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Round Table Spirituosen: Hauptsache breit aufgestellt!

RTDs werden hochwertig, leichte Alternativen wollen Meter gutmachen und für bessere Qualität wird tiefer in die Tasche gegriffen: Was bedeutet das alles für den Handel und die Sortimentsgestaltung?

Von Alexander Thürer | Fotos: Heiko Rhode

Schon immer ist sie eine Spielwiese zur Profilierung, aber selten zuvor hat sich in einer Abteilung in so kurzer Zeit derart viel bewegt, wie in jener der Spirituose. Internationale Trends verändern das Konsumverhalten, neue Produktkategorien drängen in den Markt und die Pandemie gab dem Premiumsegment einen unverhofften Boost. 
 

Das sind die Experten am Tisch: Lisa Marie de Ridder (Product Group Manager, Eggers & Franke GmbH), Tim Nentwig (Marketing Director, Diversa Spezialitäten GmbH), Torben Jansen (Head of Marketing, Henkell Freixenet), Thomas Kupich (Head of Key Accout Management, Jägermeister), Andreas Wiech (Sales Director Off-Trade & Wholesale, Bacardi GmbH), Thomas Weinberger (Marketing Manager, Destillerie Lantenhammer), Joachim Neymeyer (Geschäftsführer, Brennerei Fies), Karl-Peter Tadsen (Geschäftsführer, Getränke Tadsen GmbH)

These 1: die Dose wird Premium

Generell ist die Premiumisierung von Getränken einer der aktuellen Top-Trends, der mittlerweile auch das Ready-to-Drink-Segment erfasst hat. Jack Daniels launchte daher schon Ende 2020 den Gentleman Jack und Cola als Premium-Auskopplung der klassischen RTD-Range und damit nach eigener Aussage den ersten Super Premium Longdrink in der Dose überhaupt. Welches Potenzial birgt diese Kategorie also? Immerhin haben bereits weitere Firmen nachgezogen, etwa Bacardi mit Bombay Sapphire und Tonic aus der Dose. „Wir sehen da einen extrem positiven Trend. Gerade RTDs haben in den letzten zwölf Monaten um 30 Prozent zugelegt. Das gilt aber nicht nur im Bereich der Spirituose, sondern auch bei RTDs im Energydrink-Bereich“, stellt Andreas Wiech fest. 
 

Ähnlich sieht es Torben Jansen: „Das ist einfach die Kategorie, in der auch wir seit Jahren die größten Wachstumsraten haben.“ Warum, das können sich die Experten leicht erklären, denn der Konsument verlange öfter nach hochwertigen, convenienten Trinkerlebnissen. Das habe durch Corona und die Schließung der Gastronomie noch weiter zugenommen und der höhere Preis spiele dabei sogar eine untergeordnete Rolle. Fakt ist aber auch, so die Runde, dass der Absatz derzeit noch stärker wächst als der Umsatz.

Welche Erfahrung hat aber der Handel zuletzt in diesem Segment gemacht? „Die RTDs verkaufen sich vor allem dann gut, wenn sie im Kühlregal stehen, zum direkten Verzehr quasi. Klar ist aber auch, dass wir noch weit von den Zahlen entfernt sind, die seinerzeit zum Beispiel ein Bacardi Rigo erreicht hat. Was den Umsatz dieses Jahr aber wirklich gesprengt hat, war Aperol Spritz“, resümiert Karl-Peter Tadsen, der durchaus Unterschiede im Kaufverhalten sieht, je nachdem, was als Filler fungiert. „Bei Spirituose mit Cola reden wir vor allem über einzelne Impulskäufe am Kühlregal. Wenn es aber um Gin-Tonic-Mixes geht, reden wir über 24er-Paletten!“ 

