Artikel

Ungleicher Kampf am PoS

Der diesjährige POS-Marketing-Report hat das veränderte Verhalten der Shopper analysiert. Dabei wurde klar: Marken müssen sich heute den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen, um sich zu behaupten.

Von Alexander Thürer | Fotos: Adobe Stock/Yevhen

Die Ergebnisse des POS-Marketing-Reports 2023, den die RUNDSCHAU zusammen mit UGW und POSPulse erstellt hat, zeichnen ein vielschichtiges Bild der derzeitigen Situation im Handel. Zum einen haben die Preissteigerungen für Verwerfungen gesorgt, die sich vor allem in einem spürbar disziplinierteren Einkaufen der Kunden auswirken, die es zudem häufiger in die Discounter zieht.

Das noch zu Corona gelebte „Ich gönne mir heute was“ hat spürbar nachgelassen. Damit zusammen hängen auch die Umsatzgewinne vieler Handelsmarken, gerade gegenüber etablierten Markenartikeln, die hierdurch zunehmend unter Druck geraten. Grund hierfür ist jedoch nicht allein der Preisvorteil der Eigenmarke. Auch deren Look und Marketing werden immer weiter professionalisiert.


"Kunden werden immer mehr zu hybriden Shoppern, die auch digitale Angebote nutzen."

Heike Berghoff, Shopper Marketing, Essity


Zu den Ergebnissen des Reports zum veränderten Shopperverhalten passt auch eine weitere Erkenntnis: Mehrwertaktionen wie Aktionspreise, Sondergrößen, Proben, Bundles oder Multibuy stehen bei den Kunden jetzt besonders hoch im Kurs. Das bedeutet jedoch nicht, dass man sich nun als Händler in bedingungslose Rabattschlachten stürzen muss. Das Einkaufserlebnis ist nach wie vor wichtig, denn die Kunden haben nach wie vor hohe Erwartungen an die Inszenierung am PoS.

Genau hier wird Brand Building daher immer wichtiger, um emotionale Kaufimpulse zu setzen.Im gleichen Zug gewinnt die digitale Kommunikation von Marken und Händlern am PoS immer stärker an Bedeutung. Und über dieser veränderten Großwetterlage schwebt nach wie vor das omnipräsente Thema der Nachhaltigkeit, das für Kunden am PoS ein relevantes Thema bleibt – auch wenn einem Gros der Shopper derzeit ein günstiger Preis für die Kaufentscheidung wichtiger ist.

Strategien gegen Kaufzurückhaltung

Die erste Frage an die Expertenrunde lautete daher auch: Wie können Handel und Industrie der gestiegenen Kaufzurückhaltung der Kunden begegnen, welche Strategien braucht es hierfür nun am PoS? 

Ein wichtiger Faktor, so die Experten, sei die Emotionalisierung der Verkaufsflächen, etwa durch Sonderaufbauten, bei denen nicht einfach nur der günstigste Peis ausgestellt werde, denn mit Preiseinstiegsware verführe man den Kunden nicht dazu, mehr zu kaufen, als er auf dem Zettel habe. Es gehe darum, den Kunden mit schönen Dingen zum Kaufen zu animieren, das Besondere anzubieten. Entscheidend sei es, die Aufenthaltsqualität so hoch wie möglich zu halten.

Klar ist aber auch: Das Marketing am PoS hat sich seit Corona und der daran anschließenden Ukrainekrise für viele Marken grundlegend verändert. Waren zuvor beispielsweise klassische On-Pack-Aktionen sehr beliebt, sei das nun schon aus Kostengründen nur schwer umsetzbar, da Preise für Zusatzverpackungen oder Glas enorm gestiegen seien. Eine Lösung, die Marken hier gehen können: den Kunden zum Beispiel über Live-Events direkt abholen. Hier können beispielsweise Festivaltickets über das Produkt verlost werden – und das sogar in Abhängigkeit von der jeweiligen Marke nur in bestimmten Regionen. Aus „Social-Media-Marketing“ werde nun häufig „Social-to-Retail-Marketing“.

Produktseitig werde es zudem immer wichtiger, den Nutzervorteil (Value for Money) herauszustellen und mit Verwendungs- oder Konsumanlässen zu spielen. Das kann auch saisonal angepasst werden. Erfolgreich seien auch Couponig-Aktionen oder Gewinnspiele. 


"Marken geben Kunden sicherlich einen Haltepunkt, aber mittlerweile gilt das auch immer mehr für die Eigenmarken."

Frank Ebrecht, Geschäftsführer Edeka Niemerzsein, Hamburg


 

Handelsmarke vs. Markenartikel

Sind diese neuen PoS-Strategien nun der Schlüssel, mit dem sich Markenartikler auch mittelfristig gegen die Handelsmarken positionieren können? Was sind zukünftig die stärksten Argumente gegen die günstige Konkurrenz, die mittlerweile nicht nur mit günstigeren Preisen punktet, sondern auch Emotionalität transportieren kann? Immerhin sehen Eigenmarken nicht mehr so unsexy aus wie noch vor 20 Jahren. Die Einschätzung der Experten ist hier klar: Es gehe in Zukunft immer um den Mehrwert. Qualität, Geschmack und Marke seien noch immer zentrale Faktoren bei der Kaufentscheidung, auch wenn sehr viel gezielter eingekauft werde. Das Motto der Stunde laute „Lieber zwei Steaks als drei, dafür aber gute.“

Für Marken sei es zudem wichtig, sich zu fokussieren. Im Getränkebereich oder in generell hart umkämpften Sortimenten etwa könne das bedeuten, sich auf die stärksten Produkte zu beschränken, gerade wenn Handelsmarken hier schon viel Regalfläche einnehmen. Immer wichtiger als Abgrenzung zur Handelsmarke würden auch Markenkooperationen, die über die eigentliche Branche hinausgehen und beispielsweise Lifestyle-, Design- oder Modemarken mit Foodmarken zusammenbringen. 

