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Mehr Essen retten im Handel

Im deutschen Lebensmittelhandel landet jährlich tonnenweise Nahrung im Abfall. Doch einige Märkte und Organisationen wollen diese Verschwendung beenden. Neben einem veränderten Einkaufsverhalten sorgen sie dafür, dass genießbare, aber nicht mehr verkäufliche Waren weiterhin den Weg zum Verbraucher finden.

Foto: Lidl
Von Emmelie Öden | Fotos: Lidl

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel – damit könnte man mindestens 33 Millionen Menschen in Deutschland ein ganzes Jahr satt bekommen. Stattdessen landete diese Menge 2020 in den deutschen Mülltonnen, rund die Hälfte davon noch genießbar. Sieben Prozent dieser Abfälle hat der Handel zu verantworten, pro Lebensmittelhändler sind das im Durchschnitt rund 22 Tonnen pro Jahr. 

Obwohl der Anteil im Gegensatz zu privaten Haushalten (59 % der Abfälle) gering ist, hat der einzelne Händler einen vielfach größeren Hebel als der einzelne Verbraucher. Damit ist klar: Der Handel ist in der Verantwortung, Lebensmittelverschwendung in den Griff zu bekommen. Neben einem bedarfsgerechten Einkauf ist es vor allem die Weitergabe von Lebensmitteln, die zwar nicht mehr verkaufsfähig, aber noch genießbar sind. Wie kann das in der Praxis aussehen?

Eine Pionierorganisation gegen Lebensmittelabfälle sind seit 1993 die Tafeln. Sie nehmen deutschlandweit Lebensmittel an, die noch verwendbar, aber nicht mehr als verkehrsfähig eingestuft sind, und verteilen sie kostenlos an von Armut betroffene Menschen. Die Spenden stammen zum Großteil von Supermärkten und Discountern. Diese stellen an den vereinbarten Abholterminen selbst Kisten mit Spenden zusammen, in denen vor allem Obst und Gemüse, Backwaren und Milchprodukte landen. Etwa 217.000 Tonnen Lebensmittel retten die Tafeln gemeinsam mit den Händlern damit jedes Jahr. Auch Dennʼs Biomarkt arbeitet mit den Tafeln zusammen. Für Geschäftsführer Joseph Nossol ist es insbesondere die geringe Quote an Lebensmittelabfällen, die ihn antreibt: „Schon heute liegen wir hier im unteren einstelligen Prozentbereich und streben weiter nach Verbesserung, um diese Quote zu minimieren.“

Kostenreduktion & Rechtssicherheit

Auch die Organisation Foodsharing sorgt dafür, dass etwa Lebensmittel mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) weitergegeben werden. Die von den Händlern aussortierten Waren holen die ehrenamtlichen Foodsaver ab und verteilen sie beispielsweise an Vereine, Suppenküchen und auch an die Tafeln, als deren Ergänzung und Unterstützung sich Foodsharing sieht. 

Knapp 12.000 Betriebe kooperieren regelmäßig mit der Initiative, darunter die Bio Company, die Foodsharing schon seit der Gründung 2012 unterstützt. Durch die Kooperation spare die Bio Company, so Geschäftsführer Georg Kaiser, Kosten für die Müllentsorgung. Ein entscheidender Vorteil für Händler ist zudem, dass Foodsharing mittels einer Rechtsvereinbarung die volle Verantwortung für die weitere Verwendung der Lebensmittel übernimmt. So nehmen sie dem Händler das Risiko, im Schadensfall haften zu müssen, wenn er ein Produkt mit abgelaufenem MHD verkauft. Doch so weit kommt es selten, da viele Verbraucher nicht wissen, dass Waren mit abgelaufenem MHD meist noch genießbar sind, und sie gar nicht erst kaufen.

Mit der Initiative „Lebensmittelkennzeichnung“ sucht die EU-Kommission bereits Lösungen für diese Probleme. Im Raum steht etwa der Vorschlag, das Mindesthaltbarkeitsdatum für lange haltbare Produkte wie Nudeln oder Kaffee abzuschaffen, doch eine konkrete Umsetzung ist noch nicht in Sicht. Derweil werden einige Märkte bereits selbst aktiv: So versieht die Bio Company die Produkte ihrer Eigenmarke mit dem Label „Oft länger gut“, zusätzlich zum Mindesthaltbarkeitsdatum.

