesmühlen läuft, wurde in diesen Tagen an einem komplett neuen Standort in Glückstadt der Grundstein gelegt. „Wir sind uns sicher, dass wir in der neuen Anlage eine bessere Strömungsführung haben, eine effektivere Belüftung, damit der Sauerstoffgehalt im Wasser höher gehalten werden kann.“ Verbesserungen sind auch bei den Strömungs- und Filtersystemen geplant: „Wir bewegen das Wasser nicht mit Pumpen, sondern mit Luft, das ist energieeffizienter, und wir haben auch bessere Möglichkeiten, die Schwebstoffe aus dem Wasser zu bekommen.“ Mikroplastik- und bakterienfrei sei das Wasser dann, so Baur, von Haus aus Ingenieur.

Ziel: Marktkategorie Frische Garnelen

In der neuen Anlage sollen die ersten Garnelen vor Weihnachten abgefischt werden, ab März 2022 wollen die Betreiber vollständig lieferfähig sein. „Die Biologie muss sich in den Biofiltern erst aufbauen, deswegen muss man den Besatz schrittweise vergrößern“, weiß Baur. 80 Tonnen im Jahr sollen letztendlich in Glückstadt produziert werden: „Damit werden wir rund die Hälfte vom Angebot an frischen Garnelen in Deutschland stellen.“ Und wie hoch ist der errechnete „Bedarf“ in Deutschlands Haus- und Gastroküchen? 50.000 bis 80.000 Tonnen Garnelen werden pro Jahr in Deutschland verzehrt, habe das Alfred-Wegener-Institut errechnet, so Baur. Sie alle kommen gefroren aus Fernost oder Südamerika. Ein bis zwei Prozent davon, so die Berechnungen, könnte der Bedarf an frischer Ware sein, das wären also 800 bis 1.550 Tonnen jährlich. Rupert Baurs Ziel: „Wir wollen Frische Garnelen als eine neue Marktkategorie etablieren.“ Viel Potenzial also für Deutschlands regionale Garnelenzüchter.

Nationaler Strategieplan Aquakultur

Dies sieht auch die Bundesregierung so. Im Nationalen Strategieplan Aquakultur für Deutschland 2021 – 2030 heißt es wörtlich: „Aufgrund der sehr begrenzten Möglichkeiten der Erhöhung der Fänge in Binnengewässern, der begrenzten Fänge in den Meeren und der gestiegenen Marktchancen für neue Fischarten kommt der Weiterentwicklung von Kreislaufanlagen in Deutschland eine wichtige Bedeutung zu.“ Man sehe „erhebliches Wachstumspotenzial“, und „sichtbares Investitionsinteresse der Branche speziell für große Kreislaufanlagen“. Vorteile seien außerdem Standortunabhängigkeit, geringer Wasserbedarf und hohe Nachhaltigkeit.

Verkauft und geliefert werden die frischen Hanse-Garnelen übrigens in einer Schale aus Zuckerrohr, überzogen von Maisstärkefolie. Beides kompostier- oder im Papiermüll entsorgbar.

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise