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Personalprofi Yannik Deusing: „Das Gießkannen-Prinzip funktioniert nicht“

Ganz gleich, um welche Positionen es im Unternehmen geht, Edeka Niemerszein ist kontinuierlich auf der Suche nach Mitarbeitenden, erzählt Personalprofi Yannik Deusing im Interview. Um sie zu gewinnen, werden kreative Wege eingeschlagen. Wer im Team ankommt, den erwarten persönlicher Kontakt und individuelle Unterstützung.

Yannik Deusing, Edeka Niemerszein. Foto: Reinhard Rosendahl
Von RUNDSCHAU | Fotos: Reinhard Rosendahl

Aufmerksamkeit erregen und Sympathie für das Unternehmen gewinnen, so beschreibt Yannik Deusing von Edeka Niemerszein die ersten Schritte, wenn es um die Mitarbeitersuche geht. Was im Anschluss folgen sollte, erzählt Deusing im Gespräch. 

Was zählt aus Ihrer Sicht zu den größten Herausforderungen, wenn es um das Thema „Mitarbeiter finden und binden“ geht?
Die größte Herausforderung ist, glaube ich, dass sich deutlich weniger Menschen im Einzelhandel bewerben als noch vor Jahren. Hinzu kommt, dass verschiedene Generationen aufeinandertreffen: Die jungen Menschen, die sich jetzt für eine Ausbildung bewerben, haben ganz andere Anforderungen und Erfahrungen als ihre aktuellen Ausbilder.

Die große Schwierigkeit ist also, Leute zu finden, die überhaupt im Einzelhandel arbeiten wollen, und dann die beiderseitigen Erwartungen anzupassen – sowohl die der Jungen, die kommen, als auch derjenigen, die ausbilden.

Was erwarten denn die jungen Leute?
Freiheit, flexible Arbeitszeiten, möglichst freie Entfaltung, viele möchten reisen. Wir hören auch hin und wieder Sätze wie „Wenn ich fünf Minuten später komme, ist es ja nicht schlimm.“ Natürlich gibt es auch bei uns Berufe, beispielsweise im Büro, in denen diese fünf Minuten tatsächlich nicht tragisch wären. Aber wenn jemand für die Kasse eingeteilt ist, funktioniert diese Einstellung eben nicht. Dementsprechend schwierig ist es, bei solchen Erwartungen die Kompromisse zu finden. 

Was sagen Sie jemanden, der kommen möchte, wann es ihm passt?
Auf diese Weise können wir das natürlich nicht bieten. Wir versuchen immer wieder zu erklären, worum es in den Einsatzgebieten geht, und das Verständnis dafür zu schärfen, warum Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit wichtig sind. 

Was hat sich in den letzten Jahren geändert, um überhaupt Azubis zu gewinnen? 
Als ich 2018 gestartet bin, haben wir an gefangen, große Plakatwände für spezielle Azubikampagnen zu bespielen, und natürlich Zeitungsanzeigen geschaltet – alles, was analog möglich war. Mittlerweile läuft im Grunde fast alles nur noch digital, wir schalten höchstens noch ein, zwei Plakate und Printanzeigen.

Digital haben wir jetzt eine Suchmaschinenoptimierung, die unsere Stellenanzeigen online bewirbt – bei Google, Facebook und Instagram. Unsere Azubis treten auch bei TikTok auf und machen da ganz verrückte Sachen. Wir nutzen also viele digitale Möglichkeiten, um auf uns aufmerksam zu machen und Interessenten auf die Website zu locken. 

Über Ihre Website kann man alles für eine Bewerbung hochladen. Könnte ich mich auch mit einem Video bewerben?
Ja, dafür arbeiten wir mit einer Firma zusammen, die Videobewerbungen direkt in einer App anbietet und an uns weiterleitet. Hier bewirbt man sich nicht mit einem Lebenslauf, sondern erstellt ein 60-sekündiges Video. Und auf diese Weise gehen auch Bewerbungen bei uns ein.

In einem unserer Märkte arbeitet aktuell ein sehr zuverlässiger, pünktlicher und fleißiger Azubi, der uns so ein Video gesendet hat – ich glaube, wir haben bis heute noch keinen Lebenslauf von ihm. Eine WhatsApp-Nummer ist übrigens auch auf der Website, mit dem Wunsch, einfach ein Sprach-Memo aufzunehmen, es muss nicht mal ein Video sein. 

