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ForscherAuftritt Stephan Grünewald: Leader müssen umdenken

Junge Menschen agieren mit breiter Brust auf dem Arbeitsmarkt, zugleich erodiert die Mitarbeiterbindung, was Unternehmen unter Druck setzt. Doch Stephan Grünewald kennt die Erfolgsfaktoren für loyale Mitarbeiter.

Stephan Grünewald, Geschäftsführer, Rheingold Institut (Foto: Rheingold Institut)
Von Martina Kausch | Fotos: Rheingold Institut

Der Arbeitsmarkt ist längst ein Arbeitnehmermarkt geworden, was Firmen immer stärker zu spüren bekommen. Was macht diese ungewohnt starke Position mit dem Selbstbild eines Arbeitnehmers? 
Die gehen mittlerweile mit einem gestärkten Selbstbewusstsein ins Leben, das sehen wir auch in unseren Gen-Z-Studien. Gerade diese Menschen machen sehr früh die Erfahrung, dass sie beispielsweise in digitalen Dingen wesentlich mehr können als ältere. Daher kommen sie natürlich mit breiter Brust in den Arbeitsmarkt.

Junge Menschen haben also vielfältige Möglichkeiten. Aber das allein erklärt nicht die Probleme der Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung, oder? 
Vor allem die Corona-Zeit und das vermehrte Arbeiten im Homeoffice hat einen großen Erosionsprozess bei der Mitarbeiterbindung in Gang gesetzt. Denn: Der Teambezug ist ein wichtiger Bindungsfaktor. Jeder Zweite hat schon innerlich gekündigt oder spielt mit dem Gedanken, woanders anzufangen. 

Steuern wir auf amerikanische Verhältnisse zu, wo Arbeitnehmer x Stationen und die unterschiedlichsten Jobs in der Vita haben? Müssen Arbeitgeber sich dahingehend anpassen?
Wir beobachten zwar einen Erosionsprozess bei der Bindung, aber das ist noch kein zwangsläufiger Vorgang. Die Firmen haben es selbst in der Hand, die grundlegenden Bindungsfaktoren zu schaffen, damit die Mitarbeiter loyal und der Firma treu bleiben.

Viele Arbeitgeber haben den Eindruck, dass sich junge Menschen nicht gerne festlegen, sich alle Optionen offenhalten und 
sich daher nicht fest an eine Firma binden wollen. Stimmt das?

Bei den ersten Schritten in die Berufswelt ist das sicherlich ein Faktor. Und: Wenn sie sich einmal entschieden haben, haben sie besondere Anforderungen an Flexibilität oder Arbeiten auf Augenhöhe. Sie brauchen aber feste Leitplanken. Wenn sie das Gefühl haben, verantwortungsvoll geführt zu werden, sich aber frei entwickeln zu können, sind sie in der Regel durchaus loyal. 

Sie haben Erosionsprozesse angesprochen. Woran können Arbeitgeber Alarmsignale frühzeitig erkennen?
Die größte Gefahr ist, dass Arbeitgeber durch die geänderten Arbeitsbedingungen die Alarmsignale gar nicht mehr erkennen können. Früher spürte man schon atmosphärisch, dass etwas im Busch ist. Separiert sich ein Mitarbeiter, so ist das im Homeoffice nur sehr schwer zu bemerken.

Wichtig ist jetzt, dass Führungskräfte ihr Rollenverständnis überdenken. Sie werden nicht mehr als disziplinarische Autorität gebraucht, das können die Kollegen im Homeoffice auch allein. Sie müssen vielmehr die Unternehmenskultur, den Purpose verkörpern, sie müssen motivieren, begeistern, für gemeinschaftsbildende Events sorgen und in persönlichen Gesprächen aufmerksamer sein, um eventuelle Schieflagen erkennen zu können.

Sie haben kürzlich sechs Säulen der Mitarbeiterbindung definiert. Wie sehen diese essenziellen Erfolgsfaktoren aus?
Die Faktoren wirken alle ineinander, aber mithin am wichtigsten ist das Thema Werkstolz, das heißt das Gefühl zu haben, eine sinnvolle Arbeit zu erledigen und mit Stolz auf das Tagwerk zurückblicken zu können. Das ist seit Corona sogar noch wichtiger geworden. Weitere Punkte sind flexible Entwicklungsperspektiven und ein ausgeprägter Teambezug, wozu auch ein eigener, fester Arbeitsplatz gehören kann. Vierte Säule ist die Wertschätzung, die der Arbeitgeber für die geleistete Arbeit entgegenbringt. Leistungen müssen wahrgenommen werden. Fünfter Punkt ist der Purpose, die Sinnstiftung. Das schafft ein ideelles Band, das Menschen zum Bleiben animiert. Und zu guter Letzt ist es die individuelle Weiterbildung, die aber nicht immer auf den Job, sondern vor allem auf den Mitarbeiter einzahlen muss.


Stephan Grünewald

Der Psychologe und Autor leitet das Rheingold Institut. Hier wechselt er sich mit David Bosshart, Florian Klaus und Martin Fassnacht ab. www.stephangruenewald.de

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