Grund zur allgemeinen Panik in Sachen Bedeutungsverlust von Markenartiklern gegenüber der Eigenmarke sieht in der Runde aber niemand. Einerseits hätten Eigenmarken neben aller Konkurrenz eben auch das Potenzial, eine Kategorie, die sich Kunden mit weniger Einkommen unter normalen Umständen nicht mehr leisten könnten, durch günstige Alternativen am Leben zu halten. Und andererseits sei die Rolle, die Marken seit jeher spielen, unverändert. Sie vermitteln Vertrauen, Sicherheit und Orientierung.

Hierfür sei es aber unerlässlich, weiter in die Qualität des Produktes zu investieren und Konsum- und Foodtrends frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. Dazu zählen auch Serviceangebote, die über das eigentliche Produkt hinausgehen, etwa Tipps zu Rezepten oder auch zur Abfallvermeidung. Die größte Herausforderung bei jeder Art von Neuerung am Produkt – egal ob Rezeptur, Design oder Marketing – sei es aber immer, nicht nur auf neue Kunden zu schielen, sondern die alte, etablierte Verwenderschaft mitzunehmen und nicht zu vergraulen. 


"Social Media allein ist kein Allheilmittel. Man muss Kunden auch über authentische Touchpoints aktivieren."

Tim Nentwig, Marketing Director, Diversa Spezialitäten


Wie gelingt „Retailtainment“?

Mehrwertaktionen wie Aktionspreise, Sondergrößen/Overfill, Proben, Bundles oder Multibuy stehen bei den Shoppern besonders hoch im Kurs. Auf der anderen Seite wird Brand Building am PoS immer wichtiger, um emotionale Kaufimpulse zu setzen. Wie kann der Handel mit diesem Spagat umgehen, wie gelingt am PoS „Retailtainment“, wenn die Shopper vor allem auf „Schnäppchen“ achten? Und welche Artikel erhalten handelsseitig überhaupt eine Chance auf eine aufmerksamkeitsstarke Sonder- oder Zweitplatzierung?

Hier hätten komplett neue Produkte, die es im Sortmiment noch nicht gibt, und die starke Trends, auch im Social-Media-Bereich, bedienen, klar die besten Karten. Top-Kategorien wie zum Beispiel „Regional“ oder „Vegan“ seien da natürlich attraktiver als die 25. Nudelsorte. Der Fokus müsse nach wie vor auf Neuem und Schönem liegen, da man sich damit als Marke differenzieren könne. 

Für Markenartikler sei es zudem wichtig, zweigleisig zu fahren, das heißt einerseits eine attraktive Promotionmechanik zu bieten, andererseits aber auch ein spannendes, relevantes Thema zu spielen. Ein einfaches Display am Gondelkopf reiche schon lange nicht mehr aus, wenngleich es als Werbeform weiterhin seine Berechtigung habe. 
 

Digitale Kommunikation am PoS

Neben klassischer Kundenansprache gewinnt die digitale Kommunikation auch am PoS immer stärker an Bedeutung. Inwieweit werden daher die digitalen Kanäle und neue digitale Anwendungen bei der Vermarktungsplanung berücksichtigt? Hierfür müsse man heute schon vor dem eigentlichen Marktbesuch ansetzen und etwa über Social-Media-Kanäle – vorrangig Instagram – oder Newsletter Kunden über Aktionen, Neuheiten und Wissenswertes informieren, so unsere Handelsexperten.

Am PoS selbst könnten zudem digitale Lösungen Beratungsaufgaben übernehmen, von diversen Monitoren, über die selbst gestaltete und selbst bestimmte Werbung laufe, bis hin zu digitalen Weinberatern. Entscheidend sei, dass das Tool schnell, zugänglich und einfach in der Bedienung sei.

Auch markenseitig habe sich in den letzten Jahren viel verändert. Früher habe jede Marke eine Präsenz auf diversen Social-
Media-Plattformen gehabt und man habe dort dann einfach Werbung geschaltet. Diese Basis gebe es zwar noch immer, aber heute seien weitere, vor allem themengetriebene Touchpoints wie Influencer-driven Content oder Blogs hinzugekommen. Das sei wesentlich authentischer und besser auf die Zielgruppe zugeschnitten.

Neben dem rein emotionalen Nutzen digitaler Kundenansprache werde aber auch der funktionale immer wichtiger. Augmented-Reality-Lösungen, die Etiketten Leben einhauchen, Produktinformationen, Rezepte oder Anwendungsempfehlungen, die sich hinter Codes auf dem Produkt verbergen, werden laut unserer Experten in Zukunft die Regel sein.


INFO

Unsere Expertenrunde:

  • Heike Berghoff, Shopper Marketing Leader DACH, Essity Germany GmbH
  • Alice Schwab, Shopper Activation Maggi/Thomy, Nestlé Deutschland AG
  • Frank Ebrecht, Geschäftsführer Edeka Niemerszein, Hamburg
  • Elena Gashi, Marktleiterin, Edeka Stiegler, Speyer
  • Tim Nentwig, Marketing Director, Diversa Spezialitäten GmbH
  • Gernot Lingelbach, Geschäftsführer, UGW AG
  • Alexander Thürer, Chefredakteur, RUNDSCHAU für den Lebensmittelhandel

Der POS-Marketing-Report 2023

... beschäftigt sich mit Fragen zum Kaufverhalten der Shopper, vor allem vor dem Hintergrund dauerhafter Krisen. Jetzt auf rundschau.de bestellen! 

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise