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RUNDSCHAU-Reportage: Neue Märkte für das Land

Ladestationen fürs Smartphone, WLAN und Wasser umsonst, dazu Convenience vom Feinsten – neue Kleinflächen müssen sich an die Bedürfnisse der Kunden anpassen. Mit Konzepten voran gehen oft kleine Player, der Wettbewerb mit Nicht-Handelsunternehmen ist eröffnet. Die RUNDSCHAU auf der Suche nach dem Nahversorger, der alle Generationen einlädt.

Von Martina Kausch | Fotos: Tegut, Bünting, Lidl, Wanzl, RUNDSCHAU

Das ist die Mutter aller Kleinflächen: ein Markt an einer Straßenecke in Berlin Kreuzberg, Bushaltestelle direkt vor dem Haus, die Kneipe an der Ecke direkt gegenüber. Vor dem kleinen Eingang stapeln sich im Außenbereich rechts und links frisches Obst, Gemüse in Paletten, ein paar Blumen und ein großer Wandaufsteller mit Topfkräutern zu einem kurzen Weg des Grüns. Eine Markise schützt die Ware, stilvolle Laternenlampen beleuchten schummrig. Innen reiht sich in modernen und gepflegten Regalen vom Boden bis zur Decke ein Sortiment von Apfelsaft bis Zwiebelsoße, Bier aus der Hauptstadt und Brot aus Edekas Eigenproduktion. Dazu Musik für die Stimmung und eine Kasse, an der man bar zahlt, und das bis 21 Uhr. Nah und gut steht auf dem Eingangsschild – dass man es mit Edeka zu tun hat, erkennt der erfahrene Kunde eventuell, wenn er sich von der Seite nähert, blaue Schrift auf gelbem Grund und „Wir lieben Lebensmittel“ liest. Kein Logo, aber eine gute Adresse, „seit 1957“ steht neben dem Schriftzug.

Leitungswasser und Mikrowelle

Szenenwechsel nach Fulda in die Bahnhofstraße. 1957? Nein, März 2021. Ein kleiner urbaner Laden im Tegut-typischen Orange. Das hessische Handelsunternehmen, das Bio und Regionalität zu seiner DNA zählt und damit in seinen Märkten punktet, hat mit dem Konzept Tegut Quartier die geänderten Bedürfnisse vieler (jüngerer) Kunden im Blick. Sie wollen Bio und Regional, aber eben auch ein anderes Denken – hier geht das Team um Gründerenkel Thomas Gutberlet voran. Wo bitte kommt ein Handelsunternehmen sonst auf die Idee, nicht nur Mineralwasser in Flaschen zu verkaufen, sondern die Kunden auch eigene Flaschen mit Leitungswasser füllen zu lassen – und die Flaschen dafür sogar zur Verfügung zu stellen? Der Name des Konzepts ist Programm: Bei Tegut Quartier geht es um Hochfrequenzstandorte. Der Markt? Ein Hybrid aus Supermarkt, Bistro, Kaffeebar und urbanem Servicedienstleister. Man kann sein Smartphone aufladen, Kaffee trinken oder mitnehmen und vor allem: schnell Essen organisieren, das es nicht überall gibt. „Im Tegut Quartier kann sich jeder ganz einfach frisch und ausgewogen ernähren. Manche Produkte sind komplett verzehrfertig, andere können vor Ort mit minimalem Aufwand fertig zubereitet werden. Hierfür stehen Mikrowellen, eine Besteck- und Servicestation und sogar ein Kontaktgrill zur Verfügung“, erklärt Thomas Stäb, Leiter Vertrieb Convenience-Märkte bei Tegut. Bio für die Mikrowelle – wer da Gegensätze erkennt, muss Gedanken wie „das Beste aus zwei Welten“ wohl noch pflegen lernen. Aber: Der Kunde entscheidet.

„Lost in Transaction“?

Gelernt hat Tegut jedenfalls. Laut der Studie „Lost in Transaction“ von Paysafe haben vor allem jüngere Kundinnen und Kunden während der Pandemie ihr Einkaufs- und Bezahlverhalten besonders stark umgestellt. Nur 17 Prozent der 18- bis 24-jährigen Deutschen haben im Frühjahr in Geschäften eingekauft und bar bezahlt, so die Studie. Gerne wird also online bestellt, und gerne werden digitale Paymentlösungen genutzt. Die Studie wurde von einer der nach eigenen Angaben führenden Zahlungsplattformen beauftragt, aber andere Untersuchungen bestätigen die steigende Affinität zum digitalen Ordern, Bezahlen und Tracken. Wenn man nun das Büro mittags aber doch einmal zum Frischeluftschnappen verlassen möchte, sollte man die neuen Shoppingvorlieben auch beim Organisieren der Mittagsstärkung leben dürfen: Also per Smartphone zum Live-Snack samt Akkuladung und etwas Verzichtpflege am Leitungswasserhahn – tickt so die Zukunft der Kleinfläche? „Lost in Transaction“ sieht voraus, dass viele Jüngere nach der Pandemie ihr Verhalten im Wesentlichen beibehalten werden.