Das wiederum belegen auch die Zahlen von Andreas Wiech, der Non-Cola-Mixern ein 43-Prozentiges Wachstum attestiert (im Vergleich zu 30 Prozent bei den Cola-Mischgetränken). Und auch Tim Nentwig erkennt einen Wandel in der Kategorie. „Es sind nicht mehr ausschließlich die ganz Jungen, die im Impulskanal und an der Tankstelle zum Verzehr on-the-go kaufen, RTDs sind heute im Relevant-Set aller Altersgruppen, und der LEH ist ein relevanter point-of-purchase. Der Markt wird heute über etablierte, bekannte Brands getrieben. Unser PITÚ performt in der Dose überdurchschnittlich gut, und dynamisiert die Stammmarke. Der Handel wird auf starke Marken setzen, Start-ups und unbekanntere Brands werden weniger Relevanz als in anderen Kategorien haben.“

These 2: Harter Start für Hard Seltzer

In Amerika glänzt das mit Alkohol aufgepimpte Wasser mit galaktischen Wachstums- und Absatzzahlen. Allein der Marktführer White Claw verbuchte dort im vergangenen Jahr einen Umsatz von 2,3 Milliarden US-Dollar. Hierzulande wünschen sich das ebenfalls viele. Aber warum ist man über das Wünschen bisher nicht hinausgekommen? „Grundsätzlich lassen sich die globalen Megatrends wie weniger Kalorien oder weniger Alkohol nicht wegdiskutieren. Daher steckt in der Kategorie ein großes Potenzial als eine neue junge, aufstrebende Kategorie. Hard Seltzer ist erklärungsbedürftig und benötigt daher viel Aufklärungsarbeit durch starke Marken“, schätzt Torben Jansen die Lage ein. Insgesamt, so die mehrheitliche Meinung der Expertenrunde, sei der Trend bei uns aber einfach noch nicht angekommen, wobei der angesprochene Erklärungsbedarf mit Sicherheit eines der Haupthemmnisse darstelle. 

Karl-Peter Tadsen hat mit der Kategorie jedoch ein ganz anderes Problem: „Sollte das ein Trend werden, kommen wir gegenüber der Politik irgendwann in die Bredouille, wenn man es als alkoholisches Getränk immer als gesund anpreist – gerade bei jüngeren Kunden. Daher haben wir für uns und unsere Märkte entschieden, dieses Segment so lange wie möglich überhaupt nicht zu bespielen!“ Klare Kante an der Küste also. Doch dieser Einschätzung wollen nicht alle in der Runde uneingeschränkt folgen. Torben Jansen sieht hier nämlich eine völlig andere Zielgruppe im Fokus, da Hard Seltzer eben nicht süß genug seien, um gerade junge Verbraucher und Einsteiger anzusprechen und auch Thomas Kupich von Jägermeister sieht hier weniger Gefahr: „Bei Spirituosen geht es ja auch immer um Lebensfreude, das gilt auch bei RTDs. Hard Seltzer sind aromatisch aber so weit weg von einer normalen Mischspirituose, dass genau dieses Bedürfnis nicht befriedigt werden kann.“ 

Ein weiteres Problem der Kategorie sei die Art der Werbung, die hierfür geschaltet werden könne. „Die Health-Claims verbieten uns eine ähnliche Auslobung der Produkte wie in den USA, das heißt wir können es dem Kunden nicht so erklären, dass es eine Alternative für ihn ist. Ich kann es nur ins Regal stellen und hoffen, dass es sich über den coolen Namen verkauft“, so Tim Nentwig. „Deshalb ist da momentan auch keine wirkliche Konsumentennachfrage da“, ergänzt Andreas Wiech, was bei den alkoholfreien Destillaten aber ganz anders sei. 

These 3: Zero Alc wird groß

Diese passen einfach viel besser zum Heal-thy-Zeitgeist und bieten den Kunden einen alkoholfreien Genussmoment, den es so noch nicht gab, so die Einschätzung der Experten. „Besonders erfolgreich sind unsere alkoholfreien Martini-Varianten“, bestätigt Andreas Wiech. Kein Wunder, bedienen sie ja gleich zwei Trends auf einmal, den zum Aperitif und den zum Genuss ohne Reue. „Das hat aber trotzdem zwei Jahre Aufbauarbeit benötigt, was zeigt: einer allein bewegt keinen Trend“, so Wiech weiter.