 

Kurzes MHD – kleiner Preis

Eine weitere und mittlerweile häufige Strategie im Markt ist es, Ware mit kurzem Mindesthaltbarkeitsdatum zu einem reduzierten Preis gebündelt anzubieten. Bei Kaufland etwa sind es die „Ich bin noch gut“-Ecken, bei Lidl gibt es ab Sommer 2022 die „Rettertüte“ mit weniger perfektem Obst und Gemüse.

Doch auch entsprechende Ware zu verschenken ist eine Option, wie zum Beispiel das Edeka Center Weserpark zeigt: In einem Regal unmittelbar hinter der Checkout-Zone finden Kunden kostenlose Lebensmittel, deren MHD am gleichen Tag abläuft. Ein Angebot, das sie gerne annehmen: Bereits eine Stunde nach dem Auffüllen ist das Regal meist leer. Auch für den Markt hat das Vorteile: „Einige Verbraucher nutzen die Möglichkeit, Produkte zu testen, die sie bisher nicht auf dem Einkaufszettel hatten“, berichtet Marktleiter Rainer Ehme. 

Das Regal zu bestücken, zu pflegen und vor allem die Ware sorgfältig zu prüfen bedeute zwar einen Mehraufwand im Vergleich zur Entsorgung, so Ehme. Allerdings überwiegt für ihn der Vorteil, einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung zu leisten.
 

Hilfe vom E-Commerce

Wer seine Lebensmittelretter-Aktionen auslagern oder auch ergänzen will, setzt auf Too Good To Go: Über die App können Händler überschüssige oder mangelhafte Waren im Paket zum reduzierten Preis anbieten. Kunden bestellen die Produktpakete via App und holen sie vor Ort selbst ab.

Zu den Teilnehmern gehört zum Beispiel seit März 2021 der Discounter Netto, der bundesweit etwa 13.000 Tüten pro Monat über die App verkauft. Darin landen vor allem Frischeprodukte, Obst, Gemüse und Backwaren, die kurz vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen oder zum Beispiel eine beschädigte Verpackung haben. Die Zusammenstellung sowie der Verkauf mussten neu in den Ablauf der Märkte integriert werden, während die Zusammenarbeit sich finanziell nicht auszahle, heißt es vom Unternehmen. „Wir sind jedoch davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit Too Good To Go einen wichtigen Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung leistet.“ 

Auch in den Dennʼs Biomärkten können Kunden vorbestellte Too-Good-To-Go-Tüten abholen. Hier wurden die Teams mit speziellen Schulungen auf die Handhabung im Markt vorbereitet. „So lassen sich die App-Bestellungen gut in den Ablauf eines Markttages integrieren“, erklärt Geschäftsführer Nossol. Neben dem wichtigsten Motiv, Lebensmittel zu retten, beobachtet Nossol zudem, dass Denn’s mit der Kooperation neue, vor allem jüngere Zielgruppen erreicht. 

Egal ob im eigenen Markt, in der App oder an einer Ausgabestelle: Wer nicht mehr verkäufliche Lebensmittel spendet oder reduziert verkauft, kann Entsorgungskosten sparen, neue Kunden gewinnen und sorgt vor allem dafür, dass wertvolle Lebensmittel nicht verschwendet werden.


INFO

Food Waste reduzieren: So geht’s!

  • Produkte, deren MHD kurz vor dem Ablauf steht, an die Tafeln spenden. Das geht auch über eine Kooperation mit Foodsharing. Ehrenamtliche Foodsaver holen die Waren im Markt ab und verteilen sie etwa an Vereine, Suppenküchen und Tafeln. Der Vorteil: Das senkt Kosten für die Müllentsorgung, und Foodsharing übernimmt mittels einer Rechtsvereinbarung die volle Verantwortung für die weitere Verwendung der Lebensmittel. Das entbindet den Händler von der Haftung.
  • Eigenmarken mit Labels wie „Oft länger gut“ zusätzlich zum MHD versehen.
  • Ware mit kurzem MHD zu einem reduzierten Preis gebündelt anbieten, zum Beispiel mit „Ich bin noch gut“-Ecken oder „Rettertüten“.
  • Lebensmittel, deren MHD am gleichen Tag abläuft, im eigenen Markt verschenken, etwa in einem gesonderten Regal unmittelbar hinter der Checkout-Zone.
  • Kooperation mit Too Good To Go: Über die App können Händler überschüssige oder mangelhafte Waren im Paket zum reduzierten Preis anbieten. Kunden bestellen die Produktpakete via App und holen sie vor Ort selbst ab.

 

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