Am Markt der Schnelllieferdienste scheiden sich die Geister. Einerseits übernahm Getir den einstigen Konkurrenten Gorillas, zudem haben sich die Dienste Flink und Wolt zu einer deutschlandweiten Partnerschaft zusammengeschlossen. Über die Hintergründe wird noch spekuliert, doch es kursiert die Annahme, dass das Gorillas-Geschäft „höchst unrentabel“ gewesen sei und der Dienst Geld verbrannt habe.
Auch bei Flink war offensichtlich nicht alles, um es mit der Farbe des Unternehmens zu sagen, ein rosarotes Lutschbonbon: Businessinsider berichten, dass es die österreichische Tochter nicht geschafft habe, auf absehbare Zeit profitabel zu arbeiten. Flink Österreich meldete deshalb Mitte Dezember Insolvenz an – mit einem zweistelligen Millionenverlust. Und Amazon hat Ende Januar den Mindestbestellwert für Fresh-Bestellungen von einst 20 auf 35 Euro fast verdoppelt. Zudem erhöhten sich einige Liefergebühren.
Das alles zeichnet ein eher trübes Bild der Branche. Doch Marktbeobachter wie der E-Food-Experte Matthias Schu, der E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern lehrt, glauben weiterhin an die Dienstleister. „Das wirkliche Potenzial liegt immer noch auf dem Supermarkteinkauf“, sieht er E-Food als Alternative zum klassischen stationären Einkauf.
Schu denkt sogar noch weiter, sieht langfristig zwei Modelle als realistisch: „Einmal einen Basisservice mit Lieferung am gleichen oder nächsten Tag mit Fokus auf größere Warenkörbe wie es Oda, Knuspr, Picnic, Rewe oder Bringmeister bereits vormachen. Zugleich sehe ich Chancen für Premiumservices, bei denen zwar tendenziell die Warenkörbe klein sind, die Verbraucher aber bereit sind, für eine ultraschnelle Zustellung Extrakosten zu bezahlen“, so seine Einschätzung (s. Interview unten).
Der QC-Boom hält an
Eine Analyse von NielsenIQ stellt fest, dass der Online-Lebensmittelhandel aktuell vor allem durch neue Quick-Commerce-Angebote mit jedem Quartal deutliche Zuwächse verbuchen kann. Im zweiten Quartal 2021 entfielen lediglich acht Prozent der Lebensmitteleinkäufe im Internet auf die schnellen Lieferdienste. Ein Jahr später hat sich der Anteil bereits auf 24 Prozent verdreifacht.
„Quick Commerce konnte während der Covid-19-Pandemie einen signifikanten Anstieg verbuchen, und manche Anbieter versprechen gar eine garantierte Lieferung innerhalb von zehn bis 30 Minuten. Daher erschließen Anbieter vor allem neue Käufergruppen, denen die schnelle Lieferung wichtig ist“, kommentiert Frank Küver, Geschäftsführer NielsenIQ. Vor allem junge Konsumenten schätzen die Vorzüge des QC, so die Marktforscher.
Die Zukunft des E-Food
Einkaufen gehen oder bringen lassen? Diese Frage stellt sich derzeit nur für einen kleinen Teil der Kunden. Fakt ist nämlich: Bis heute bleibt die Lieferung von Lebensmitteln nach Hause ein Nischengeschäft. Aber wird es das auch bleiben? Der Blick in die Glaskugeln der Marktforscher ist da nicht ganz klar. Zwischen 16 und 19 Prozent soll der Marktanteil des deutschen E-Food-Marktes im Jahr 2030 betragen. Diese Prognose gaben 2018 die Unternehmensberater von Oliver Wyman.
Deutlich vorsichtiger äußerten sich 2020 die Experten des Instituts für Handelsforschung: Sie halten einen Bereich zwischen 5,2 und 9,1 Prozent für realistisch. So oder so – vom jetzigen Markt-anteil von um die vier Prozent ist das alles noch sehr weit entfernt. Natürlich: E-Food umfasst das gesamte Onlinegeschäft und nicht nur die Schnelllieferdienste.
Doch rein auf die Letzteren bezogen, scheint die Zukunft nicht rosarot. Erst recht nicht unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Aufgrund der massiv gestiegenen Inflationsraten sehen die Berater von Roland Berger die Quick-Commerce-
Anbieter mit Herausforderungen konfrontiert: Verbraucher würden bereits jetzt ihre Ausgaben für spontane und emotionale Einkäufe reduzieren und ihre Einkaufsaktivitäten deutlich vorsichtiger planen.
„Infolgedessen erwarten wir, dass Quick-Commerce-Akteure ihre Umsatzprognosen in naher Zukunft zurückschrauben werden“, heißt es in einer im Dezember 2022 veröffentlichten Studie. Mehr noch: In Kategorien mit einer größeren Anzahl von Akteuren, wie zum Beispiel Lebensmittel, sei eine verstärkte Marktkonsolidierung wahrscheinlich, wenn Akteure fusionieren oder bestehende Einzelhändler diese aufkaufen. Zusammenfassend erwartet Roland Berger, dass ein Großteil des heutigen Hypes nachlassen wird. Überleben würden nur die effizientesten Akteure, diejenigen, die ihre Kosten niedrig halten und an ihrer Profitabilität arbeiten.