Funktioniert es heute gar nicht mehr anders oder ist dieses Vorgehen Ihr Wettbewerbsvorteil?
Das ist ganz klar unser Vorteil. Wir bekommen zwar noch relativ viele Bewerbungen per E-Mail zugesandt, aber wenn man potenzielle Bewerber auf die Website gebracht hat, dann muss man auch die Hürden abbauen und versuchen, diese Interessenten kennenzulernen und mit ihnen zu sprechen.

Es ist schlussendlich nicht wichtig, ob eine Zwei oder Drei auf dem Zeugnis steht. Für uns ist wichtig, dass die Menschen zuverlässig sind und Leidenschaft entfalten können. Es ist definitiv ein Vorteil, es ihnen bei der Bewerbung einfach zu machen. 


"Die Auszubildenden bewerben sich nicht bei uns, sondern wir bewerben uns bei ihnen."
Yannik Deusing, Edeka Niemerszein


Die Ansprache, um Auszubildende zu gewinnen, scheint heute auch eine andere zu sein, Niemerszein agiert sehr Social-Media-affin …
Ja, es geht in erster Linie darum, Aufmerksamkeit zu erregen und Sympathie zu gewinnen. Ist das geschafft, können sich Interessenten weiter über die Ausbildung und Karrieremöglichkeiten informieren. Karriere ist ein wichtiges Stichwort, es muss deutlich werden, wo der Weg hinführen kann. Übrigens sind die Azubis auf der Website alle unsere eigenen Auszubildenden, da wird nichts gespielt. 

Heißt, man muss die Azubis erst einmal von seinem Unternehmen überzeugen.
Genau, im ersten Schritt bewerben sich nicht die Azubis bei uns, wir bewerben uns bei ihnen.

Welche Benefits erhalten Auszubildende bei Niemerszein? 
Wir haben hier sehr viel zu bieten. Neben den Hard Facts (s. unten) ist uns aber vor allem die persönliche Bindung zu den Auszubildenden und ihre individuelle Förderung sehr wichtig. Nicht jeder braucht zum Beispiel eine Fortbildung, sondern erst einmal ein, zwei Jahre persönliche Erfahrung oder auch jemanden unterstützend zur Seite gestellt. Solche Überlegungen vermitteln wir ganz persönlich und individuell auf die Person abgestimmt. 

Das heißt, wir gießen nicht mit der Gießkanne Programme aus. Wir klären sehr individuell, wo der Azubi, die Nachwuchskraft, der Mitarbeiter hin möchte und welche Perspektive es für diesen Weg gibt. 

Wie ist es um den Ausbildungsstand bestellt? Muss man Azubis heute mehr oder andere Dinge beibringen?
Es läuft heute schon vieles anders. Wir haben zum Beispiel kein Berichtsheft für die Ausbildung mehr, wir nutzen hier die Edeka-Azubiguide-App, über die die sprachliche Aufnahme transkribiert wird. Vermutlich hat es sich außerdem über den Handygebrauch etabliert, dass man nicht mehr alles wissen muss, man kann alles nachschlagen. Wir müssen also heute ein Grundwissen und viel mehr die Kompetenz vermitteln, wie weiteres Wissen erworben werden kann.
 
Welchen Stellenwert hat das Thema Teambuilding für Niemerszein?
Wir unternehmen viel, um das Teamgefühl unter den Auszubildenden zu stärken. Wir treffen uns zum Beispiel bereits vor Ausbildungsstart gemeinsam mit den Azubis höherer Jahrgänge zu einem Welcome-Tag, es gibt eine Markt-Rallye mit einem kleinen Preis, wie Einkaufsgutscheine für die Pause, und wir veranstalten einiges rund um das Thema Lebensmittel: Die Azubis können eigene Produkte kreieren, die in den Märkten verkauft werden, sie lernen Lieferanten oder Manufakturen kennen, in denen noch eine ganz andere Liebe zu den Produkten herrscht. Es geht einfach darum, dass sich alle kennenlernen und eine Affinität zu Lebensmitteln aufbauen können. 