Mehr Bequemlichkeit

Die Studie „Trends im Handel 2025“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beschäftigt sich auch mit der Frage, wie der Lebensmittelhandel in Zukunft funktionieren wird. „Die Zahl der Einwohner in Deutschland nimmt ab, die Menschen werden immer älter, sie leben in immer kleineren Haushalten und es zieht sie immer mehr in Städte. Dort leben sie gern allein und nutzen ihr Mobiltelefon, um das Leben zu organisieren“, heißt es dort zusammenfassend. Kochen lohne sich für Menschen oft nicht mehr – also muss Konvenientes her. Die Folge: „Supermarkt und Gastronomie wachsen zunehmend zu einem Betriebstyp zusammen.“ Durch die Pandemie hat sich diese Entwicklung nicht entscheidend verändert, denn es wird zwar mehr gekocht, aber dankbar ist der Kunde angesichts des alltäglichen (Homeoffice-) Stresses auch für alles, was in diesen Zeiten Bequemlichkeit bietet, andererseits auch noch die Ansprüche nach Bio und Regionalität erfüllt.

Anforderungen an Innenstadtlagen

Die Studie geht auch auf die Standortfrage ein. „Nicht nur der Stadtrand mit vielen Parkplätzen ist Ziel der Expansionspläne, auch die Innenstadt rückt hier immer mehr in den Fokus.“ Daraus ergäben sich nicht nur neue Fragestellungen rund um die bauliche Gestaltung der Märkte, sondern auch politische Hürden. Klar ist: Die Innenstadt stellt andere, und oft schwieriger zu erfüllende Anforderungen an Supermarktbetreiber, was beispielsweise Anliefermöglichkeiten betrifft. Ein Beispiel: Für den neuen Interspar in Wien am Schottentor, eine 1.770-Quadratmeter-Fläche, hat die Stadt Wien dem Unternehmen einen einzigen Parkplatz für die Anlieferung bewilligt.

Dass die Ansprüche des Kunden an die Transparenz bei Inhaltsstoffen und Herstellungsmethoden steigen, ist bekannt. Hier sieht die Studie deutliche Vorteile für selbstständige Kaufleute: „Echte Regionalität kann jedoch letztlich nur der Kaufmann vor Ort umsetzen. In der Regel kennt nur er die Landwirte und Anbaubetriebe persönlich und kann mit ihnen Lieferverträge abschließen.“

Viele Veränderungen, viele neue Anforderungen. Doch die meisten Handelsunternehmen tun sich mit wirklich neuen Konzepten schwer. Kleinflächen in Innenstadtlage sind oft einfach klein, nicht besonders hipp gemacht und bieten einfach mehr Convenience an – Wertschöpfung alter Berechnung scheint hier der einzige Gedanke.

On top ein Automat

Nach diesem Motto funktioniert seit 2019 der Lidl-500-Quadratmeter-Markt in der Zweibrückenstraße am hochpreisigen Isartor in München. Als Serviceleistung on top betrachtet man eventuell noch einen Automaten nebenan. Büntings 24/7-„Shop“ wird aus dem angrenzenden Markt namens Combi City versorgt – der Automat wird einfach von dort aus nachgeladen, was den extra Servicedienst erspart. Automaten als praktische (Reise-) Versorgungslösung zu nutzen ist auch das Konzept der Deutschen Bahn: Teilweise zusammen mit lokalen Lebensmittelhändlern und Automatenherstellern bringt sie Versorgungsstationen als „24/7 ServiceStore“ auf Bahnsteige. Doch ist das tatsächlich eine Geschäftsidee der Zukunft, die guten alten Automaten mit digitaler Order- und Bezahltechnik aufzupeppen?

Ministore im Hightech-Format

Einen Schritt weiter geht Wanzl: Automaten kann man von dem für seine Einkaufswagen und -regale bekannten schwäbischen Metallverarbeiter schon länger bekommen – und nun gibt es ein Haus dazu. „My Mobile Store“ ist ein „Hightech-Ministore“, eine automatisierte Kleinfläche. Laut Unternehmen eignen sich die digitalen Ministores besonders für Firmengelände, Universitäten oder ländliche Regionen. Bernd Renzhofer, Geschäftsführer Vertrieb bei Wanzl, sieht das Unternehmen „als ganzheitlichen Systemanbieter“ und möchte „die fortschreitende Digitalisierung des Handels mitgestalten und unseren Kunden das bestmögliche Einkaufserlebnis bieten“. Ist damit der Wettbewerb mit Handelsunternehmen eröffnet?

Die Cloud und das Instore-Radio

Logisch, dass Wanzl einen Mobile Store auf dem eigenen Firmengelände des Werks 4 in Leipheim aufgestellt hat. „Der Kunde muss sich lediglich um die rechtlichen und baulichen Voraussetzungen kümmern, ansonsten wird das gesamte Modul inklusive Inneneinrichtung von Wanzl geliefert, installiert und ist in wenigen Tagen betriebsbereit“, wirbt Wanzl. In diesem Minimarkt der besonderen Art sorgt dann auch eine von Wanzl selbst entwickelte digitale Steuerung über eine Cloud für die Funktionen. Das System Wanzl Connect steuert den Zutritt über die automatische Schiebetür und die Temperatursensoren, die Beleuchtung, das Instore-Radio und die Sicherheitskameras. „Über die cloudbasierte Plattform werden die Geräte ständig kontrolliert, um Ausfälle und Störungen schnellstmöglich zu erfassen. Zusätzlich kann das System untypisches Verhalten von Personen erkennen, welches auf einen Einbruch oder ein medizinisches Problem hinweisen könnte“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Keine Frage, das ist Kleinfläche ganz modern – von einem Metallverarbeiter

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