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Hubertus von Lobenstein: Kurze Unterbrechung

Moderne Werbung ist in jedweder Hinsicht korrekt, mafo-basiert und abgesichert, stromlinienförmig designt – und geht spurlos an uns vorüber. Warum Werbung wieder merkwürdig werden muss.

Von Hubertus von Lobenstein | Fotos: Serviceplan

Kürzlich war ich mal wieder im Kino. Loge Zoopalast, Joker Teil 2, Samstagabend 20:30. Und um 20:28 stand ich völlig entspannt in einer Schlange und wartete auf mein Popcorn. Kein Problem, war ja nur die Werbung, die ich verpasste. Und da gibtʼs Wichtigeres, oder?

Das war mal anders. Da ging ich extra pünktlich ins Kino, um keinesfalls die Werbung zu verpassen. Von Marlboro bis Audi, von Langnese bis Karlsberg Urpils – Werbung war ein Teil des Erlebnis Kino. Da erzählte man sich tatsächlich am Montag an der Kaffeemaschine, was für großartig emotionale Marlboro-Commercials man am Wochenende gesehen hatte, mit welcher cleveren Installation am Flughafen Sixt wieder für Aufsehen sorgte und wie viel Spaß es machte, tatsächlich die Long-Copy auf der Mercedes-Doppelseite zu lesen, um zu erfahren, warum der Mercedes-Stern „das meistgebrauchte Ersatzteil“ bei Mercedes ist. Marken durften mich gern mit ihren Geschichten unterbrechen.

Menschen warten nicht auf unsere Botschaften. Oder sehnen sich gar nach einer tiefen Beziehung mit uns. Sie sind nämlich mit etwas Wichtigerem beschäftigt: ihrem Leben. Ob uns das nun passt oder nicht, Marken müssen Menschen in ihrem Leben unterbrechen. Und zwar so, dass sie uns danach nicht vor Wut endgültig sperren, sondern uns die Erlaubnis erteilen, ihnen weiterhin unsere Geschichten erzählen zu dürfen.

Bertolt Brecht wusste, wie es geht Bertolt Brecht, der wichtigste deutsche Theaterdramaturg des 20. Jahrhunderts, hielt es nicht nur für zulässig, sein Publikum zu unterbrechen. Für ihn waren Unterbrechungen zwingend nötig, um seine Vorstellung von Theater umzusetzen. Für Bertolt Brecht sollte Theater Menschen zu neuem Denken und Handeln führen. Und nicht, wie bis dahin, einfach nur Genuss in einem bequemen Sessel sein. Also ließ Brecht seine Schauspieler direkt das Publikum ansprechen, ließ sie im Zuschauerraum umherlaufen, ihre Charaktere während des Stücks wechseln usw. All das waren Unterbrechungen der üblichen Theaterroutine. Und dienten dem Zweck, die Zuschauer wach zu halten. Wach zu halten für die Botschaft des Stücks, die sie dann mit nach Hause nahmen und nicht nach dem letzten Vorhang einfach vergaßen.

Ach ja, und noch etwas: Diese neuen Mittel der Inszenierung entstanden nicht durch Komitee-Entscheidungen, sondern weil Brecht daran glaubte und aus seiner Überzeugung und seinem Mut so neue Ideen entstanden.

Richtig. Oder richtig gut?

Wir Markenexperten haben von Brecht nichts gelernt. Oder wollen es nicht. Wir sind nicht (mehr) gut im positiven Unterbrechen. Und weil Werbeunterbrechungen in jeder Form gerade nicht den besten Ruf genießen und wir uns als Verantwortliche insgeheim vielleicht sogar ein bisschen dafür schämen, tun wir einfach so, als ob wir es gar nicht mehr nötig haben zu unterbrechen. Schließlich ist nur schlechte Werbung eine Unterbrechung. Und „native“ Werbung, Content- und Engagement-Marketing und wie die anderen kleinen Ferkel heißen, die jeden Tag durch die digitalen Plattformen des Marketingdorfs gejagt werden, sind ja etwas ganz anderes.

Und wenn wir dann doch mal mit einer „klassischen“ Kampagne unsere Zielgruppen in ihrem Leben unterbrechen wollen, dann merkt man den meisten davon an, dass es vor allem darum ging, es „richtig“ zu machen. Im Briefing eingefordert, an jeder Headline-Silbe diskutiert und am Ende mit Mafo mehrfach davor, währenddessen und danach überprüft. So lange, bis es nicht mehr richtiger geht. So lange, bis uns keiner mehr ablehnt.

Und genau da liegt das Problem. Sie ist richtig. Werbung des bestmöglichen kleinsten gemeinsamen Nenners. Aber eben deshalb nicht merkwürdig. Also nicht würdig, sie sich zu merken. Werbung, die niemand bemerkt. Die nicht wirkt. Obwohl sie doch so richtig ist. 

Am Anfang steht Aufmerksamkeit

Die Statistik sagt, dass wir täglich mehr als 1.000 Werbebotschaften ausgesetzt sind. Über OoH, TV, Radio, Social Media usw. Gesendet von Marken, über Bande von Influencern und anderen. In jedem Fall viel zu viel, um sich alles zu merken. Aber überprüfen Sie sich mal selbst. Welche Markengeschichten sind Ihnen gestern aufgefallen?

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Hubertus von Lobenstein

hat von Springer & Jacoby (MD) über Saatchi & Saatchi bis TBWA (CEO) und seit 2017 in der Serviceplan-Gruppe (MD) fast 40 Jahre in der großen, weiten Werbewelt zugebracht. Und das immer mit demselben Ziel: Marken mehr wert zu machen. Heute ist er Chief Client Officer des Hauses der Kommunikation der Serviceplan-Gruppe in Berlin. Erst ganz „klassisch“ und dann immer digitaler geht es ihm bis heute darum, Marken nachhaltig merkwürdig (würdig, sie sich zu merken) zu machen und sie so in den Köpfen und Herzen der jeweiligen Zielgruppe zu verankern.
 

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