Unterjährig veranstalten wir zum Beispiel Bio- oder Fairtrade-Challenges, bei denen die Markt-Azubis ein Thema bestmöglich präsentieren müssen. Das stärkt den Zusammenhalt unter den Azubis, aber vor allem beschäftigen sie sich viel intensiver mit den einzelnen Themen. Wir schaffen es darüber zusätzlich, durch ihren Einsatz gute Produkte im Markt noch einmal hervorzuheben.

Wie gehen Sie mit Quereinsteigern ohne Vorerfahrung mit Lebensmitteln um? 
Für Quereinsteiger nutzen wir oft auch spezielle Aus- und Fortbildungsseminare der Edeka, arbeiten aber aktuell an einem eigenen Onboarding-Programm, um in Zukunft Mitarbeiter ohne Vorerfahrung möglichst schnell zu qualifizieren. Das ist ein relativ umfangreiches Projekt. Zum einen geht es nicht nur um die fachliche Qualifikation, sondern auch um die persönliche Bindung und die Vermittlung der Unternehmenskultur – also, wofür Niemerszein steht und wie wir unsere Kunden begeistern möchten.

Zum anderen müssen sich Quereinsteiger häufig zunächst die Akzeptanz bei den Beschäftigten erarbeiten, die diesen Job bereits seit Jahren machen. Das ist nicht immer ganz einfach. Darum erarbeiten wir dieses Programm, um auch solche Prozesse zu erleichtern.


"Beim Onboarding sind vor allem persönliche Gespräche und ein regelmäßiges Feedback enorm wichtig."

Yannik Deusing, Edeka Niemerszein


Wie sieht das perfekte Onboarding bei Niemerszein konkret aus?
Wir haben eine Kombination vor Augen: ein Leitfaden über das, was wir von einem Mitarbeiter fachlich erwarten, und der sozialen Integration im Markt. Jeder Markt ist bei uns unterschiedlich und hat seine eigene Kultur, auch das muss vermittelt werden. Regelmäßiges Feedback ist ebenfalls sehr wichtig, gerade in der ersten Zeit sind die persönlichen Gespräche enorm wichtig.

Wie würden Sie das Niemerszein-Credo zur Mitarbeiterfindung und -bindung zusammenfassen?
Man muss sich anschauen, wer vor einem steht, was der Person wichtig ist und was sie individuell gerade benötigt, um an- und weiterzukommen


INFO

Die Benefits für Auszubildende

  • Gerade für den Einzelhandel bewerben sich nicht mehr so viele Menschen wie noch vor Jahren, sagt Yannik Deusing. Um das umfangreiche Ausbildungsangebot gerade für junge Menschen attraktiv zu machen, hat Edeka Niemerszein ein Paket geschnürt, das den Azubis über den Standard hinaus viel zu bieten hat:
  • Faire Bezahlung 
  • Urlaubs- und Weihnachtsgeld 
  • Sechs Wochen Urlaub
  • Freizeitausgleich nach der Schule
  • Edeka-Ausbildungsseminare 
  • Individuelle Hilfestellungen zur Prüfungsvorbereitung
  • Spezielle Prüfungsvorbereitungen durch Simulation der Prüfungssituation mit jedem Auszubildenden
  • Kooperationen mit Fitnesscentern
  • Vergünstigungen für den öffent-
  • lichen Nahverkehr in Hamburg
  • I-Pads während der Ausbildung, die nach Abschluss behalten 
  • werden können.
  • Persönliche Betreuung während und nach der Ausbildung

Der direkte Draht

Das oberste Credo, um potenzielle Bewerber für sich zu gewinnen, lautet bei Edeka Niemerszein: „Mit den Interessenten in Kontakt kommen und sie kennenlernen.“

Plakatkampagnen oder Zeitungsinserate gehören in Sachen Stellenausschreibung daher nahezu der Vergangenheit an. Der direktere Draht läuft über Social Media. Bespielt werden etwa die Kanäle Instagram und Facebook, aber auch über TikTok werben Azubis für Azubis. 

Das Bewerbungsverfahren ist entsprechend angepasst. Bewerbungen können per E-Mail eingereicht werden, genauso werden 60-sekündige Videos und Sprachnachrichten über Messengerdienste angenommen. 

 

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