Laut Tomas Weinberger werden es aber vor allem die großen Marken sein, die hier den Ton angeben: „Ein alkoholfreier „Gin“ ist geschmacklich eben nicht wirklich mit dem Original vergleichbar. Deshalb haben die großen Brands schon in der Kommunikation einen Vorteil.“ Bei einem alkoholfreien Produkt mit bekanntem Namen greife der Kunde eben lieber zu, als bei etwas gänzlich Unbekanntem. Ähnlich sieht das Tim Nentwig: „Da braucht es Pioniergeist und Durchhaltevermögen, dann können es vielleicht auch Kleinere schaffen. Nur so kann das langfristig zum Thema werden.“ Momentan seien alkoholfreie Destillate aber oft noch sehr erklärungsbedürftig, so der Tenor der Runde und auch Karl-Peter Tadsen bestätigt das: „Wir haben momentan zwei alkoholfreie Gins im Angebot. Für die braucht es schon Beratung durch das Personal. Aber der Kunde, der das mal gekauft hat – für 30 Euro pro 0,5-Liter – der kauft sich auch fünf Flaschen Fever Tree dazu und zelebriert das zuhause. Und diese Kunden kommen auch wieder.“ 

These 4: Kunden zahlenmehr

Das Wiederkehren der Kunden sowie angestiegene Preisschwellen sind ohnehin klare Trends der letzten Jahre. Die Shopper geben einfach mehr Geld am Spritregal aus. Und in Zeiten von Corona beschleunigte sich diese Entwicklung weiter. Die Frage ist: Pendelt sich das nun wieder ein? „Dieses Geiz-ist-geil-Denken ist endgültig vorbei, es geht heute um Qualität, um das Thema Craft. Die Leute wollen sich was erlauben. Deshalb wird der durch Corona bestärkte Trend zu Premium nachhaltig weiterbestehen“, prognostiziert Thomas Kupich.

Besonders spürbar sei die Bereitschaft, mehr Geld auszugeben, im Bereich Whisky, so Karl-Peter Tadsen: „Kunden, die da bisher im Preisbereich bis 35 Euro unterwegs waren, sind heute bereit, bis an 80 Euro ranzugehen. Klar ist aber auch: hier brauchen wir eine Story, die wir zum Beispiel über Sonderaufbauten kommunizieren können.“ Einen Bedarf, den man auch abseits des Whiskys erkannt hat, etwa im Segment der Obstbrände. „Man will die Geschichten, die Personen kennen, man braucht spannende, innovative Produkte, dann hat man auch eine hohe Nachfrage“, so Joachim Neymeyer. „Die Kunden wollen momentan einfach genau wissen, wo das Obst herkommt, wo destilliert wird, ob die Produkte authentisch sind und Landwirte in den Produktionsprozess miteingebunden werden. Das alles sind entscheidende Fragen, die beantwortet werden müssen.“ Damit d´accord geht auch Thomas Weinberger, der bei den Kunden ein von Corona gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit erkennt. „Das haben die Leute dann oft durch die Wiederentdeckung heimischer Produkte gestillt. Wenn man das bieten kann, ist der Preis tatsächlich zweitrangig.“ 

Gerade im Bereich der Obstbrände, lässt sich zudem ein zweiter Trend erkennen, denn immer öfter kommen hier Produkte auf den Markt, die als „Spirituose“ deklariert werden. Der Vorteil: man hat aromatisch einen größeren Spielraum, da man beispielsweise mit Fruchtzusätzen arbeiten oder die Brände mit anderen Spirituosen verheiraten kann. Ein Problem für Traditionalisten, die am klassischen Obstler oder Williams hängen? „Das sind Produkte, mit denen wir einerseits ein wenig experimentieren, andererseits aber gezielt neue Verbraucher an die Kategorie Obstbrand heranführen wollen“, erklärt Joachim Neymeyer die Strategie, die man bei Fies zum Beispiel mit der Chronum-Serie verfolgt. Und die gehe erfreulich gut auf, zumal man mit der Momentum-Range darüber hinaus noch gereifte Obstbrände anbiete, die gezielt klassische Cognac- und Whiskytrinker ansprechen sollen.

Also in Zukunft alles nur noch voll auf Super-Premium und feine Experimente? Sicher nicht, denn eines hat sich auch in der Pandemie nicht geändert: „Der Handel braucht beides, hochwertige Produkte auf der einen, und Standards für die Party am Wochenende auf der anderen Seite“, konstatiert Tim Nentwig. Es gebe einfach Must-haves in Form von starken Marken, an denen man nicht vorbeikomme.
 

These 5: der POS wird digitaler

Um Premiumprodukte zu verkaufen, braucht es also starke Geschichten. Aber wie kann man am Regal solches Storytelling überhaupt betreiben? „Da braucht es ein Zusammenspiel von Industrie und Handel“, stellt Andreas Wiech fest. „Wir müssen die Kommunikation gegenüber dem Kunden leisten, das können wir nicht allein am Regal konzentrieren. Das muss schon vorher passieren, etwa in der Gastronomie, dem Digital Commerce und Out-of-home-Kommunikation.“ Dafür brauche es einerseits hohe Investitionen, andererseits aber auch den Handel, der Produkte etwa in Zweitplatzierungen anbiete. 

„Und es braucht immer mehrere starke Player, um ein Thema zu bewegen. Einer allein schafft das in der Regel nicht“, ergänzt Tim Nentwig. Klar ist aber, dass Corona auch bei diesem Thema die Spielregeln nachhaltig verändert hat. Bestes Beispiel hierfür ist der Wegfall klassischer Tasting-Aktionen. Aber jede Krise birgt auch Chancen, so auch in diesem Fall: „Es haben sich ein paar neue Möglichkeiten eröffnet, gerade im Off-Trade-Bereich, da der On-Trade als Band-Building-Plattform eineinhalb Jahre weggefallen ist. Und wenn man sich überlegt, dass in einem Supermarkt wöchentlich bis zu 25.000 Shopper einkaufen, dann sind das 25.000 mögliche Brand-Kontakte. Da kann man unglaublich viel Awareness kreieren“, erkennt Thomas Kupich und erhält sofort Unterstützung: „Wir haben bei Cointreau und The Botanist zuletzt eine Zweitplatzierungsoffensive im LEH durchgeführt, weg von Verkostungen, hin zu Sampling-Days, wo wir die den Kunden die Anwendung erklärt haben. Das fand der Handel super und das ist für uns viel wertvoller, als dem Konsumenten im Vorbeigehen eine schnelle Kostprobe einzuflößen“, berichtet Lisa-Marie deRidder. 
 

Eine Überlegung wert sei auch, Produkte einmal in anderen Umfeldern zu platzieren. „Wir sind mit unserem Eierlikör beispielsweise in Bäckereien gegangen und haben Kunden dort erzählt, was man damit alles anstellen kann. Das hat sehr gut funktioniert“, so Torben Jansen. Man müsse sich zudem auf regionale Unterschiede einstellen und einlassen, ergänzt Tim Nentwig. „Es wird alles immer kleinteiliger, weshalb wir mehr kanalspezifische Angebote brauchen und viel näher an den Händler in seiner jeweiligen Spezialsituation heranmüssen. Da braucht es eine engere Betreuung.“

Aber wie sieht es mit neuen, digitalen Tools zur Kommunikation am PoS aus, etwa QR-Codes mit Tasting-Notes und Bewertungen zum Produkt? Das könne ein Mittel sein, gerade jüngere Kunden abzuholen, die digital affiner sind. Der QR-Code erlebe ja gerade sein großes Comeback. Ein vollwertiger Ersatz für die Beratung im Markt, könne das aber nicht sein, so die Meinung der Experten, die das eher als Ergänzung sehen. Für den Handel mit Spirituosen braucht man eben auch in Zukunft Herz und gute Leute!

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